Warm in den kalten Tagen: Wolle im Winter
Wolliges ist in, aber in den meisten Fällen gar nicht aus Wolle. Die Vorzüge des Materials sind derweil unschlagbar.
Wenn wir sie schon ins Zentrum unserer Ausgabe stellen: Coco Chanel, also sie trug auch im Sommer Wolle, und zwar Unterwäsche aus Wolle. Ihrer Meinung nach konnte weder Baumwolle noch Seide mit den hautklimatischen Vorzügen dieses Materials konkurrieren. Und tatsächlich gibt es, selbst wenn man Wollunterwäsche im Sommer nichts abgewinnen kann, fantastisch leichte Wollstoffe, die sich im Sommer hervorragend tragen lassen, gerade bei tropischen Temperaturen.
Dennoch, die eigentliche Zeit der Wolle ist der Winter. Und jetzt, wo es allmählich kalt wird, beginnt man sich auf die Wollsachen zu freuen. In diesem Winter der Coronapandemie, wo man zu Hause festsitzt, hat nun vor allem ein Teil Konjunktur: das Strickkleid. Die amerikanische Vogue stellt in ihrem Newsletter gleich mal 17 verschiedene Modelle vor. Angefangen bei Bottega Veneta und ihrem Strickkleid aus Baumwolle für 2.180 Dollar über das Kleid von Mango für 60 Dollar bis hin zum Turtleneck Sweater Dress von Entireworld für 195 Dollar.
Nur Letzteres ist aus Wolle, genauer gesagt aus 70 Prozent Wolle und 30 Prozent Kaschmir. Sonst gibt es viel Viskose, Baumwolle, Nylon und sogar Polyester. Es scheint so, als solle Wolliges nicht aus Wolle sein. Die Jerseys sind dann für den Produzenten billiger und für die Konsument*innen pflegeleichter. Angeblich, denn moderne Waschmaschinen haben hervorragende Wollwaschgänge, da passiert den Kleidern gar nichts. Und der Umwelt ebenso wenig, schließlich wäscht man hier nicht Mikroplastik ins Wasser, sondern nur ein paar leicht abbaubare Wollfusseln.
Nichts ist angenehmer auf der Haut
Und dann ist ja nichts angenehmer auf der Haut als feine Wolle, wie etwa das Strickkleid aus Merinowolle von Jil Sander für Uniqlo für 59 Euro. Gerade konnte man es noch kaufen. Verführerisch bequem sieht auch das Rollkragen-Modell bei der H&M-Marke Arket aus, bei dem man erfährt, dass die Wolle von nicht mulesierten Schafen stammt.
Sie ist nach dem Responsible Wool Standard (RWS) zertifiziert, „einem unabhängigen und freiwilligen Standard, der sicherstellt, dass Wolle von zertifizierten Farmen ordnungsgemäß gekennzeichnet und über alle Verarbeitungsphasen rückverfolgt werden kann. Ziel des RWS ist der Schutz der Schafe, die die Wolle liefern, und des Bodens, auf dem sie grasen.“
Derlei Informationen vermisst man bei den teuren Labels regelmäßig. Was Nachhaltigkeit angeht, versucht sich H&M tatsächlich neu aufzustellen. Längst kooperieren Luxuslabels mit den Schweden bei der Produktion neuer Recycling-Rohstoffe. Und fällt dann das Kleid, dessen Grundstoff Lebensmittelabfälle sind, im Massenmarkt nicht durch, darf es auch bei Gucci punkten. Grund sich zu ekeln gibt es nicht, anders als beim tierschänderischen Mulesieren, wie bei Wikipedia nachzulesen.
Zu große Wärmeisolationsleistung
Zu den offensichtlicheren Schwierigkeiten mit Wolle gehört – seitdem es keine wirklich kalten Winter mehr gibt – ihre Wärmleistung. Kaschmirpullover sollte man sich nur noch in feinster Sommerqualität kaufen, sonst liegen sie nur im Schrank. In stärkerer Qualität sind sie in Mitteleuropa einfach zu warm. Und dann heißt es ja immer, dass Wolle beißen oder kratzen würde. Aber das scheint auch eher ein Problem vergangener Zeiten zu sein.
Vielleicht sind die Wollsocken daran schuld, die selbst gestrickten, die man früher noch trug. Die konnten einen natürlich schon in die Verzweiflung treiben, wenn sie aus der falschen Wolle waren und falsch gestrickt, wenn sie juckten und rutschten, Falten warfen und die Ferse von der Ferse rutschte.
Heute gibt es Magic Socks, die einen wunderbaren Sitz haben, aus 82 Prozent Merinowolle gemischt mit 13,5 Prozent Nylon und 4,5 Prozent Lycra. Bei erschwinglichen Wollsocken kommt man wegen des Tragekomforts um Mischfasern leider nicht wirklich rum, waschen sollte man sie aber unbedingt im Guppyfriend-Waschbeutel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag