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Wahl in der TürkeiVerhaltene Glückwünsche

Die Reaktionen auf Erdoğans Wahlsieg sind vor allem in Europa zaghaft. EVP-Chef Manfred Weber spricht sich gegen EU-Beitritt aus.

Sieht keine Hoffnung mehr für eine türkische EU-MItgliedschaft: Manfred Weber (CSU) Foto: Tom Maelsa / dpa

Brüssel/Berlin taz | Nach dem Sieg Erdoğans bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei übt sich die Weltgemeinschaft in höflichen Floskeln. Er freue sich weiterhin als Nato-Partner an bilateralen Themen und gemeinsamen globalen Herausforderungen zu arbeiten, erklärte US-Präsident Joe Biden. Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, Deutschland und die Türkei seien enge Partner und Alliierte. Auch gesellschaftlich und wirtschaftlich sei man stark miteinander verbunden. „Nun wollen wir unsere gemeinsamen Themen mit frischem Elan vorantreiben“, so Scholz.

Auch die Reaktionen aus Brüssel fallen verhalten aus. Die Nato und die EU haben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zwar bereits am Sonntag zu seiner ­Wiederwahl gratuliert. Doch in die Grüße mischten sich auch Misstöne – die Beziehungen sind seit Jahren angespannt. „Glückwünsche zu Ihrer Wiederwahl, Präsident“, erklärte Nato-­Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Es sei von „strategischer Bedeutung sowohl für die EU als auch für die Türkei, an einem Ausbau dieser Beziehung zu arbeiten“, betonte EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen. Den EU-Beitrittsprozess erwähnte sie nicht. Der liegt seit Jahren auf Eis, Besserung ist wegen des autoritären Gehabes Erdoğans auch nicht in Sicht.

Es blieb dem Chef der konservativen Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, überlassen, Klartext zu reden: „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass eine enge Partnerschaft wichtig ist, eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU allerdings niemand mehr will“, sagte der CSU-Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Özdemir kritisiert Erdoğan-Wähler*innen in Deutschland

Wie ein Neustart aussehen soll, ist unklar. Die EU hat bis zur Wahl nichts unternommen, um die Beziehungen neu zu ordnen. Selbst für eine Demokratisierung in der Türkei hat sich in Brüssel niemand starkgemacht. Das Europaparlament hat nicht einmal Wahlbeobachter geschickt, wie sonst üblich. Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg hielt sich zurück. Er will Schweden in die Nato holen, doch bisher blockiert die Türkei den Beitritt. Die Entscheidung soll beim Nato-Gipfel im Juli in Vilnius fallen – bis dahin will er alles vermeiden, was Erdoğan verstimmen könnte.

Hierzulande entbrannte dagegen erneut eine Diskussion über das Wahlverhalten der rund 1,5 Millionen wahlberechtigten Tür­k:in­nen in Deutschland. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) hatte via Twitter Kritik an den Menschen geäußert, die Erdoğan im Exil wählen und nicht für die Folgen ihrer Wahl in der Türkei einstehen müssten. „Das müssen viele Menschen in der Türkei durch Armut & Unfreiheit. Sie sind zu Recht wütend“, so Özdemir. Mehrere Hundert Erdoğan-Anhänger:innen hatten sich etwa in Berlin, Düsseldorf, Dortmund und Mannheim versammelt.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler unterstützte Gespräche mit Deutschtürk:innen, die Erdoğan gewählt hatten, „obwohl sie in einer Demokratie leben“, twitterte Güler. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, wies dagegen darauf hin, dass sich offenbar viele Menschen nicht mit diesem Land identifizierten. „Je mehr Bashing gegenüber den Wählerinnen und Wählern betrieben wird, desto mehr und entschlossener gehen die Menschen auch zur Wahl“, sagte Sofuoglu. „Man könnte gerade auch die Menschen, die so politisiert sind, so aktiv in der Politik sind, auch mal für die deutsche Politik gewinnen.“ Laut amtlichen Ergebnis haben rund 67 Prozent bzw. mehr als 470.000 Türk:innen, die in Deutschland leben, Erdoğan gewählt.

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7 Kommentare

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  • Wir machen uns hier Deutschland mehr Gedanken und Sorgen über die Wahlen und dem Ergebnis in der Türkei als über das immer mehr erstarken von rechtsgerichtete Parteien. Geht der Trend zur weiter wird die AFD bald über 20% liegen und die Grünen und die SPD überflügeln. Die Angelegenheiten im Ausland sollten nicht über die Probleme der Innenpolitik unseres Landes stehen!

    • @aberKlar Klardoch:

      Dieser Einwand kommt überraschend spät, schließlich war der Höhepunkt dieser Tendenz bereits 2017 erreicht als Trump die Wahlen gewonnen hat - dagegen ist doch das bisschen Rumgeätze gegen Erdogan ein Witz.

      Stellen Sie sich vor in irgendeiner Stadt hätten 65% für die AfD gestimmt, die mediale Resonanz wäre um ein vielfaches größer.

      • @Questor:

        Am Tag 1. Wahltag in der Türkei wurde auch in Deutschland gewählt. Es gab eine Stichwahl um das Amt des Landrates im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg), bei der die AfD an diesen Sonntag fast gewonnen und bundesweit zum ersten Mal den Landrat gestellt hätte. Mit 47,6% verfehlte der AfD-Kanditat nur knapp das Ziel. Das ein AfD-Kandidat überhaupt so weit gekommen ist 8Stichwahl), müsste unser Land zu Sorge veranlassen. Stattdessen schauen wir was in der Türkei passiert!

  • “ Bundeskanzler Olaf Scholz betonte, Deutschland und die Türkei seien enge Partner und Alliierte.”

    Das wird die vielen deutsch-türkischen Erdogan-Wähler*innen aber freuen!



    Kein Öl aus Russland, aber fröhliches Händeschütteln mit einem demokratiefeindlichen brutal gegen Freidenker*innen agierenden Autokraten!

    Weiter so …

  • Die Türkei hat momentan keine Chance, in die EU zu kommen. Aber langfristig halte ich das für ein sinnvolles Ziel. Allerdings hat die Türkei in der Vergangenheit das Thema Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Medienfreiheit und Versammlungsfreiheit nicht verbessern können. Auch vor Erdogan haben 'demokratische' Parteien unglaubliche Dinge gegen politische Gegner und Minderheiten gemacht. Folter und unfaire Gerichtsverfahren gab es einige. Die EU hat schon Orban und verrückte Regierungen in Polen an der Backe, es kann so nicht weitergehen. Wäre die Türkei ein Mal da so drinnen ... Aber die CDU hätte auch anders umgehen können, Kohl hat da viel Mist gemacht.

    • @Andreas_2020:

      Helmut Kohl hat ja noch 1994 geglaubt, dass die sog. Gastarbeiter wieder zurück in ihre Heimatländer gehen würden. Und da nicht sein durfte, was nicht sein konnte, war das Thema Migration und Einwanderung nach DE lange Zeit ein Tabu-Thema für den »Club Der Ungleichen«.



      Aber zur Wahrheit gehört auch, so ganz allein waren sie damit nicht.



      Und ehrlich gesagt bin ich auch froh darüber, dass die Türkei Erdogans nicht Mitglied in dieser EU ist. Denn diese ist arg reformbedürftig, weil Teile der »neuen« Mitglieder seit den 1990ern nicht wirklich in die Werte- und Moralvorstellungen der EU integriert sind oder sich nicht integrieren lassen wollen. Orbans Ungarn ist dabei nur die weithin sichtbare Spitze des Eisbergs.



      Ohne echte Reformen INKLUSIVE der Möglichkeit des Ausschlusses eines Mitgliedslandes nach vorher allgemeinverbindlich festgelegten und erfolgten fruchtlosen Sanktionen sehe ich schwarz für die langfristige Zukunft dieser wirklich tollen, guten und friedensstiften wie friedensbewahrenden Idee - leider.

  • Weber - brennt für die EU?

    Habe den in BR 3 (Sonntag ab 11.00 Uhr sehen heißt verstehen) gesehen. Gehört habe ich nur: ich brenne für Europa, meint: Orban und Postfaschisten aus Italien und und und. Ich brenne für einen Posten egal welcher, es muss halt einer sein, nachdem mich in der Provinz im Süden keiner will.

    Jedenfalls gehen auf den 95% der AKP Wähler, die es vorher (noch) nicht wahren.