Wasserball-Ikone Stamm über Coronafolgen: „Wir sind Therapeuten“

Wasserballbundestrainer Hagen Stamm beklagt die recht fatalen Folgen der Einschränkungen für den Schwimmsport und zeigt trotzdem Verständnis.

Hagen Stamm kniet am Beckenrand und nimmt den Kopf eines Wasserballers in seine Hände

Ein Kümmerer: Hagen Stamm redet Nationalspieler Ben Reibel gut zu Foto: Hentschel/imago

taz: Herr Stamm, viele sagen ja, eine stille Wasseroberfläche wirke auf den Betrachter beruhigend. Ihnen als Vorsitzender von den Wasserfreunden Spandau 04 gefällt dieser aktuelle Anblick aufgrund des Sportverbots vermutlich nicht.

Hagen Stamm: Mich beruhigt nur Wasser, das dampft und wo man viele Arme kreisen und am besten noch Bälle fliegen sieht. Das liebste Wasserbecken ist für mich, wenn sich im 50-Meter-Becken Hunderte kleine Arme bewegen. Das ist aktuell leider nicht der Fall und für einen Verein mit intensiver Nachwuchsarbeit ein Problem.

Was haben Sie seit dem Teillockdown Anfang November getan?

Wir haben die Geschäftsstelle in Kurzarbeit versetzt und versuchen, die 100 Mitarbeiter, darunter Übungsleiter, Teilzeit- und Vollzeitangestellte, über diese Zeit zu bringen. Wir müssen davon ausgehen, dass die Null-Stellung noch bis mindestens Weihnachten dauert. Ich persönlich hatte von Anfang an gedanklich den halben Dezember in den Teillockdown einkalkuliert.

Gibt es für den Schwimmsport eine Alternative?

Wir haben keine. Es ist von der Berliner Politik ja nett gemeint, dass gesagt wird, Kinder können sich draußen in Sportgruppen treffen, aber das ist bei acht Grad Wassertemperatur in Spree und Havel ein bisschen schwer umzusetzen. Für uns gibt es keine Alternative – und damit fällt für die Kinder alles flach. Die große Sorge ist, dass die Kinder nicht mehr rauskommen und damit die körperliche Betätigung neben der Schule wegfällt. Die psychischen Folgen sind für Kinder und Eltern nicht absehbar, denn wir sind ja auch eine therapeutische Institution für die Familie gewesen, wenn sich die Kinder bei uns im Wasser austoben konnten und dadurch zu Hause vielleicht etwas ruhiger waren. Ich muss natürlich immer sagen, dass ich Verständnis für die Situation habe und nicht in der Haut der Politiker stecken möchte, die diese Entscheidungen fällen.

Viele Kinder in Deutschland können nicht mehr schwimmen. Wird dieses Problem verstärkt, wenn das Sportverbot noch auf unbestimmte Zeit bestehen bleibt?

Auch die ganze Nichtschwimmerausbildung mussten wir ja einstellen. Wir haben schon im Frühjahr erlebt, dass es zu einem wahnsinnigen Stau in diesem Bereich kam. Der nächste Sommer kommt bestimmt und die DLRG schimpft immer wieder, dass die Ertrinkungszahlen bei Kindern steigen. Untersuchungen belegen, dass die Ansteckungsgefahr im Chlorwasser nahe null liegt, und wenn die Abstandsregeln eingehalten werden, ist Schwimmen für Kinder weit weniger gefährlich, als wenn sie in einer Turnhalle beispielsweise Fußball spielen.

60, ist der bekannteste deutsche Wasserballer. Er gewann er bei den Olympischen 1984 in Los Angeles Bronze. Heute ist er Bundestrainer und ehrenamtlicher Präsident der Wasserfreunde Spandau 04. Zudem führt er einen Fahrradhandel.

Ihr Verein hat viel Integrationsarbeit geleistet und die 2015 von Syrien nach Deutschland geflüchtete Yusra Mardini entdeckt, die 2016 im Flüchtlingsteam an den Olympischen Spielen teilnahm. In den Herbstferien fanden wieder Schwimmkurse für Flüchtlingskinder statt.

Wir bieten das Flüchtlingsschwimmen an, weil es für traumatisierte Kinder in einem fremden Land nach einem langen Fluchtweg nichts Schöneres gibt, in einem Sport einfach wieder Kind sein können. Wir haben da tolle Erfahrungen gemacht, aber auch das Flüchtlingsschwimmen kann nicht mehr stattfinden. Ich sage mal, dass es nicht viele Vereine gibt, die diesen Spagat schaffen: zwischen Hochleistungssport mit Wasserball und sozialen Aufgaben im Schwimmlernbereich.

Was kostet das Sportverbot Ihren Verein?

Wenn wir einen Monat dichtmachen müssen, läuft bei uns in allen Aktivitäten ein Verlust von 50.000 Euro auf. Neuerdings sind noch die Kosten für Coronatests für unser Wasserball-Bundesligateam hinzugekommen. Wir haben keine Chance, diese Kosten irgendwie zu kompensieren. Wir haben ein Clubhaus, das eigentlich für 4.000 Mitglieder ausgelegt ist und für das wir weiterhin Miete an den Berliner Senat zahlen.

Wie viele von den Mitgliedern sind bislang ausgetreten?

Wir werden am Jahresende nur noch 3.500 statt 4.000 Mitglieder haben. Gegenüber den Austritten gibt es keine Neueintritte, die sich für das Schwimmen oder Aquafitness über den Winter entscheiden.

Sie sind der berühmteste Wasserballer, den Deutschland hervorgebracht hat, haben aber durch den Olympiaboykott 1980 als junger Sportler die Spiele in Moskau verpasst. Damals waren die Sportler die Leidtragenden der Politik. Ist das Gefühl jetzt vielleicht sogar ähnlich?

Die Ohnmacht ist die dleiche. Der große Unterschied ist nur, dass ich damals kein Verständnis für die Entscheidung der Politik hatte, heute aber schon. Damals mussten wir Sportler keinen Boykott machen, um den Russen zu erklären, dass sie nicht in Afghanistan einmarschieren – das hat sie gar nicht interessiert. Heute müssen wir diesen Lockdown befolgen, um die Generationen zu schützen. Als grundsätzlich optimistischer Mensch glaube ich daran, dass sich alles wieder ins Gute wandelt und dass Kinder wieder mit Freude schwimmen können – ich hoffe nur, dass diese Zeit relativ schnell kommt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Die Coronapandemie geht um die Welt. Welche Regionen sind besonders betroffen? Wie ist die Lage in den Kliniken? Den Überblick mit Zahlen und Grafiken finden Sie hier.

▶ Alle Grafiken

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.