Wahlen in Brandenburg: Es regiert die Angst
Die AfD ist zwar unter 30 Prozent geblieben. Doch sie schafft eine Stimmung, in der Widerspruch ständige Gefahr bedeutet.
B ei den einen brennt es hinter dem Haus. Der andere wird auf der Straße geschubst. Die Nächste wird verprügelt. Es sind Freund:innen, denen so etwas passiert. Freunde von Freunden. Bekannte und Freundinnen von Bekannten. Es passiert ihnen in den Wochen vor der Wahl. Vor den 29,2 Prozent für die AfD, bevor sie zweitstärkste Partei hinter der SPD wird und damit eine Sperrminorität im Brandenburger Landtag hat.
Die Menschen, die diese Gewalt erfahren, sind schwul, sie haben Plakate aufgehängt, die nicht für AfD, Der III. Weg oder eine andere rechtsextreme Partei werben, sie arbeiten am Theater, betreiben das irgendwie linke, alternative Kulturding zwischen Jugendclub und Café in einer Kleinstadt, haben Eltern, die nicht aus Deutschland kommen, sind Politiker:innen im Stadt- oder Gemeinderat. Manche sind bedroht worden, bevor ihnen Gewalt angetan wurde, für andere kam es überraschend.
Sie alle wollen nicht öffentlich reden. Sie wollen nicht, dass darüber geschrieben wird, jedenfalls nicht so, dass sie erkennbar sind. Sie alle haben keine Anzeige erstattet.
„Dann fühlen die sich ermutigt.“
„Anderen passiert Schlimmeres.“
„Auf keinen Fall, in der Anzeige würde mein Name stehen.“
„Ich habe Kinder.“
Ständige Drohung
Journalist:innen werden in den nächsten Tagen über Koalitionen schreiben. Es wird Erleichterung zu lesen sein, darüber, dass die AfD nicht mitregiert. Erleichterung gab es im Fernsehen bei manchen schon gleich nach der Wahl. Weniger als 30 Prozent für die AfD fühlen sich für die, die sich diese Erleichterung leisten können, an wie weniger als fünf Prozent. Wer aber nicht zu hören sein wird, sind diejenigen, über die ich diesen Text schreibe, ohne wirklich über sie zu schreiben.
Die AfD wird in keinem ostdeutschen Bundesland mitregieren. Aber die Angst vor ihr regiert bereits. Oder genauer: Es regiert die Angst davor, was die Partei mit ihren Erfolgen im täglichen Miteinander befördert. Allem Nicht-Zustimmen, allem Streit, allem Sich-erkennbar-anders-Zeigen ist eine Drohung eingeschrieben.
Man fragt sich: Ist das gerade eine politische Diskussion mit den Männern im Verein oder schon die erste Stufe einer Schlägerei? Sage ich in der Eltern-Whatsapp-Gruppe noch was zu denen, die darüber schreiben, alle Grünen aufzuhängen, oder bin ich lieber still? Warum ist die Lehrerin, die sonst immer den Mund aufgemacht hat, plötzlich so ruhig?
In Brandenburg hat die AfD Stichwaffen als Wahlkampfgeschenke verteilt. Sie hat nach der Wahl ein Partyvideo veröffentlicht, in dem AfD-Politiker:innen übers Abschieben singen und dazu tanzen. Um sie herum und die anderen rechtsextremen Parteien hat sich eine rechte Zivilgesellschaft gebildet. Vereine, Bürgerinitiativen, lose Cliquen von Unterstützern.
Man murmelt übers Murmeln
Es ist eine journalistische Zumutung, diesen Text so zu schreiben. Journalist:innen sollen sagen, was ist. „Stattdessen murmelt man über ein Murmeln“, sagt eine Kollegin, die in Brandenburg wohnt. Ich rufe sie an und bitte um Rat, wie man über Menschen schreibt, die nicht wollen, dass man über sie schreibt. Sie hat keinen.
Es kann sein, dass es in Brandenburg, in Ostdeutschland, erst einmal wieder leiser wird. Dass gar nicht so viel zu lesen und zu hören sein wird über Bedrohungen durch Rechtsextreme, über Einschüchterungen, über Gewalt. Dass man in den kommenden Wochen und Monaten in Berlin und Köln und vielleicht auch in Leipzig den Eindruck gewinnen könnte, es sei doch gar nicht so schlimm gekommen mit dieser AfD.
Es wird in Ostdeutschland eine Realität geben, die sich nicht widerspiegeln wird in der Kriminalstatistik, in Zitaten in Zeitungen, in Gesichtern im Fernsehen. Verantwortlich dafür sind nicht allein die Rechtsextremen.
Es wird genügend Bürgermeister:innen in Ostdeutschland geben, die das, was an Gewalt doch an die Öffentlichkeit kommt, kleinreden werden. Unser Ort hat kein Naziproblem.
Die Angst ist universell
Es wird genügend Wohlmeinende geben, die sagen, dass im Osten nicht alle Nazis sind.
Es wird genügend Lokalzeitungen geben, die über vieles nicht schreiben. Oder vielleicht schreiben sie, aber dann von einer Schlägerei zwischen Jugendlichen, auch wenn es ein Angriff Rechtsextremer war.
Es wird das alles geben. Das alles gibt es seit Jahrzehnten. In den 1990er Jahren konnte man sich in Ostdeutschland nicht einmal auf linke Politiker:innen verlassen, wenn es darum ging, rassistische und nazistische Gewalt zu benennen.
Die Angst, man könnte der nächste von Faschisten Bedrohte sein, wenn man etwas gegen sie sagt, ist universell. Man kann sie bei alten Kommunistinnen unter süditalienischer Sommersonne erleben und bei jungen Journalist:innen in westdeutschen geklinkerten Mittelstädten.
Ich überlege mir inzwischen selbst sehr gut, an welchen Orten ich was sage. Ich lasse mich von Freund:innen und Verwandten von Veranstaltungen abholen. An dieser Stelle keine wohlfeilen Ratschläge aus Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich