Wahlwiederholung in Berlin: Entscheidend ist die Mobilisierung
Umfragen können trügerisch sein. Denn es kommt darauf an, dass die eigenen Anhänger wirklich wählen gehen. Das gilt gerade bei geringer Beteiligung.
3 Prozent CDU, 21 Prozent Grüne, 18 Prozent SPD: Guckt man sich die jüngste seriöse Umfrage an, könnte man meinen, die wiederholte Wahl am 12. Februar sei bereits entschieden: Kai Wegner von der CDU als Wahlsieger, aber weiter in der Opposition, weil das bisherige links-grüne Bündnis erneut die Hälfte der Stimmen und damit ausreichend Sitze für eine Mehrheit im Parlament bekommt. Und neue Regierungschefin wird die Grüne Bettina Jarasch. Alles klar also schon Wochen vor der eigentlichen Entscheidung?
Eben nicht. Und das liegt nicht nur daran, dass die Umfrageinstitute mögliche Unschärfen ihrer Befragungen meist auf plus minus 3 Prozentpunkte beziffern. Viel wichtiger ist der Fakt, dass Rückhalt in einer Umfrage noch längst nicht bedeutet, dass die dortigen Unterstützer sich auch tatsächlich zum Wahllokal bewegen oder alternativ mit dem Briefwahlumschlag zum Postkasten.
Mit Blick auf die Wahlbeteiligung ist nun über Parteigrenzen hinweg immer wieder zu hören: „Das ist wie bei einer Europawahl.“ Die hat klassischerweise die geringste Beteiligung, nur 60,6 Prozent nahmen zuletzt 2019 teil. Bei der Bundestagswahl und der parallelen Abgeordnetenhaus 2021 waren es hingegen starke 75,2 Prozent.
Je geringer aber die Wahlbeteiligung, umso mehr wirkt sich aus, wie stark eine Partei ihre eigenen Anhänger an die Wahlurne bekommt. Wenn eine Partei beispielsweise 10 Prozent der rund 2,5 Millionen Berliner Wahlberechtigten fest hinter sich stehen hat und an die Wahlurne bringt, entspricht bei 100 Prozent Wahlbeteiligung auch 10 Prozent der Stimmen. Wenn aber wie bei der jüngsten Europawahl insgesamt nur 60 Prozent mitstimmen, macht dieser feste Unterstützerblock plötzlich 16 Prozent aus.
Leute mit Wahlplakaten, Auftritten oder TV-Spot von sich zu begeistern, ist also das eine – sie an die Wahlurne zu bringen, das andere. In Großbritannien hieß es früher, die Konservativen seien an einem regnerischen Wahltag im Vorteil: Sie hätten mehr Autos als die Labour-Partei, um ältere, den Gang nach draußen scheuende Wähler ins Wahllokal zu bringen.
Taktieren geht über Studieren
Für diese Mobilisierung – der Begriff lässt ein wenig schlucken, weil zeitlich in Russland eine Mobilmachung in ganz anderer Weise laufen soll, aber wir sprechen ja auch von Wahlkampf – können sogar aktuell schlechte Umfragewerte hilfreich sein. Dass die eigene Partei hinten liegt, bringt den einen oder anderen zuvor Wahlmüden am Ende vielleicht doch dazu, die Ausgangssituation mit der eigenen Stimme ändern zu wollen.
Liegt sie aber sehr weit hinten, wie gerade die SPD, kann die Idee auftauchen: Meine eigentliche Partei kann ich nicht mehr nach vorn bringen, aber wenn ich grün wähle, kann ich einen CDU-Wahlsieg verhindern.
Eine Führung in Umfragen wiederum kann ähnlich entgegengesetzte Reaktionen auslösen. Zum einen könnte sie Wahlkämpfer und Wähler einlullen und vermitteln – siehe oben –, dass die Sache schon gelaufen sei und keiner großen weiteren Anstrengung bedarf. Solche eine Führung kann aber auch einen Bandwaggon- oder Mitläufer-Effekt auslösen: Wer zuvor noch unentschieden war, könnte nun allein deshalb bei der Wahl für die aktuell führende CDU stimmen, weil er oder sie bei den Siegern sein will, egal wer das ist.
Die größte Unwägbarkeit bleibt zudem: Schafft die SPD – jüngst beim Grünen-Parteitag gar nicht mehr als Gegner wahrgenommen – wie 2021 doch noch eine Aufholjagd? Denn bei einer Direktwahl der Regierungschefin oder des Regierungschef läge Franziska Giffey der Umfrage zufolge weit vorne: 34 würden sie wählen, 20 Prozent Kai Wegner und nur 15 Prozent Bettina Jarasch. Wenn Giffey und ihre Partei das noch ummünzen können in SPD-Stimmen, sieht die Sache wieder ganz anders aus.
Kurzum: Es bleibt spannend – entschieden ist noch nichts.
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