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Was Spanien besser machtDas spanische Wirtschaftswunder

Während es in Deutschland kriselt, wächst Spaniens Wirtschaft. Grund sind auch bessere Arbeitsbedingungen und Investitionen in günstige Energie.

Das Gras wird kürzer, aber die Wirtschaft wächst, auch durch Investitionen in Erneuerbare Energien und Preisdeckel Foto: Paul Langrock

Madrid taz | Nicht Deutschland und auch nicht Frankreich, Spanien zieht derzeit den Karren aus dem Dreck. Das Land auf der Iberischen Halbinsel wächst wie kein zweites in der Europäischen Union. Spaniens Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte 2024 stolze 3,4 Prozent zu, während es im EU-Schnitt gerade einmal 0,8 Prozent waren und der jahrzehntelange Motor der EU, Deutschland, mit minus 0,2 Prozent mehr als stottert. Für 2025 sagt die Industriestaatengemeinschaft OECD Spanien erneut ein Wachstum von mindestens 2,3 Prozent und für 2026 von mindestens 2 Prozent vorher.

Längst ist vom spanischen Wunder die Rede. Seit 2021, dem Jahr nach der Covid-Pandemie, wächst Spanien überdurchschnittlich. Heute ist die Wirtschaftsleistung 5,7 Prozent über der vor der Pandemie. In der EU sind es nur 4,2 Prozent. „Spaniens BIP wurde durch Bevölkerungswachstum, öffentlichen Konsum und Dienstleistungsexporte gestützt“, erklärt Judith Arnal, Forscherin am Königlichen Institut Elcano und unabhängige Beraterin der spanischen Staatsbank.

Spanien war stärker als die meisten EU-Länder von Covid betroffen. Ein monatelanger, harter Lockdown brachte einen Großteil der Wirtschaft zum Erliegen. Vor allem die Tourismusbranche, die in Spanien über 13 Prozent des BIP ausmacht, brach fast völlig zusammen. Die Erholung ging rasant vonstatten.

Bis auf die Bauindustrie wachsen in Spanien alle Wirtschaftszweige wieder – allen voran die Tourismusbranche. Nach Covid startete diese erneut durch. Das spanische Statistikamt INE verzeichnete 2024 bis November 93,8 Millionen internationale Touristen. Das übertrifft die Zahlen vor der Pandemie deutlich. Und im Vergleich zum Jahr 2023 bedeutet dies ein Wachstum von 10 Prozent.

Spaniens zugezogene Arbeitskräfte kurbeln die Binnennachfrage an

Auch die Binnennachfrage macht einen wichtigen Teil des Wachstums aus. Anders als in der Eurokrise 2008 zahlten bei Covid nicht die Arbeitnehmer die Zeche. Breite Sozialprogramme ermöglichten Kurzarbeit und unterstützten Selbstständige. So blieb zumindest ein Teil der Binnennachfrage erhalten.

Dank EU-Hilfen und den Fonds Next Generation kommt nun Geld ins Land, das zudem die öffentliche Nachfrage ankurbelt. 54 Prozent des Wachstums gehen auf ebendiese öffentliche Nachfrage zurück.

Dank des Wachstums sinkt nicht nur die Arbeitslosigkeit, es werden sogar mehr Arbeitskräfte gebraucht. Spanien hat eine liberale Einwanderungs­politik. Auch diese neuen Arbeitskräfte kurbeln die Binnennachfrage an.

Anstatt, wie in vielen Ländern mittlerweile üblich, Arbeitnehmerrechte einzuschränken und gar über Arbeitszeitverlängerungen nachzudenken, reformiert die Linkskoalition unter Pedro Sánchez den Arbeitsmarkt in die entgegengesetzte Richtung.

