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Wahlergebnis der GrünenGlaube, Liebe, Hoffnung

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die Grünen haben bei den Landtagswahlen zugelegt. Die Realität ist aber weniger schmeichelhaft – nicht nur, was die Zahlen angeht.

Grüne Runde am Politischen Aschermittwoch: Annalena Baerbock, Winfried Kretschmann (m) und Robert Habeck Foto: Kay Nietfeld/dpa

A uf den ersten Blick sind die Grünen die Sieger dieser Landtagswahlen. In Baden-Württemberg liegt Winfried Kretschmann unangefochten vorn – und kann sich die Partner aussuchen. Und in Rheinland-Pfalz haben die Grünen zugelegt. Liegt Parteichef Robert Habeck also richtig, wenn er schwärmt, die grüne Dynamik setze sich fort und sie hätten im Bund die Chance, „das Unwahrscheinliche möglich zu machen“?

Etwas Wasser in den Biowein gießen sollte man dann doch. Die Grünen müssen sich im Bund inzwischen an dem Maßstab messen lassen, den sie selbst an sich anlegen. Zur Erinnerung: Habeck und seine Co-Chefin Annalena Baerbock wollen die Union im Kampf um Platz 1 im Parteiensystem herausfordern und ins Kanzleramt einziehen. Sie fordern eine radikale Transformation, die Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad bringt.

Solche Chuzpe orientiert sich nicht an der Wirklichkeit – die Wahrscheinlichkeit eines oder einer grünen KanzlerIn ist gering –, sondern an den Gesetzen der Aufmerksam­keits­öko­no­mie. Habeck und Baerbock wollen den Wahlkampf als Aufholjagd inszenieren. Sie wissen: Um im Gespräch zu bleiben, braucht es eine Erzählung, die für Spannung und Nervenkitzel sorgt. Das Unwahrscheinliche, um Habeck zu zitieren, muss möglich sein.

Deshalb fällt der zweite Blick auf die Ergebnisse für die Grünen nicht ganz so schmeichelhaft aus. In Rheinland-Pfalz liegen sie unter der Zweistelligkeit und deutlich hinter den Prognosen, die sie vor wenigen Wochen bei 14 oder 15 Prozent sahen. Die Grünen haben die Dynamik also nicht in die Wirklichkeit übersetzt. Und Kretschmanns behutsame Status-quo-Anpassung in Baden-Württemberg reicht nicht, um auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. Das Land bleibt hinter Klimazielen zurück, obwohl er seit zehn Jahren regiert.

Hinter dem Erfolg verbergen sich also valide Hinweise, dass die Grünen auf mehreren Ebenen mit unhaltbaren Versprechen unterwegs sind. Wenn selbst ein grüner Regierungschef angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise zu langsam agiert, was bleibt den Grünen dann noch – außer dem Prinzip „Glaube, Liebe, Hoffnung“?

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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10 Kommentare

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  • Übrigens wäre in Baden-Württemberg auch eine CDU/SPD/FDP-Koalition mit einer Mehrheit von 4 Stimmen möglich. Ein Ministerpräsident Kretschmann würde dazu gut passen. Er wäre dann auch von der Pflicht befreit, der Mehrheit seiner Partei, wie damals Joschka Fischer, ab und zu ein paar Bonbons in Form von Klimakatastrophengeschwafel hinzuwerfen. Damit könnte Baden-Württemberg wieder an seine führende Rolle in der Wirtschaft, im Sozialen und in der Bildung anknüpfen, die es zusammen mit Bayern jahrzehntelang spielte. Der Gesamtweltcup aller Weltregionen in diesen Disziplinen wäre dann wieder in Reichweite. Nebenbei: Der jährliche Treibhausgasausstoß in Baden-Württemberg ist mit weniger als 7 Tonnen pro Kopf geringer als der weltweite Durchschnitt aller rund 200 Staaten.

  • Filz und Klüngel, mit welchen Parteien verbinden die Wähler:innen diese Begriffe? Die sog. Volksparteien haben jahrzehntelang in einer Art Geflechte der Machterhaltung entwickelt, die Attribute des kritikwürdigen Establishments offenkundig widerspiegelt, wie sie dem Populismus im die Karten spielen. Das Benennen von Amigoauswüchsen war auch in den USA fettes Futter für den Twitter-Präsidenten. Paradox, dass dann statt ein Herakles, der die Ställe des Augias ausmistet, dort ein bronzener Egomane mit Zampanokultur inauguriert werden konnte, der Meritokratie und Plutokratie als Galionsfigur und als Boss eines Clans des perfektionierten Bereicherungshungers gleichzeitig verkörperte. Saturierte und selbstgefällige, verhängnisvoll durch Lobbyismus verstrickte und somit nicht mehr unabhängige Politiker:innen, das geisselt der Volksmund gerne, auch die schreibende Zunft der Kritiker: Politische Kaste oder Klasse (ohne dieselbe). Dreyer und Kretschmann heben sich durch ihre Authentizität deutlich ab von den jungen Berufspolitiker:innen, die dynamisch Fremd- und Eigeninteressen in Deals verbinden, teils transatlantisch und immer karrierebewusst. Wenig vortrefflich für die Allgemeinheit, aber persönlich vorteilhaft. Dass wir die Regierungen bekommen, die wir verdienen, müssen wir uns verdienen, indem wir diejenigen, die nur an uns verdienen wollen, aus der Kette der Selbstbedienung entfernen: Wegen mangelnder Verdienste um das Amt, das Volk/ den Staat und unsere gemeinsame Zukunft. Die Telegenen der Ersten Reihe in den Volksparteien hatten wegen der bleibenden Nebenverdienste den Landwirt beispielhaft im Fokus der Erklärungen: Ran an die Forken, zunächst unter dem eigenen Dach! Bauer sucht Mist, ein neues Format.

  • " Wenn selbst ein grüner Regierungschef angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise zu langsam agiert, was bleibt den Grünen dann noch – außer dem Prinzip „Glaube, Liebe, Hoffnung“?"

    gute frage :! und da sie kirchentagstauglich in ein Paulus - zitat verpackt ist -kommt die versuchung auf sie gnostisch zu beantworten:das was den grünen



    und vielen oder den meisten ihrer waehler*innen fehlt ist die erkenntnis die auf griechisch Gnosis genannt wird:

    hier ein zitat aus einem der texte des valentinianismus indem die gnostische vierheit von

    "Pistis Elpis Agape und Gnosis" auf ein sehr grünes thema -die landwirtschaft und auf die vier elemente bezogen wird:

    ": Die Landwirtschaft der Welt (besteht) durch vier Dinge. Man erntet in die Vorratskammer durch Wasser und Erde und Wind und Licht. Die Landwirtschaft G_ttes (besteht) ebenso durch vier: (durch) Glauben und Hoffnung und Liebe und Erkenntnis. Unsere Erde ist der Glaube, in dem wir Wurzel fassen. Das Wasser [aber] ist die Hoffnung, durch sie ernähren [wir uns]. Der Wind ist die Liebe, durch ihn wachsen wir. Das Licht aber ist die Erkenntnis, durch sie r[eifen] wir."

    (evangelium nach Philippus 115 )

    im valentinianismus gibt es noch eine weitere möglichkeit die christliche trias von Pistis Elpis und Agape zu ergänzen

    denn in einem anderen valentinianischen lehrsatz folgen auf Pistis Elpis und Agape die Synesis die Makariotes(Seligkeit) und die Sophia(Weisheit)

    de.wikipedia.org/wiki/Valentinianismus

    der begriff Synesis ist schwer zu übersetzen:(Synesis is a traditional grammatical/rhetorical term derived from Greek σύνεσις (originally meaning "unification, meeting, sense, conscience, insight, realization, mind, reason")

    die instrumentalisierung von religion für politik ist immer der falsche weg-und nie gut und sollte unterbleiben aber auch wähler*innen politischer parteien sind wie alle menschen der selbsterkenntnis verpflichtet



