Warum es beim Bundeshaushalt hakt: Frage von Geld und Gleichgewicht
Die Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2024 dauern an. Das Staatsverständnis von SPD und Grünen kollidiert mit dem Individualismus der FDP.
Die Einigung über einen neuen Plan für den Bundeshaushalt 2024 bereitet der Regierung sichtlich Schwierigkeiten. Verschiedene Vorschläge kursieren, die jeweils den Lieblingsideen der drei Parteien entsprechen. Allerdings fehlt bisher die Kompromisslinie. Vor drei Wochen war der Haushalt fast beschlossen. Dann platzte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazwischen. Daraufhin forderte die SPD, die Hängepartie bis zu ihrem Parteitag am Wochenende abzuschließen. Anscheinend vergebens: Wie SPD-Politikerin Katja Mast einräumte, wird der Bundestag den Etat erst im neuen Jahr beschließen können.
Die Probleme liegen darin begründet, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November die bisherige Balance der Ampel-Regierung zerstört hat. Vorher waren sich die drei Koalitionspartnerinnen einig, Staatsschulden aus den Jahren 2021 und 2022 für Ausgaben von 2023 und den Folgejahren aufzusparen und umzuwidmen.
Diesen Weg stufte das Gericht als Verstoß gegen die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse ein. Die Schuldenregel ab diesem Jahr wieder einzuhalten, was FDP-Parteichef und Finanzminister Christian Lindner am Herzen liegt, und gleichzeitig viel Geld für Klima- und Industriepolitik auszugeben, was sich SPD und Grüne wünschen, funktioniert so nicht mehr. Der Koalition fehlen in ihrem Klima- und Transformationsfonds 60 Milliarden Euro für die kommenden Jahre. Im Budget für 2024 klafft bisher eine Lücke von 20 bis 30 Milliarden Euro.
Hilft die Notfallklausel?
Also ist die Koalition in Not. Daher hat unter anderem die SPD-Ko-Vorsitzende Saskia Esken vorgeschlagen, sich auf die im Grundgesetz vorgesehene Notfallklausel zu berufen, um die Schuldenbremse für 2024 nochmals zu umgehen. Eine andere Idee kommt aus grüner Richtung: Steuersubventionen kürzen, etwa für die Förderung großer Firmenwagen. Doch beides ist mit der FDP nicht zu machen – jedenfalls nicht in Reinform. Wie CDU und CSU erheben die Liberalen die Schuldenbremse in den Rang der Zehn Gebote. Gleichzeitig verteufeln sie offiziell jegliche Steuererhöhungen, also auch die Abschmelzung von Steuererleichterungen wie der Förderung von Dienstwagen. So weit die Ideologie.
Kommt es jedoch hart auf hart, zeigt sich Bundesfinanzminister Lindner pragmatisch. So legte er kürzlich einen Nachtragshaushalt für 2023 vor, der die Schuldenbremse doch wieder umgeht. Eine andere, realistische Lösung gab es nach dem Urteil des Verfassungsgerichts nicht.
Andererseits betont der FDP-Politiker, der Staat müsse grundsätzlich mit dem Geld auskommen, das er hat, und dürfe nicht ständig neue Finanzquellen erschließen. Demzufolge plädieren die Liberalen für Umschichtungen im Haushalt, was auch Kürzungen von bisher geplanten Ausgaben bedeuten würde. Gefordert wurde unter anderem, die geplante Erhöhung des Bürgergeldes Anfang 2024 deutlich geringer ausfallen zu lassen. Die Entwicklungshilfe identifiziert die FDP als weiteres Feld, das sich mähen ließe. SPD und Grüne erklären dagegen in den meisten Fällen, Kürzungen ließen sich aus diesen oder jenen Gründen nicht realisieren.
Die aktuellen Konflikte gehen den drei Parteien so an die Nerven, weil sie auf Unterschieden der politischen Philosophien beruhen. Die FDP denkt vom Individuum her, mehr als SPD und Grüne. Im Zentrum des FDP-Weltbildes steht der eigenverantwortliche Mensch. Für die Liberalen ist es wichtig, dass die Privathaushalte und die privaten Unternehmen, die jenen gehören, einen möglichst großen Entscheidungsspielraum genießen. Das hält die FDP für die zentrale Voraussetzung einer guten Entwicklung, im Idealfall von Fortschritt.
Rechtsliberale Antwort der FDP
So erklärt es sich, dass die Partei von Christian Lindner in Finanzfragen oft dafür eintritt, die Steuerzahlungen der Individuen an die Gemeinschaft nicht zu erhöhen, sondern zu senken, die Sozialleistungen des Staates an Bedürftige zu begrenzen, den öffentlichen Haushalt im Zaum zu halten und die staatliche Verschuldung zu beschränken. Wobei man dieses Programm durchaus als rechtsliberal bezeichnen kann. Die FDP in der sozialliberalen Koalition der 1970er Jahre war eher linksliberal und sozialstaatlich geprägt. Aus dieser Zeit sind nur wenige Positionen und Personen übrig geblieben – etwa der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum.
Die liberale Tradition der Bürgerrechte ist auch bei den Grünen zu finden, zugleich hat die Partei kräftige linke Wurzeln. Sie und mehr noch die SPD denken eher von der Gemeinschaft aus. Im Zentrum ihrer Weltbilder steht das Funktionieren der Gesellschaft, in der die Individuen verankert sind. Deswegen finden sie die Idee sympathisch, dass der Staat als Organisation der Gemeinschaft die Privathaushalte unterstützen sollte. Höhere Steuern und Staatsausgaben, umfangreiche öffentliche Budgets und Interventionen in den Markt genießen bei Grünen und SPD daher mehr Unterstützung als bei den Liberalen.
Das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat ist in der Ampel-Regierung möglicherweise stärker ausgeprägt als in früheren Großen Koalitionen aus SPD und Union, in der beide Seiten auch stark etatistische Züge an den Tag legten. Nun aber regiert eine Konstellation aus SPD, Grünen und FDP.
Dieses Bündnis wurde auf Bundesebene vorher noch nicht ausprobiert. Vorteil: Es verspricht – oder muss man schon sagen: „versprach“? – eine breite gesellschaftliche Verankerung von Mitte-rechts bis Mitte-links und gleichzeitig die Aussicht, Staat und Wirtschaft zu modernisieren. Nachteil: Eventuell machen die zentrifugalen Tendenzen das Dreierbündnis handlungsunfähig. Wobei auch klar ist: Bis zu 30 Milliarden Euro aufzutreiben ist angesichts eines Haushaltes von ungefähr 450 Milliarden Euro eine Aufgabe, die jede Regierung an den Rand der Verzweiflung bringen würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin