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Wahlwiederholung in BerlinAusschließeritis ist eine Krankheit

Kommentar von Stefan Alberti

Drei Wochen vor der Wahl häufen sich die Ankündigungen, welche Koalition gar nicht gehen soll. Hielte man die durch, drohen nach der Wahl Probleme.

Abgrenzungen gibt es bei Koalitionsfragen zur Wahlwiederholung genauso wie im Bundesligafußball Foto: dpa

E in ganz spezieller politischer Krankheitserreger wabert gerade durch den Berliner Wahlkampf: die Ausschließeritis. Erst kündigt die FDP an, dass sie sich nach der Wiederholungswahl am 12. Februar keine Zusammenarbeit mit den Grünen vorstellen kann. Dann distanzieren sich die Grünen von der CDU. Und nun bedrängt die CDU die SPD-Landesvorsitzende und Regierungschefin Franziska Giffey, eine weitere Koalition mit der Linkspartei auszuschließen.

Ist das ernst gemeint, so könnte es nach Wahl nur ein Bündnis geben: Schwarz-Rot-Gelb, die so genannte Deutschlandkoalition. Andere realistische Varianten mit Chancen auf eine Parlamentsmehrheit bleiben nach dieser Ausschließeritis nämlich nicht. Das aber wäre das Ende von demokratischer Mehrheitsbildung – und ist deshalb in gleicher Weise unrealistisch.

Gründe mag es jeweils durchaus geben, mal kurzzeitig erregt: „Mit denen nicht!“ zu rufen. Bei FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja ist es die kaum überraschende Erkenntnis, das die Grünen auf Landesebene anders ticken als in seinem Wohnbezirk Steglitz-Zehlendorf. Und das, obwohl seine engste grüne Partnerin 2021 beim Aushandeln der dortigen Ampel die jetzige Landesparteichefin Susanne Mertens ist.

Bei Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch wiederum ist nachvollziehbar, dass sie nicht viel vom Ansatz der CDU hält, die Ausschreitungen der Silvesternacht mittels einer Vornamen-Abfrage aufzuarbeiten. Und dass die CDU bei Giffey Konsequenz anmahnt, erscheint nur logisch, wenn die Regierungschefin Gewissensgründe gegen Enteignungen anführt, während die Linkspartei die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen hofiert.

Die Parallelerkrankung zur Auschließeritis ist übrigens die feste Koalitionsaussage

Solche Konsequenz, rasches Reagieren und entschiedenes Gegenhalten sollen Haltung ausdrücken – und vor allem das Wahlergebnis am 12. Februar aufbessern. Taktisch mag das nicht falsch sein. Strategisch aber führt es in die Sackgasse.

Denn was passiert denn, wenn diese Wahl so ausgeht, dass es nichts wird mit dem Wunschergebnis? Wenn es nicht reicht für eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot, die sich viele im links dominierten grünen Landesverband wünschen? Und genauso wenig für eine Deutschlandkoalition? Wenn man andere Partner braucht?

Prognosen sind bekanntlich schwierig

Denn das kann gut passieren. Weil vielleicht entweder die Grünen selbst einbrechen, falls bisherige Anhänger meinen, sie für die Räumungen im fast 600 Kilometer entfernt Lützerath verantwortlich machen zu müssen. Oder weil die Wählerschaft Giffey und ihrer SPD ankreidet, dass es zu den Ausscheitungen in der Silvesternacht kam, und die Sozialdemokraten deshalb deutlich Stimmen verlieren.

Eine Zusammenarbeit mit der AfD auszuschließen ist das eine, und dabei bleibt es hoffentlich tatsächlich. Für alle anderen aber gilt: Demokratische Parteien müssen zumindest miteinander reden können. Wer weiß denn, ob die jeweils andere nicht von einem Punkt abrückt, der als unüberbrückbares Hindernis galt – weil sie dafür einen anderen wichtigen Punkt durchsetzen kann, der zuvor für die Gegenseite unverhandelbar schien.

Die Parallelerkrankung zur Ausschließeritis ist übrigens die feste Koalitionsaussage. Die ist aus oben genannten Gründen genauso wenig hilfreich: Wenn die Prozente dafür nicht ausreichen, ist sie hinfällig und bloß noch Anlass für wütende Reaktionen der jeweiligen Parteianhänger, die sich durch ein anderes Bündnis dann wahlweise betrogen, verraten oder verschaukelt fühlen.

Franziska Giffey hat vor einer Woche beim Spitzenkandidaten-Talk im taz-Haus gesagt: „Ich finde es nicht richtig, vor der Kenntnis eines Wahlergebnisses Koalitionsaussagen zu machen.“ Ein Regierungschef von der CDU hat es noch klarer ausgedrückt: „Entscheidend ist, was hinten raus kommt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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Redakteur für Berliner Landespolitik
Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

3 Kommentare

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  • Wunder über Wunder!



    Wer sich gefühlte 20 Jahre nach Helmut Kohl noch



    keinen eigenen Spruch ausdenken konnte, kann nur für eines stehen: CDU.



    Wer beim Thema Klima glaubt, eine Entfernung von 500 km sei wesentlich, sollte andernorts mal den Großstadtmief auslüften und neue Perspektiven entdecken.



    Scheinbar ist dieses Wunder eineR Grünen gelungen:



    das Experiment Pöstchen gegen Greenwashing ist in NRW nämlich in die Hose gegangen.



    Wer glaubt, Lützerath, Grüne und das Klima sind ein lokales Problem, wir ,eines Tages, vielleicht ein blaues Wunder erleben.



    P. aka "Ali"

  • Sehe ich ganz anders. Auschließen bietet Klarheit, jedenfalls was die Absicht betrifft. Nachher geht es vielleicht doch nicht anders, aber darum geht es nicht. Es geht um klare Positionierungen, darum, dass der Wähler auch mal ein bisschen Verantwortung übernimmt, statt sich darauf zu verlassen, dass ihn das gegenseitige Ausbremsen der Parteien doch wieder vor allzu viel Veränderung schützt. Letztendlich ist die gefährlichste Krankheit bei uns der Kompromiss, das Verwässern, das Wegverhandeln, das Vertagen.

    • @Benedikt Bräutigam:

      Klare Kante, Verantwortung zeigen... das kann ich mit meiner Stimme zeigen, aber was wenn das Wahlergebnis nicht passt? Wenn keine Mehrheit zusammenkommt. Weiter klare Kante und Koalitionsverweigerung, weil "die gefährlichste Krankheit bei uns der Kompromiss" ist?



      "Nachher geht es vielleicht doch nicht anders, ..." Die darauffolegenden Kommentare und Artikel kennen wir auch schon zu genüge. Thenor: Umfaller, Wahlversprechen gebrochen etc. etc. Die viel gefährlichere Krankheit zwischen Wählern und der eigenen Partei ist die Kompromisslosigkeit, mit der erwartet wird 100% der eigenen Wünsche gegen politische Realitäten durchzusetzen...



      Minderheitsregierungen wäre eine Lösung, aber so etwas ist in D auch nicht umsetzbar, Medientenor: instabil, erpressbar, Bananenrepublik. Tenor in den Kommentaren: die tolerierende Partei treibt die Regierung vor sich her, eine Tolerierung ist Erpressung, ist politisch nicht ok. Nicht mit denen...etc. etc.