Spanien ist nicht mehr das Billiglohnland, das es vor der Pandemie war. Der Mindestlohn wurde seit 2020 in mehreren Schritten um 54 Prozent – von 736 auf 1.134 Euro bei 14 Monatslöhnen – erhöht. Eine erneute Erhöhung um knapp 4 Prozent steht bevor. Außerdem schränkt eine Arbeitsmarktreform aus dem Jahr 2022 Teilzeitarbeit und prekäre Kurzverträge ein.

Investoren suchen nicht wie früher billige Arbeitskräfte, sondern billige Energie

Was von der konservativen und rechtsextremen Oppo­sition als schädlich für die Wirtschaft gebrandmarkt wurde, hat genau den gegenteiligen Effekt. Mit 21,86 Millionen arbeiten in Spanien so viele Menschen wie nie zuvor. Knapp die Hälfte von ihnen hat einen unbefristeten Arbeits­vertrag. Auch das ist eine Rekordzahl in Spanien. Der nächste Schritt soll bis zum Jahresende die Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 37,5 Stunden pro Woche bei vollem Lohnausgleich sein. Sichere Arbeitsverhältnisse führen zu mehr Konsum.

Spanien ist in diesen Jahren für ausländische Investoren interessanter geworden denn je, das zeigt eine Untersuchung der Stiftung der Sparkassen ­Funcas. Die Direktinvestitionen aus dem Ausland machen 2023 und 2024 rund 3 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, während es in Deutschland nur noch 1 Prozent sind.

„Marktbezogene Dienstleistungen, einschließlich Aktivitäten im Zusammenhang mit Technologie und Telekommunikation, sind die Haupt­empfänger ausländischer Direktinvestitionen und machten 2019–2023 über die Hälfte der Gesamtsumme aus. Auch die Industrie sowie die Elektrizitäts- und Energie­versorgungsbranche zählen zu den Hauptnutznießern, wobei die Zuflüsse proportional höher sind als der Anteil dieser Sektoren am BIP: Auf die Industrie entfallen 34 Prozent der gesamten im betrachteten Zeitraum eingegangenen ausländischen Direktinvestitionen“, heißt es dort.

Hier kommt eine weitere Erfolgsgeschichte der spanischen Politik ins Spiel. Viele der Investoren suchen nicht wie früher billige Arbeitskräfte, sondern billige Energie. Spanien hat in den letzten Jahrzehnten die erneuerbaren Energien ausgebaut, und in Zeiten der Ukrainekrise wurde der Gaspreis für die Stromerzeugung gedeckelt. In den letzten fünf Jahren stiegen Strom- und Gaspreis im Vergleich zu den Ländern Mittel- und Nordeuropas um weniger als die Hälfte.

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19 Kommentare

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  • Das ein Land, das auf einem im EU-Vergleich relativ niedrigen Niveau wirtschaftete und dessen großer Tourismussektor von Corona schwer betroffen war, nun höhere Wachstumsraten erzielt, ist kein Wunder und hat viele Gründe.

    So verdankt Spanien sein Wirtschaftswachstum u.a. auch der Zuwanderung von vermögenden Migrantinnen aus Lateinamerika, die den wirtschaftlichen und politischen Krisen in ihren Heimatländern entfliehen. Diese MigrantInnen drängen auf den spanischen Immobilienmarkt, kaufen Häuser und Wohnungen, zahlen höhere Mieten. Alteingesessene haben das Nachsehen, sie können sich die neuen Preise kaum noch leisten.

    Zugleich bleiben in Spanien viele Probleme ungelöst: wirtschaftliche Abhängigkeit von Tourismus und (Agrar-)Exporten, Überalterung der Gesellschaft, Klimawandel und Umweltschutz, das ungeklärte Erbe des spanischen Faschismus.

  • Während Spanien die Arbeitszeit auf 37,5h senkt und mit 3,2 % Wachstum glänzt , träumt Deutschland von 50-Stunden-Wochen – als wäre Burnout der neue Turbo für Innovation. Die Logik? „Mehr Arbeit = mehr Produktivität!“ Ein Konzept, so genial wie ein Feuerlöscher aus Benzin.

    Spanien, einst Europas Sorgenkind, setzt auf Effizienz statt Anwesenheitskult während Deutschland in der Rezession dümpelt.

    Deutschland, das Land der „Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“-Dogmatiker, diskutiert längere Arbeitszeiten. Als ob übermüdete Angestellte im dritten Zoom-Call plötzlich Elon Musks Erleuchtung hätten. Spanien zeigt: Solarstrom statt Gaspreisgejammer und Work-Life-Balance per Gesetz funktionieren.

    Zugegeben: Spaniens Reform ist riskant. Arbeitgeber toben, die Parlamentsmehrheit wackelt. Doch immerhin versucht man dort, Lebensqualität als Wirtschaftsfaktor zu etablieren – statt wie Deutschland Reformen mit Bürokratie zu ersticken.

    Deutschland braucht weniger Stechuhr-Fetisch und mehr Hasta mañana. Sonst wird die nächste deutsche Innovation ein neues Schmerzmittel für Rückenleiden sein.

    Mit sardonischem Gruß,



    Ein Leser, der Spanien um die Siesta beneidet

  • Wenn man Deutschland mit Spanien vergleicht, stellt man u. a. fest, dass Spanien großen Nachholbedarf beim Pro-Kopf-BIP hat. Kleinere und ärmere Länder wachsen, wenn sie nicht zu viel falsch machen, schneller als größere und wohlhabendere: Wenn man 1 Mrd. in Spanien investiert, bringt sie pro Kopf etwa so viel, als würde man in Deutschland 2,5 Mrd. Euro investieren.

  • Unternehmen gehen in Regionen, in denen Ressourcen effizient eingesetzt werden.



    Wer mit Erneuerbaren Energien günstig produzieren möchte, ist in Spanien besser aufgehoben als in Deutschland. Während in Deutschland eine Solaranlage nur 1000 Volllaststunden im Jahr liefern kann, sind es in Spanien 1600. Bei Windkraft an Land statt 2000 dort 2500.



    Bei Solarstrom ist die solare Energieeinstrahlung gleichmäßiger über das Jahr verteilt, je dichter man dem Äquator kommt. So sind es z.B. in Dubai zwischen 110 (Winter) bis 210 KWh/m² (Sommer) und in Spanien zwischen 90 und 170. Fatalerweise sind es in Deutschland zwischen nur 20 im Winter und dafür 190 KWh/m² im Sommer.



    In Dubai, Texas, Mexiko, Spanien,... liefern Solaranlagen im Winter Halbjahr immerhin noch die Hälfte der Menge, die sie im Sommer erreichen. In Deutschland sind nur 10% möglich.



    Also:



    Je näher dem Äquator, desto mehr Solaranlagen



    Je weiter entfernt, desto unvermeidbarer sind Kraftwerke



    In Skaninavien und Kanada sind Wasserkraftwerke möglich



    Für den Gürtel, Frankreich, Belgien, Deuschland, Polen, werden Kernkraftwerke immer sinnvoller da, die Verfügbarkeit von Windkraft von West nach Ost nachläßt.



    Oder Kohle und Gas.

  • Spanien hat v.a. Solarparks und nur wenig PV auf privaten Hausdächern. Dazu kaum Elektromobilität, und relativ viel Kernenergie und Wasserkraft für die Grundlast. Das alles macht es dem Netz einfacher, und die Netzkosten viel geringer als in Deutschland.

  • Die Linken reparieren es halt meistens und sorgen für Reformen, da eben auch bei erneuerbarer Energie etc.



    Sanchez greift dafür schon auch in die Trickkisten ganz weit unten - das Resultat aber stärkt ihn (und dass die Rechten so tumb-populistisch bis korrupt waren)

  • Die Zahlen und insbesondere die daraus abgeleiteten Aussagen sehe ich teilweise auch kritisch, aber der Tenor stimmt. Davon bin ich überzeugt. Die Inftrastruktur (Straße/ Schiene/ Energie/ IT) macht mir hier einen sehr guten Eindruck. Und wenn ich die Baukräne hier an der Costa del Sol zähle, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass die Bauindustrie hinterherhinkt.



