Warnung vor Dunkelziffer: Kinderarmut höher als befürchtet
1,4 Millionen mehr Kinder als angenommen sollen unter Armut leiden. Weil ihre Familien keine Staatshilfe beziehen, fehlen sie in der Statistik.
Besonders hoch ist das Armutsrisiko für Haushalte von Alleinerziehenden – und davon gibt es viele. „Es geht hier um jede fünfte Familie in Deutschland“, sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD). Oft zahlt der zweite Elternteil keinen oder zu wenig Unterhalt. Vor gut einem Jahr hat die Bundesregierung das Unterhaltsrecht reformiert: Seither übernehmen die Jugendämter bis zum 18. Lebensjahr der Kinder die Kosten – früher hörte die staatliche Vorschusszahlung von monatlich bis zu 273 Euro mit dem zwölften Geburtstag auf. Am Mittwoch zog Giffey im Kabinett Bilanz: Rund 700.000 Kinder erhalten aktuell staatlichen Vorschuss, vor der Reform waren es nur rund 300.000. Da so auch die Kosten für Bund und Kommunen steigen, soll künftig mehr Druck auf zahlungsfähige, aber unwillige Elternteile ausgeübt werden: Die Ministerin kann sich unter anderem Fahrverbote für Unterhaltszahlungssäumige vorstellen.
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast sagte der taz: „Für uns ist es zentral, die Bekämpfung von Kinderarmut konsequent anzugehen.“ Deshalb wolle man „ein großes Maßnahmenpaket auf den Weg bringen“. Unter anderem solle der Kinderzuschlag erhöht werden – doch der wird laut Kinderschutzbund von vielen gar nicht beantragt. „Wenn 70 Prozent der Eltern wegen bürokratischer Hürden vor einer Antragstellung zurückschrecken, dann muss die Bundesregierung handeln und eine Reform angehen“, sagte die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock der taz. Nötig sei nicht nur eine Erhöhung, sondern auch die automatische Auszahlung des Zuschlags. Ein Sprecher des Familienministeriums sagte der taz, der Zugang zu Leistungen solle künftig erleichtert werden. Katrin Werner von der Linksfraktion kritisierte, eine Erhöhung würde den Familien, die von Hartz IV leben, gar nicht helfen: Unterhaltsvorschuss und Kindergeld würden auf andere Leistungen angerechnet und somit das Budget nicht erhöhen.
Seit Jahren kritisieren Wohlfahrtsverbände, dass sich Sozialleistungen an Erwachsenen orientieren – so steht einem Baby rechnerisch Geld für Zigaretten zu, nicht aber für Windeln. Mehrere Verbände, Grüne und Linke fordern eine eigene Kindergrundsicherung. Die SPD will zunächst Kinderrechte im Grundgesetz verankern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs