Wagner-Söldner im Nordkaukasus: Kein Recht auf Vergnügen
Ein Kriegsveteran wollte Jugendlichen verbieten zu singen. Auch andere ehemalige Kämpfer sind unangenehm in Russland aufgefallen.
E in Flugzeug des berüchtigten Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin ist über dem Gebiet Twer abgestürzt. Es gibt kaum noch Zweifel daran, dass er selbst im Flugzeug saß und tot ist. Die Unsicherheiten über die Zukunft der privaten Sicherheitsfirma (PCM) Wagner hingegen nehmen zu. Zumal nach Ende des Kriegseinsatzes der Gruppe in der Ukraine einige unangenehme Vorfälle in Russland in Zusammenhang mit ehemaligen Söldnern stehen.
Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.
Im Stadtzentrum von Wladikawkas trafen sich im Sommer Jugendliche, sie tanzten und sangen. Eins dieser Lieder übrigens, das hier gerade häufiger gesungen wird als andere, ist „Zombie“ von der Gruppe The Cranberries. Vielleicht ist es eines der bekanntesten Antikriegslieder der Welt, das die Frontsängerin der Gruppe, Dolores O’Riordan, 1994 schrieb, als durch einen Bombenanschlag der IRA zwei kleine Jungen gestorben waren.
Bis vor Kurzem hat niemand die Jugendlichen bei ihren Treffen gestört. Sie beruhigten die Menschen und gaukelten ein friedliches Leben vor. Doch dieser Frieden endete abrupt. In lokalen Telegram-Kanälen konnte man lesen, dass zu den volkstanzenden Jugendlichen ein, wie er sich selbst vorstellte, „Teilnehmer der militärischen Spezialoperation“ gekommen war und sie grob zurechtgewiesen hatte: Niemand habe das Recht auf Vergnügen, während „unsere Landsleute in der Ukraine kämpfen“.
Augenzeugen dieses Streits haben mir erzählt, dass es fast zu einer Schlägerei gekommen wäre. Und die eben noch tanzenden Jungs plötzlich auch laut und aggressiv wurden. Die Polizei konnte den randalierenden Veteranen gerade noch rechtzeitig wegbringen.
Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art mit einem Frontheimkehrer in Ossetien. So erstach ein ehemaliger Wagner-Söldner, Georgi Siukajew, Kampfname „Arbalet“, im südossetischen Zchinwali auf offener Straße Solan Waliew, einen Mann mit geistiger Beeinträchtigung. Auf einem Internetvideo sieht man, dass er Waliew länger verfolgte, bevor er schließlich mehrfach auf ihn einstach.
Der Grund für diesen Mord ist nicht bekannt, aber die Einwohner von Zchinwali beteuern, dass Solan Waliew ein völlig harmloser Mensch war, der sicher keine Bedrohung für den Wagner-Söldner dargestellt habe. „Arbalet“ sitzt jetzt in Untersuchungshaft und wartet auf seinen Prozess.
der Autor ist Journalist und lebt in Wladikawkas, der Hauptstadt Nordossetiens im Kaukasus. Er schreibt unter Pseudonym.
Schon zuvor hatte Nordossetien der Fall von Wadim Techow erschüttert. Der Mann war wegen des Mordes an seiner Ex-Frau zu 15 Jahren Haft verurteilt worden, kam aber bald wieder frei, weil er sich für die dem Verteidigungsministerium unterstehende Sicherheitsfirma „Sturm-Z“ gemeldet hatte. Dort wurde er wegen Drogenhandels erneut verhaftet, kam aber nicht ins Gefängnis, sondern wieder an die Front.
Jetzt ist Wadim Techow zurück in der Heimat und geht trotz öffentlicher Empörung demonstrativ mit einem Messer auf die Straße. Rechtlich gesehen ist er sauber.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
Ein Sammelband mit den Tagebüchern ist im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg