Debatte um Giffey und DW Enteignen: Das Gewissen der Regierenden

Franziska Giffey argumentiert mit ihrem Gewissen gegen eine Umsetzung von DW Enteignen. Den Wahlkampf stachelt die Regierende damit nur an.

Ein Hai und ein Schild auf einer Dmeonstration: "Wer wird uns wieder verraten? SPD"

Weiser Blick in die Zukunft auf einer Demo im September 2021 Foto: Stefan Boness

BERLIN taz | Knapp vier Wochen vor der Wahlwiederholung ist das Thema Enteignung wieder in aller Munde. Dafür gesorgt hat ausgerechnet die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Für sie ist die Debatte nach der Vergesellschaftung der großen privaten Immobilienbestände seit jeher eine Diskussion, die sie am liebsten vom Tisch wischen würde. Einen neuen Versuch dazu hat sie am Montagabend während eines vom Wirtschaftsverband VBKI und dem Tagesspiegel organisierten Podiumsgesprächs der Spit­zen­kan­di­da­t:in­nen unternommen.

Statt wie bisher darzulegen, dass sie die Forderung für nicht zielführend hält – „durch Enteignungen entsteht keine einzige neue Wohnung“ –, argumentierte sie mit Bezug auf ihre DDR-Herkunft und ihrem geleisteten Amtseid, Schaden von der Stadt abzuwenden: „Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, mich für Enteignungen einzusetzen.“

Noch wenige Tage zuvor hörte sich Giffey beim taz-Talk noch weniger entschieden an. Auch dort pochte sie zwar darauf, dass nur Bauen das Wohnungsproblem in Berlin löse, sagte aber zu einem möglichen Vergesellschaftungsgesetz: „Ich möchte, dass wenn wir einen Weg beschreiten, der auch nicht scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht.“ Wer wollte, konnte daraus zumindest eine Offenheit herauslesen, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen – sollte die Expertenkommission aufzeigen, wie es rechtssicher zu machen ist.

Nach einer „roten Linie“, wie sie Enteignungen noch vor der Wahl im September 2021 bezeichnet hatte, hörte sich das jedenfalls nicht an. In der allgemeinen Wahrnehmung steht nun der Gewissensbegriff als Verschärfung ihrer Position.

Kein Schlussstrich

Die CDU forderte, der Positionierung Taten folgen zu lassen und eine Koalition mit der Linken auszuschließen. DW-Enteignen-Mitinitiator Rouzbeh Taheri interpretiert Giffeys Satz gegenüber der taz als Vorbereitung auf ein mögliches positives Votum durch die Enteignungskommission, deren Zwischenbericht bereits angedeutet hatte, dass Enteignungen rechtlich möglich und auch finanzierbar sind. „Mit Berufung auf das Gewissen ist man quasi von allen Zwängen befreit“, so Taheri.

Podium I Unter dem Motto „Bezahlbare Mieten: Volksentscheid umsetzen“ lädt die Berliner Linke-Fraktion am Freitagabend ins Café Sibylle, Karl-Marx-Allee 72, zu „Vergesellschaftungsgesprächen. Neben Ver­tre­te­r*in­nen von DW Enteignen wird Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) erwartet. Los geht es um 18 Uhr, es gibt einen Livestream auf Youtube.

Podium II Am Freitag um 19 Uhr ist Linke-Spitzenkandidat zu Gast beim zweiten taz Wahltalk vor der Wiederholungswahl. Livestream auf Youtube.

Sollte es Giffeys Anliegen gewesen sein, einen Schlussstrich unter die Debatte zu ziehen, ist ihr das missglückt. Taheri sagt: „Je mehr von den Geg­ne­r:in­nen eine Umsetzung dementiert wird, desto mehr vergegenwärtigen sich die Wähler:innen, dass es ja noch einen Volksentscheid umzusetzen gibt.“ Zugleich sagte er: „Wenn es ihr Gewissen nicht zulässt, die Entscheidung des Volksentscheides umzusetzen, dann kann sie zurücktreten.“

Diesen Schluss zog auch der ehemalige Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer, der bis 2019 selbst SPD-Mitglied war, in einem Social-Media-Video. In vielen weiteren Reaktionen, etwa auf Twitter, wurde deutlich: Giffeys Positionierung gegen einen mit großer Mehrheit beschlossenen Volksentscheid wird als Anmaßung und Affront gesehen.

