WM-Kolumne Ordem e Progresso: Freibier vom deutschen Konsulat
In der deutschen Strandbar „Tor“ nahe der Copacabana wird in praller Sonne Freibier gesoffen und Deutschland gegen Portugal geguckt. Die taz war dabei.
I ch habe natürlich auch die vier Freibier getrunken, ist ja klar. Wenn ich schon kein Patriot bin, muss ich wenigstens mittrinken. Es gibt dafür sogar ein Expertenwort: Teilnehmende Beobachtung. Dabei war das Freibier noch nicht mal nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, und das will schon was heißen. Denn diese Party hier schmeißt das deutsche Generalkonsulat in Rio de Janeiro.
Das ist eine Zweigstelle der Deutschen Botschaft, und wenn man dort zum Essen eingeladen wird, also nicht heute, sondern sonst so, dann sieht man Bundesadler auf allem, was sich bedrucken lässt. Während der Weltmeisterschaft ist das Konsulat auch so ein bisschen zuständig für das Heimatgefühl der Deutschen. Da wollte ich mal gucken, wie das so ist: Deutschlandgucken unter Deutschen, aber halt am Strand.
Der Scheiß ist nur, dass an diesem Strandkiosk dauernd das Bild ausfällt. Schon in der 11. Minute, plötzlich so: schwarz. Dann weiter schwarz, schwarz, schwarz, Ton aus, plötzlich schreit einer Elfmeter, dann, 13. Minute, geht der Bildschirm wieder an, da steht‘s schon Einsnull. Das kann man ja nicht wirklich Deutschlandgucken nennen, aber immerhin sind wir zumindest unter Deutschen. Sind bestimmt so 300 Leute hier und bei jedem Tor gibt es ein Freibier, also jetzt kommt schon mal das erste.
Jetzt habe ich hier natürlich schattentechnisch ein Riesenproblem. Es nervt ja ohnehin schon, dass in Salvador dieser bescheuerte Schatten auf dem Platz steht, so dass man immer genau hin gucken muss, wenn der Ball von links nach rechts fliegt oder umgekehrt. Das war sicher überall in Deutschland genauso dämlich wie hier.
Jetzt ist hier aber noch der Pavillon so klein, dass nicht alle drunter passen, also steh ich am Rand, mit den Füßen im Sand, mit dem Bauch im Schatten, aber mit dem Kopf in der Sonne, Gegenlicht, doppeltes Schattenproblem. Dann also immer den Kopf so ducken, raus aus der Sonne, dann die Augen zusammenkneifen und den Salvador-Schatten ausgleichen, dann bisschen mehr nach links, weil da gerade wieder einer aufsteht, da fällt schon das zweite Freibier.
Schon wieder ein Freibier
Dann stehen alle auf und rufen: „Freibier, Freibier, Freibier.“ Ich dachte ja, das wäre ein Werbegag gewesen mit dem Freibier, aber es gibt wirklich bei jedem Tor ein Freibier und weil die Sonne direkt hier auf den Strand knallt, ach, das habe ich ja noch gar nicht gesagt, wir stehen also quasi mitten am Strand, an einer Strandbude in Leme, das ist die Verlängerung von Copacabana, und direkt hier vorne hat der Generalkonsul neulich dutzende Berliner Bären aufstellen lassen, das sind diese hässlichen Plastikviecher, alle ganz bunt angemalt, und die Zeit hat dann einen riesigen Text darüber gebracht, knallt das Bier natürlich auch und ein paar Deutsche sind schon voll heiter und – schon wieder ein Freibier, ich habe doch das letzte noch gar nicht auf.
Naja, da vorne sitzt auf jeden Fall so ein Chefansager, Haarschnitt Typ Wehrmacht, in der Mitte, dem beim Klatschen immer die Oberarme spannen und die Finger so steif werden, der schreit alles vor („Auf geht’s Deutschland, schieß ein Tor“, „Deutschland, Deutschland, Deutschland“, „Freibier, Freibier, Freibier“), ist aber sehr heiser. Ich weiß jetzt nicht, ob das auch der war, der vorhin so laut Uh-Uh-Uh gerufen hat, als Pepe mit Rot vom Platz gestellt wurde, von wegen Rassismus und so, aber ich glaube schon, und das Uh-Uh-Uh war auch nur ganz kurz. Ich mache hier jetzt nicht schon wieder den Spielverderber.
Ansonsten sind alle voll nett hier und ganz gelassen, ich habe mich gerade sehr gut unterhalten und Sie haben die tolle Stimmung doch bestimmt auch selbst im Fernsehen gesehen, bei den ganzen ARD- und ZDF-Reportern, die alle hier sind. Die sagen immer Bescheid, wenn alle jubeln sollen, dann jubeln alle, auch wenn gerade mal wieder nichts im Fernsehen zu sehen ist. Ich habe da aber jetzt nicht mitgemacht, obwohl ich teilnehmender Beobachter bin, aber Sie hätten mich vermutlich ohnehin nicht gesehen, ich stehe ja hier hinten, letzte Reihe, nur mit dem Bauch im Bild.
Aufpassen auf dem Herrenklo
Vor mir hat einer schon fünf Freibier, obwohl erst Halbzeit ist und nur drei Tore gefallen sind, zwei sind noch zu, vielleicht damit es beim nächsten Tor schon schön warm ist. Hier in Brasilien trinken sie das Bier ja immer so kalt. Der muss aber gleich unten auf dem Herrenklo schwer aufpassen, weil das glasgrüne Pissbecken original so aussieht wie das Handwaschbecken direkt daneben, außer dass es etwas tiefer hängt, ich hätte das ja gerade schon fast selbst verwechselt.
Meine Vermutung ist, dass der Kiosk hier ansonsten für die Kroaten benutzt wird, weil die Grundausstattung ganz rot-weiß-kariert ist. Aber das deutsche Generalkonsulat hat ausgehandelt, dass hier während der Deutschlandspiele Deutschland geguckt wird. Da können sich nämlich dann die deutschen Fans gleich mal die Berliner Bären angucken. Der Ansager ruft jetzt: „Thomas Müller, Fußballgott“. Die anderen auch. Das vierte Tor habe ich gesehen. Ich fand es sehr schön. Ich nehme noch eins.
Das Freibier bezahlt wohl am Ende das Konsulat oder vielleicht auch Mercedes Benz, das habe ich jetzt noch nicht ganz verstanden, aber irgendwas war mit Mercedes. Nur dass ich jetzt eben taktisch nicht so viel mitgekriegt hab vom Spiel, das ärgert mich immer, ich mag ja eigentlich auch die Taktik. Waren die Deutschen denn wirklich so gut?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren