Bundestrainer über E-Sport: „Bei schlechtem Wetter radeln mehr“

Tim Böhme ist digitaler Bundestrainer im Radsport. Er spricht über E-Cycling, die anstehende WM und Chancen seines Konzepts für andere Sportarten.

Ein Radprofi fährt auf einer Rolle im Keller vor einem Bildschirm ein Rennen

„Aufbau einer neuen Radsportdisziplin“: Cycling Ireland Zwift League im Frühjahr 2020 Foto: imago/Inpho

taz: Herr Böhme, Indoor-Radsport gibt auch Trainern ganz neue Arbeitsperspektiven. Sie beispielsweise können jetzt von Marokko aus die Starter*innen bei der WM im Dezember betreuen.

Tim Böhme: Ja, wir leben jetzt seit dreieinhalb Jahren hier, weil meine Frau für die Entwicklungsbank KfW tätig ist. E-Sports findet im digitalen Raum statt. Da muss man sich nirgends treffen, um gemeinsam zu fahren. Da ist es egal, von welchem Ort in der Welt ich mich als der digitale Bundestrainer einwähle. Die Hauptsache ist, ich habe eine stabile Internetverbindung.

Nun ist der BDR nicht unbedingt als sehr innovativer Verband bekannt. Wie kam es zum Aufbau der E-Sports-Sparte?

Alles begann mit einem Projekt des Bundesinstituts für Sportwissenschaft. Da konnten sich traditionelle Verbände um Förderprogramme bewerben. Dafür haben wir das Konzept der German Cycling Academy entwickelt. Da ging es um die Aktivierung des Breitensports und den Aufbau einer neuen Radsportdisziplin sowie um Talentscouting. Unsere Saison ging von November 2019 bis Februar 2020. Wir haben sie mit einem ­großen Talentscouting-Finale im Rahmen der Bahn-WM in Berlin abgeschlossen.

Der 38-jährige Ex-Profi Tim Böhme ist Digital Head Coach des Bundes Deutscher Radfahrer.

Unmittelbar danach kam Corona, damit der Lockdown und der große Schub für den virtuellen Radsport auf der smarten Rolle zu Hause, oder?

Wir waren gerade dabei, unseren Abschlussbericht für das Projekt zu schreiben, als die Rennen draußen abgesagt wurden. Wir haben dann von der German Cycling Academy aus eine digitale Bundesliga organisiert und bieten auch eine Alternative für das Vereinstraining.

Was genau macht die German ­Cycling Academy?

Wir haben drei Programmpunkte: einen Trainingsworkout, der immer dienstags stattfindet, mittwochs ein Rennen, bei dem wir den schnellsten Indoorracer suchen, der sich für die WM im nächsten Jahr qualifiziert, und einen Breitensport-Trainings-Event am Sonntag. Damit verlängern wir die Radsportsaison in den digitalen Raum.

Diese Events sind für alle Interessierten offen, ob Neuling, ambi­tionierter Amateursportler oder Profi?

Ja, sie sind für alle offen. Am Cup können alle teilnehmen. Ab Januar gibt es Ligarennen, die nur für Lizenzfahrer sind. Aber da kann man sich auch eine Tageslizenz lösen.

Das heißt, man loggt sich auf der Plattform Zwift, auf der die German Cycling läuft, ein und gelangt dann zu Ihnen?

Ja, wir sind im offiziellen Trainings- und Wettkampfkalender von Zwift gelistet. Man findet den Link aber auch bei uns.

Wie viele Teilnehmer gab es bisher?

Das hängt etwas von der Veranstaltung selbst, der Tageszeit und auch dem Wetter draußen ab.

Schlechtes Wetter bedeutet also mehr Leute auf der virtuellen Plattform?

Da besteht ein Zusammenhang, ja. Auch abends gibt es mehr Leute. Wir haben aber einen harten Kern von 150 bis 300 Leuten, die regelmäßig dabei sind. Das sind etwa zwei Drittel Deutsche, aber es können auch Angehörige anderer Nationen mitmachen. Es kommen auch viele, die mal sehen wollen, wie die deutsche Na­tio­nalmannschaft trainiert.

Da haben Sie keine Angst vor einem Wissensabfluss? Im Profiradsport draußen werden Trainingspläne ja oft wie Geheimwissen behandelt.

Das ist eher auf Austauschbasis. Wir sind alles Radfahrer, und wir schauen ja auch bei anderen Nationen.

Was erwarten Sie von Ihren Fah­rer*innen bei der WM?

Es ist schwer zu sagen. Vom Titel bis hin zu nicht mal einem Platz unter den Top 10 ist alles möglich. Es ist ein 50 Kilometer langer Kurs mit einer Bergankunft und etwa 500 Höhenmetern. Das ist kein besonders schwerer Kurs. Man weiß nicht, ob eher ein Sprinter oder eher ein Bergfahrer gewinnen wird.

Nominiert sind bei Männern und Frauen Straßenprofis und Nach­wuchsfahrer*innen, alle aber von der Straße, sowie mit Jason Osborne ein Ruderer, der zum Ausgleich aber viel auf der virtuellen Rolle fährt. Warum kamen keine rein virtuellen Fah­rer*in­nen in den Kader?

Dafür haben wir etwas Kritik in der Szene einstecken müssen. Wir hätten auch selbst gern rein virtuelle Racer mitgenommen. Aber die Teilnehmer mussten im Antidopingtestpool sein. Und das trifft eben nur auf Profis und Elitefahrer zu. Osborne war über das Rudern im Testpool. Perspektivisch wollen wir aber einen Nationalkader für die virtuellen Rennen aufbauen, und dazu gehört dann auch die Aufnahme in den Antidopingtestpool.

Wie läuft die WM genau ab?

Jeder sitzt zu Hause auf seinem Rad. Das ist neutralisiert, hat also keine Vorteile gegenüber anderen. Auch der smarte Trainer ist für alle der gleiche. Es gibt zwei Effekte, eine Feder, die das Rad leichter macht und einen Aerohelm, der für bessere Aero­dynamik sorgt. Diese Effekte kann man aber nur für 30 Sekunden einsetzen. Windschatten macht sich vor allem in der Gruppe bemerkbar. Wer einmal aus einer Gruppe herausfliegt, hat es sehr schwer, wieder zurückzukommen.

Sind virtuelle Rennen auch Alternativen zu anderen großen olympischen Sportarten wie etwa Leichtathletik oder Schwimmen?

Das glaube ich nicht. Aber Rudern, Ski alpin, Motorsport und Golf könnten demnächst virtuell mehr auf sich aufmerksam machen.

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