    wenn s daran fehlt ist das nötige in der regel nicht möglich

  • Die Antwort auf die Frage des Autors gibt Baden-Würtemberg: Kretsch gab und gibt keine 'unhaltbaren Versprechen' ab Vielmehr folgt er dem Primat des Automobil-Standorts Baden-Württemberg. Deshalb abtwortete am Wahlabend konnte der neoliberale FDP-Spitzenkandidat süffisant auf die Frage, wie er sich eine Koalition mit den Grünen vorstellen könne: Kretschmann setze sich ja für die Zukunft des Verbrennungsmotors ein. Wer glaubt dem Mischterpräsidenten sein Credo: Klima Klima Klima. Zehn Jahre Versagen im Umweltschutz in Baden-Württemberg stehen dem entgegen. Eine Ampeloption böte den Grünen die Möglichkeit, ihre Partner für erneute faule Kompromisse verantwortlich zu machen. Die Wahltaktik der Grünen, sich als CDU-light Version zu präsentieren, kam beim Wähler an. Man fischte im CDU-Wählerpotential und konnte deshalb auf die Stimmen kritischer Umweltschützer gerne verzichten....

  • Ja wie? - 🎠 -

    “ Wenn selbst ein grüner Regierungschef angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise zu langsam agiert, was bleibt den Grünen dann noch – außer dem Prinzip „Glaube, Liebe, Hoffnung“?“

    kurz - Stimmt schonn.



    Wennste das Fotto siehst.



    Der Stifftekopp wie Martin Niemöller 😂



    Herbie ringt die Hände => Annalena -



    Hett alls wigger - Kobold - jessat! Gell.



    Na - Si’cher dat. Dat wüßt ich ever.



    Da mähtste nix. Normal.



    „Glaube, Liebe, Hoffnung“?“

    Na Mahlzeit - 🎏 -

    • @Lowandorder:

      Ach was!

      🥚jòò „Glaube, Liebe, Hoffnung“?“🥚jòò

      Nö. Siehste doch auffen 2. Blick - 🎎 -



      Eves so Glaube, Lüge, Statistik 📈 📊 📉

      • @Lowandorder:

        Anyway “…& Geld ist das Wichtigste von den Dreien!“ - Volkers 👄 - 😂 -

  • Der Kampf gegen die Klimakrise ist nun mal nicht allein über zivilen Ungehorsam zu gewinnen - da braucht es eine klare Machtperspektive:

    "Bei nüchterner Betrachtung der real existierenden politischen Verhältnisse in Deutschland muss die Klimabewegung zu dem Schluss kommen: Nur die Unterstützung der Grünen KanzlerInnen-Kandidatur bietet die Aussicht, dass die Klimakrise wirksam bekämpft werden könnte in Deutschland – und in Europa."

    www.klimabuendnis-...tte-gruen-waehlen/

  • Rheinland-Pfalz kann man auch ganz anders sehen: Die Landtagswahl war sehr von der Person Malu Dreyer dominiert, da ist der Stimmenzuwachs der Grünen ein Erfolg. Bei der Kommunalwahl 2019 war der Stimmanteil landesweit mit 16,1% wesentlich höher. In einigen Städten (unter anderem der Landeshauptstadt Mainz) sind sie stärkste Partei.

  • "In Rheinland-Pfalz liegen sie unter der Zweistelligkeit und deutlich hinter den Prognosen, die sie vor wenigen Wochen bei 14 oder 15 Prozent sahen."

    Mal ernsthaft, wollt ihr eure Leser verdummen oder euch selbst? Wenn ihrt Umfragen lesen könnt dann werdet ihr sicher sehen können dass da Landesmutter Dreyer auch auf Kosten der Grünen zugelegt hat - aber dass das Wahlergebnis von rot-grün zusammen besser ist als jede Umfrage seit März 2018. Und mal ernsthaft, wenn es darum geht die CDU abzulösen ist es doch ziemlich egal ob jetzt die SPD oder die Grünen dazugewinnen...