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Wahrnehmung der EMDas hat mit Fußball nichts zu tun

Keine grölenden Deutschen, keine Hymnendebatten oder Klatschtexte über Trainingszoff, was ist da los? Stattdessen geht es einfach um Fußball.

Schland-Flaggen nur im Stadion? Was ist da los? Foto: Sebastian Gollnow/dpa

I rgendetwas stimmt nicht mit diesem Land. Das habe ich mir gedacht, als ich am EM-freien Sonntag durch die Stadt gegangen bin. Nichts, aber auch gar nichts ist mir da aufgefallen. Echt jetzt: Es ist EM und kein Mensch ist schlandianisch gewandet. Was ist da los? Niemand, wirklich niemand ist mir im Trikot begegnet.

Dabei müsste man sich nun wahrlich nicht schämen, wenn man dieser Tage das DFB-Leibchen mit den zwei Sternen trägt. Das soll also eine Fußball-EM sein? Es ist ein Desaster. Und was soll eigentlich aus unserer deutschen Weltmarktfirma Adidas werden, für die der große Uwe Seeler Klinken geputzt hat, wenn ein großes Turnier stattfindet und keiner zieht sich dementsprechend an?

Dieses Turnier ist ein Wohnzimmer-Event. So viele Leute wie noch nie zuvor haben sich EM-Spiele der Deutschen live angeschaut. Aber eben zu Hause. Fast schon heimlich. Schämen sie sich etwa dafür? Warum ziehen sie nicht besoffen und grölend durch die Straßen, wenn die Deutschen gewonnen haben? Selbst am Morgen nach dem Viertelfinale der Deutschen gegen Österreich musste ich auf dem Weg zum Bäcker kein einziges Mal einer Lache aus Erbrochenem ausweichen. Hat das noch etwas mit Fußball zu tun, was da stattfindet? Überhaupt, der Bäcker! Keine Fußballbrötchen, keine Europameisterbrötchen – Europameisterinnenbrötchen schon gar nicht!

Und wo sind überhaupt die großen Debatten, die der Fußball liefert? Warum wird keine Hymnendiskussion geführt? Muss eine wie Klara Bühl, die bei der Hymne nur ab und zu einen Ton trifft, nicht zwangsläufig vorbeischießen, wenn sie alleine vor dem Tor steht? Warum diskutiert niemand die wirklich wichtigen Fragen, die dem Fußball doch erst seine gesellschaftliche Relevanz verleihen? Warum wird nicht einmal in der taz gefordert, den Hymnentext für die EM anzupassen? Und so trällern die deutschen Nationalspielerinnen weiter vom Vaterland und dass man brüderlich nach irgendwas strebt, ohne dass das auf Twitter auch nur ein laues Lüftchen auslöst. Nein, das ist doch nicht der Fußball, den wir lieben.

Kein Trainingszoff, keine Spielerinnenmänner

Und wenn sich spielfreie Tage bei einer EM schon nicht vermeiden lassen, wieso erfahren wir dann so wenig darüber, was in den Teamquartieren passiert? Den großen Zoff im Training, die Spielerin, die im T-Shirt mit dem falschen Sponsorinnenlogo zum Frühstück kommt, den Spielerinnenmann beim Shopping in der Innenstadt. Ich weiß bis jetzt nicht, wie gut Merle Frohms Tischtennis spielt. Es gibt so viele uninteressante Dinge, die einen Sommer des Fußballs erst richtig interessant machen. Warum erfahre ich davon nichts?

Stattdessen unterhalte ich mich mit einem Kollegen darüber, warum das 4-3-3 der Französinnen dem deutschen Spielansatz entgegenkommen könnte. Als würde es darum gehen bei einer EM. Also wirklich!