    Ich baue auch gerade hier. Was ich dabei an Qualität, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Fairness erlebe, da kommt der deutsche Bauunternehmer in keinem Aspekt mehr mit. By the way: meine Baugenehmigung musste ich über ein Portal im Internet beantragen. War ein kleines Abenteuer, aber nach weniger als 48h hatte ich eine von einer Bauingenieurin unterzeichnete Baugenehmigung. Versucht das mal in Berlin oder Waiblingen …

  • Ihre staatstragende Euphorie über Spaniens Jobmotor verkennt die Realität. Zwar preist die Regierung 40.146 neue Beamtenposten und 3,59 Millionen Staatsdiener als Erfolg – doch jeder zweite “neue” Job entpuppt sich als befristete Tourismus-Stützkrücke (450.000 von 500.000 Neuanstellungen 2024). Während Brüssel mit Next-Generation-Milliarden die Zuckerinfusion gibt, bleibt Spanien EU-Schlusslicht bei produktiven Jobs (Platz 24 von 27 in Beschäftigungsranking).

    Die ach so stolze Arbeitslosenquote von 11,3%? Kaschiert, dass Jugendarbeitslosigkeit dreimal höher liegt und 13,4% aller Jobs prekär sind. Staatsjobs als Strohfeuer statt Strukturreformen – wirklich ein Modell? Wenn selbst das Wirtschaftsministerium zugibt, dass 45% der Investitionen nur dank EU-Geldern existieren, spricht das Bände über die Scheinblüte.

    Grüße aus Madrid

    • @Grauton:

      Das ist eine Schande und ein weiterer Beweis, dass Energieversorgung unter starke staatliche Kontrolle gehört. Öl- / Energie- und artverwandte Unternehmen kommen bzgl. Skrupellosigkeit m.E. direkt hinter den Waffenschmieden.

  • Spanien hat jetzt die dritte oder vierte linke Regierung in Folge.



    Nur so nebenbei.

  • Na ja, in Spanien dürfte es schon aufgrund der Lage auch wesentlich einfacher sein, auf Sonne und Wind zu setzen. Warten wir mal ab, wie’s weitergeht. Die deutsche Wirtschaft ist ja auch sehr lange sehr stark gewachsen. Sogar ohne ganzjährige Badewanne vor der Küste.

    • @vieldenker:

      Das ist doch nicht im gesamten Spanien so! Wie in Frankreich auch gibt es hier ganz unterschiedliche Klimazonen. Gruß aus Südspanien.

      • @Minelle:

        Das ist mir auch klar, instinktiv Deutschland ja nicht anders. Aber mehr Sonne habt Ihr da unten auch im landesweiten Durchschnitt. Grüße aus Grauland

  • Äpfel mit Birnen verglichen, Mindestlohn 8,26€/Stunde

    Monatslohn 1.134 Euro bei 14 Monatslöhnen schreiben Sie, das macht 1.134*14Monate= 15.876€/Jahr, umgerechnet auf 12 Monate und 160 Arbeitsstunden pro Monat 8,26€/Stunde. Bei uns gäbe dies einen Volksaufstand und die Linken würden zur Revolution aufrufen.

    • @Hans Dampf:

      Linke würden auch keinen Aufstand anzeigen, wenn der Mindestlohn in 4 Jahren um 54% angehoben wird.



      Spanien kommt aus einer anderen Situation als Deutschland.

    • @Hans Dampf:

      Ts-ts-ts, „die(se) Linken“ aber auch… wie viele Promille der Bevölkerung würden diesem Revoluzzertum denn folgen? Vielleicht kämen etwas mehr, wenn das Betretungsverbot des Rasens aufgehoben würde (oder mit Gratis-Bahnsteigkarten für den Umsturz am Hbf.).

      • @Earl Offa:

        Auch wieder wahr