Für die Linke, für die eine Koalition mit der SPD die einzige Machtperspektive ist und die die Wahl am 12. Februar zur „Mietenwahl“ machen will, ist Giffeys Aussage Wahlkampfstoff. „Dass sich Giffey weigert, den Volksentscheid umzusetzen, und das auch noch ankündigt, ist dreist“, sagt ihr mietenpolitischer Sprecher Niklas Schenker.

Zugleich gab er sich optimistisch: „Giffey muss sich ja nicht für den Volksentscheid einsetzen, sie muss nur zulassen, dass der demokratische Wille umgesetzt wird, und den Prozess nicht blockieren.“ Zudem verwies Schenker darauf, dass Enteignungen in Deutschland etwa für Autobahnen gängig sind, Giffey aber nur Gewissensprobleme bekomme, wenn es „ums Gemeinwohl und die Sicherung bezahlbaren Wohnraums“ gehe. Die Linke strebt die Erarbeitung eines Vergesellschaftungsgesetzes noch in diesem Jahr an. Einen detaillierten Zeitplan will die Partei auf einer Veranstaltung am Freitag vorstellen.

Abwahlkampf

Für DW Enteignen steht indes schon lange fest, dass die „Verhinderer der Umsetzung“ abgewählt gehören. Auf der Seite dwe-wahl.de führt die Initiative deshalb die Positionierungen aller Par­la­men­ta­rie­r:in­nen und Kan­di­da­t:in­nen auf. Demnach sind alle Linken-Abgeordneten für die Vergesellschaftung, 28 von 32 Grünen-Abgeordneten und 9 von 36 der SPD.

Besonders im Fokus der DWE-Wahlkampagne steht SPD-Bausenator Andreas Geisel, dessen Direktwahl man verhindern will. Geisel hatte 2021 den Wahlkreis Lichtenberg 6 mit 6 Prozentpunkten Vorsprung vor Norman Wolf von der Linken gewonnen. Bereits am Freitag war DW Enteignen mit einem Infostand am S-Bahnhof Karlshorst präsent; Haustürgespräche sollen folgen.

„Eine Abwahl Geisels wäre ein Signal, dass ihn die Wäh­le­r:in­nen nicht für den geeigneten Senator halten“, so DWE-Sprecherin Veza Clute-Simon. Ebenso aktiv sei man im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf 1, um die Wahl des SPDlers Christian Hochgrebe zu verhindern. Dem wirft die Initiative „problematische Verstrickungen mit der Immobilienwirtschaft“ vor.

Immo-Spende an SPD

Dass sich Teile von dieser von der SPD etwas erwarten, zeigt sich auch an einer Spende, die die Partei vor der Wahl im September 2021 erhielt. Der taz liegt eine Zuwendungsbestätigung durch den SPD-Landesverband Berlin über eine Spende in Höhe von 9.999 Euro durch die Primus Immobilen AG vor. Primus ist nach eigenen Angaben ein „Immobilienentwickler im Premium-Segment“, betreibt Luxus-Sanierungen und baut Eigentumswohnungen. Ein Dankesschreiben ziert die Unterschrift von Franziska Giffey und enthält das Angebot: „Sie können mich bei Fragen oder Anregungen gerne direkt ansprechen.“

Die Partei muss die Spende nicht öffentlich machen, weil sie unter der Grenze von 10.000 Euro liegt, ab der das Parteiengesetz zur Transparenz verpflichtet. Den gesetzlichen Pflichten komme man „selbstverständlich nach“, heißt es von der SPD auf taz-Anfrage. Darüber hinaus aber erteile man „keine weiteren Auskünfte zu Spenden“.

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