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Andreas Rüttenauer
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19 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Vielleicht fehlt es allgemein an Nationalstolz oder der Lust auf Fähnchen-Gedöns. Da ich aus Prinzip keine Spiele von Nationalmannschaften oder Nationalfrauschaften schaue, bedaure ich hier nichts mehr. Bei solchen 'Events' hab ich den Ohrwurm von Brecht und Eisler im Ohr, die Kinderhymne mit den Zeilen: 'Und nicht über und nicht unter andern Völkern wolln wir sein' - für Katar gilt das explizit für im gesamten Freundeskreis: Wir boykottieren diese WM aus sehr, sehr vielen Gründen. Einen 'aufgeklärten Nationalismus' können wir uns beim besten Willen nicht mehr vorstellen in diesen Zeiten. 'Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand'!

  • Gestern spielte der Gastgeber, England, in einem Stadion mit 32.609 für die EM zugelassenen Sitzplätzen vor 28.624 Zuschauern. Im Halbfinale einer EM!!!



    Dazu muss man nichts weiter sagen.

    • @AusBerlin:

      was wollen Sie damit eigentlich sagen ?

      • @Opossum:

        Das bei all dieser Begeisterung für den Frauenfußball die Stadien nicht voll sind. Können Sie sich das bei einem Halbfinalspiel der englischen Männer vorstellen?

  • Wa(h)r lustig...

  • Nicht zu vergessen: Warum markieren die Frauen nach zartem Körperkontakt nicht den sterbenden Schwan, sondern stehen auf und spielen einfach weiter?

    • @Tazacorte:

      Weil der sterbende Schwan männlich ist?

  • "Warum ziehen sie nicht besoffen und grölend durch die Straßen, wenn die Deutschen gewonnen haben?" ... WiesoWeshalbWarum?



    Weil die Begeisterung fehlt. Die Frauen-WM ist eben kein Ersatz für die Männer-WM. Kann man mal zur Kenntnis nehmen, muss man aber nicht.

    • @AusBerlin:

      Ist die EM… aber ok

      • @Michi W...:

        ok aber ... Sie wissen ja, was ich meinte.

        • @AusBerlin:

          nö echt nicht ist schöner Fussball finde ich

          • @Opossum:

            Sie waren auch nicht gefragt. Und schön bedeutet nicht, dass man sich dafür genauso begeistern kann, wie für noch schöneren Fußball. Kann man mal zur Kenntnis nehmen, muss man aber nicht.

            • @AusBerlin:

              wer gefragt ist bestimmen nicht Sie ok

  • " So viele Leute wie noch nie zuvor haben sich EM-Spiele der Deutschen live angeschaut."

    Das ist doch einfach mal falsch. Bei der EM 2021 Deutschland gegen England betrug die Zuschauerzahl alleine bei der ARD 27,49 Millionen.

    Naja, und das fehlende Drumherum ist halt nur ein Symptom für fehlende Gruppenemotionen. Meinen Kindern hab ich heute zwei EM-Bälle gekauft. Die waren bereits jetzt um 70 Prozent reduziert.

    • @DiMa:

      Softbälle ?

  • Falls Frauenfussball irgendwann ähnliche Beliebtheit erlangen sollte wie sein vermaledeites männliches Äquivalent, so werden sich gewiss auch der übliche Personenkult, die erfundenen Bettgeschichten der Klatschpresse und die niederen Querelen zwischen dann Superstarinnen Bahn brechen, dessen bin ich sicher.

    Bringt alles Geld.

    • @Fabian Wetzel:

      Sie finden den Fußball der Männer unangenehm und unerfreulich? Die Mehrheit der Deutschen sieht das glücklicherweise anders.

  • Mal ehrlich. Meine Frau schaut nicht, jubelt nicht, brüllt nicht, streitet nicht, kleidet sich nicht schlandrianisch, trinkt nicht über die Massen und übergibt sich nicht hemmungslos auf der Strasse. Muss ich das als Mann jetzt auch noch übernehmen? Gleiche Rechte, gleiche Pflichten.

    Mal ehrlich. Etwas mehr Begeisterung könnte schon sein, oder?

  • rofl



    Auf den Punkt getroffen, wobei, da es um Fußball geht, auch vom Punkt getroffen. 👍