Wahlen in Georgien: „Unser Blut kocht“
Die georgische Staatspräsidentin spricht von Wahlmanipulation und ruft die georgische Bevölkerung zu Protesten auf. Es ist fraglich, ob das helfen wird.
Laut Zurabischwili sind die Abstimmungsergebnisse völlig zugunsten der Regierungspartei Georgischer Traum (KO) manipuliert worden. Die Georgier*innen rief sie dazu auf, sich am Montagabend an Protesten vor dem Parlament zu beteiligen. „Wir sind Zeug*innen und Opfer einer russischen Spezialoperation geworden, einer neuen Form eines hybriden Krieges gegen unser Volk und unser Land“, sagte sie.
Das Präsidentenamt sei die einzige noch unabhängige Institution in Georgien. Überdies appellierte sie an die internationale Gemeinschaft, die Wahlen ebenfalls nicht anzuerkennen. Jede/r im Ausland müsse verstehen, dass Georgiens Zukunft und die geopolitische Balance in dieser Region zu schützen heiße, an der Seite Georgiens zu stehen und keine Beziehungen zu der illegitimen Regierung des Georgischen Traums aufzunehmen, so die Präsidentin. Am Montag forderten die USA und die EU zwar eine Untersuchung der Wahl, sie gingen aber nicht so weit, das Ergebnis als solches nicht anzuerkennen. Auch die Bundesregierung will den Abschlussbericht der internationalen Wahlbeobachter abwarten.
Zahlreiche Verstöße gegen das Wahlrecht
Gleichzeitig sprach die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) von erheblichen Verstößen. Bei der Wahl am Samstag hatte der KO offiziellen Ergebnissen zufolge knapp 54 Prozent der Stimmen bekommen. Darüber hinaus werden vier oppositionelle Gruppierungen, die den Sprung über die Fünfprozenthürde geschafft hatten, im neuen Parlament vertreten sein. Sie kommen zusammen auf 37 Prozent der Stimmen. Vertreter*innen von internationalen und lokalen Wahlbeobachtungsmissionen hatten am Wahltag zahlreiche Manipulationsversuche und Verstöße gegen das Wahlrecht zu Protokoll gegeben.
Weitere Vertreter*innen der Opposition hatten am Sonntag angekündigt, dass sie das Ergebnis nicht anerkennen werden. Darunter sind das Bündnis Einheit – nationale Bewegung, das auf 10,16 Prozent der Stimmen kam, sowie die Koalition für Veränderungen (11,4 Prozent) und Starkes Georgien (8,8 Prozent).
Dass die Präsidentin klar und deutlich Position für die Opposition bezieht, kommt nicht überraschend. Bei den Präsidentschaftswahlen 2018 hatte noch der KO ihre Kandidatur unterstützt. Spätestens mit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 kam es jedoch zunehmend zu Differenzen zwischen Zurabischwili und dem KO. Im September 2023 initiierte die Regierung ein Amtsenthebungsverfahren gegen Zurabischwili, da sie ohne deren Genehmigung zu Staatsbesuchen ins Ausland gereist war. Das Verfahren scheiterte.
Im Mai 2024 legte Zurabischwili ein Veto gegen das sogenannte Agentengesetz zur Kontrolle der Zivilgesellschaft ein. Am 7. Oktober 2024 kündigte Parlamentspräsident Schalwa Papuaschwili die Einleitung eines erneuten Amtsenthebungsverfahrens gegen Zurabischwili an, da sie mit ihren unautorisierten Auslandsbesuchen „kontinuierlich gegen die Verfassung verstoße“. Ende dieses Jahres läuft ihre Amtszeit aus. Das nächste Staatsoberhaupt wird nicht mehr direkt, sondern vom Parlament und lokalen Volksvertretungen gewählt. Ob Zurasbischwii noch einmal antritt, ist unklar.
„Unser Blut kocht“
Gegen 18.30 Uhr Ortszeit haben sich bereits hunderte von Menschen vor dem Parlamentsgebäude versammelt. Der georgische Politologe Gia Nodia ist jedoch skeptisch, ob Proteste in der gegenwärtigen Situation überhaupt etwas bewirken können. „Demonstrationen wird es geben. Aber mit Massenprotesten, die zu greifbaren politischen Ergebnisse führen, rechne ich nicht“, zitiert ihn der russischsprachige Dienst der BBC.
Arnold Stepanyan von der Nichtregierungsorganisation „Bewegung für ein multinationales Georgien“ (PMMG), die sich für die Rechte von ethnischen Minderheiten in Georgien einsetzt, schließt nicht aus, dass es bei den Protesten zu gewaltsamen Zusammenstößen kommen könnte. „Unser Blut kocht. Wir können uns nicht zurück halten, Entscheidungen werden hier emotional getroffen“, sagt er. „Und dann kann alles passieren.“
Während die Protestaktion in Tiflis beginnt, soll auch der ungarische Premierminister Viktor Orbán mit einigen seiner Minister in der georgischen Hauptstadt landen. Ungarn hält derzeit die EU-Ratspräsidentschafts inne. Orbáns Besuch wird als Provokation bewertet. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell betonte am Montag: „Was auch immer Herr Orban während seines Besuchs sagt, er vertritt nicht die Europäische Union.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken