Wahl in Russland: Der Bär und seine Taiga
Um Putin am Sonntag wieder als Präsidenten in den Kreml einziehen zu lassen, setzt das Regime auf eine Illusion einer freien Meinungsäußerung.
![Ein weibliches Mitglied der Wahlkomission steht mit einer tragbaren Wahlurne neben einem blauen Schneeräumer auf einem schneebedeckten Platz Ein weibliches Mitglied der Wahlkomission steht mit einer tragbaren Wahlurne neben einem blauen Schneeräumer auf einem schneebedeckten Platz](https://taz.de/picture/6885824/14/34881096-1.jpeg)
Der Clip ist sein Wahlclip. „Sie werden immer versuchen, den Bären an die Kette zu legen. Und wenn sie es geschafft haben, werden sie ihm seine Zähne und Krallen ausreißen und sich später auch die Taiga unter den Nagel reißen. Doch seine Taiga gibt der Bär niemals her. Ich denke, das sollte jedem klar sein“, heißt es in bestimmtem Ton darin.
An diesem Sonntag will Putin mit seinen 71 Jahren, nach einer dreitägigen Abstimmung, wieder als Präsident in den Kreml einziehen. Er, der russische Bär, der sich die Taiga, das Territorium, das Putin für seins hält – also auch die besetzten ukrainischen Gebiete –, von niemandem nehmen lässt.
Keiner in Russland und auch außerhalb des Landes hat jeglichen Zweifel daran, dass Putin zum fünften Mal Präsident wird. Der Kreml hat bereits vor einem halben Jahr die Zustimmungsrate auf 80 Prozent angesetzt. Es ist eine langweilige Abstimmung im totalitären Regime. Und doch braucht Moskau diese Illusion einer freien Meinungsäußerung als Ausdruck des Volkswillens. Zudem lässt sich mittels Wahl die Effektivität einzelner Beamt*innen überprüfen.
Wahltipps in Reimform
Putin legt Wert darauf, dass alles, was er tut, eine rechtliche Form hat, mögen die Gesetze auch lediglich für den Kreml geschrieben werden. So kann er seine Wiederwahl als eine Art Nachfrage der Bevölkerung verkaufen, auf die der Staat unermüdlich Antworten suche. Dafür tut dieser bereits im Vorfeld einiges. Seit dem 25. Februar lässt das Regime in weit entfernten Regionen wählen.
Rentierzüchter, Mitarbeiter*innen in Polarstationen, Schichtarbeiter auf Gasfeldern, Grenzbeamte, aber auch Menschen in den besetzten Gebieten der Ukraine und die Militärs haben ihre Stimmen abgegeben. 112 Millionen Russ*innen sind zur Wahl aufgefordert, auch im Ausland, wo in 144 Ländern knapp 300 Wahllokale geöffnet seien, so die Zentrale Wahlkommission, die mit Zeichentrickfilmen die Wahl erklärt, in Reimform.
Auf den Wahlzetteln stehen neben Putin noch drei Namen: Nikolai Charitonow, ein 75-jähriger Kommunist, der zurück in den Sozialismus will; Leonid Sluzki, ein 56-jähriger Nationalist, der auf Vorwürfe der sexuellen Belästigung von mehreren Frauen stolz ist; und der 39-jährige Unternehmer Wladislaw Dawankow von der Partei „Neue Leute“. Keiner dieser drei Männer hat sich in den Abstimmungen im Parlament je gegen Putin gestellt, auch sonst nichts geäußert, das auch nur annähernd regierungskritisch wäre.
Die Wahlkommission hat sorgfältig dafür gesorgt, dass Kandidat*innen mit einer Anti-Kriegs-Agenda etwa gar nicht erst zur Wahl zugelassen wurden. Weder die Lokaljournalistin Jekaterina Dunzowa noch der langjährige Politiker Boris Nadeschdin, beide offene Kriegsgegner, kamen auf die Liste.
Damit die Menschen online abstimmen können – damit lassen sich letztlich leichter Stimmen manipulieren –, haben die Stadtverwaltungen die Aktion „Millionen Preise“ ins Leben gerufen. Zu gewinnen gibt es Restaurantgutscheine, Kleider, smarte Lautsprecher. Gestört werden soll die Party durch eine Aktion, die Alexei Nawalny ins Leben gerufen hatte, als er noch lebte.
Nun fordern seine Anhänger wie auch etliche Oppositionelle, vor allem aus dem Exil, dazu auf, am Protest „Mittag gegen Putin“ teilzunehmen: Am Sonntag um 12 Uhr sollen alle, die ihre Unzufriedenheit ausdrücken wollen, in den Wahllokalen erscheinen und entweder gegen Putin stimmen oder den Wahlzettel ungültig machen. Es ist ein Versuch, in einer Diktatur Mensch zu bleiben. Ausgezählt wird ab Sonntag, 19 Uhr Mitteleuropäischer Zeit.
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