Vorwürfe gegen Taizé-Gemeinschaft: Kinderpornos hinter Klostermauern
Die Missbrauchsvorwürfe gegen die Taizé-Gemeinschaft in Frankreich wiegen schwer. Nun ist erstmals ein Bruder schuldig gesprochen worden.
Demnach habe der 53-Jährige, sein voller Name ist der taz bekannt, während seiner Zeit in der Ordensgemeinschaft massenhaft Pornos aus dem Netz gezogen. Darunter Hunderte Bilder und Videos, die die Vergewaltigung von Kindern zeigten. Insgesamt hätten Ermittler:innen fünf 2-Terabyte-Festplatten in C.s Zimmer beschlagnahmt. Die Durchsuchung im Kloster fand 2019 statt, nachdem eine Frau Anzeige gestellt hatte. Ihr Vorwurf: „sexueller Übergriff und Vergewaltigung“. Vor allem im Sommer besuchen Tausende Jugendliche aus ganz Europa die internationale und ökumenische Brüdergemeinschaft in Burgund – für Austausch, Workshops und niedrigschwellige Bibelarbeiten.
Auch die grüne Vizepräsidentin des Bundestags, Katrin Göring-Eckardt, hat sich in Taizé den Fragen der Jugendlichen gestellt. 2022 war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) zu Gast. Für viele deutsche Christ:innen ist Taizé von besonderer Bedeutung, den Zivildienst konnte man früher durch einen „Anderen Dienst“ in Taizé ersetzen.
Ab 2019 machte die Gemeinschaft öffentlich, dass ihr Fälle sexualisierter Gewalt durch Brüder gemeldet wurden. Dann meldeten sich weitere Betroffene, die taz berichtete 2022. Mindestens fünf Brüder der Communauté wurden sexualisierter Gewalt beschuldigt.
Alles Sexuelle war unter den Brüdern tabuisiert
Die Vorwürfe gegen Emmanuel C. wogen besonders schwer, die Gemeinschaft schloss ihn während seiner U-Haft 2019 aus. Der Vorwurf der Vergewaltigung steht noch immer im Raum, C. wird psychiatrisch betreut. Dabei galt er in Taizé-Kreisen selbst als „der Psychologe“ unter den Brüdern.
Sein erfolgreiches Buch „Gottes Liebe – größer als gedacht: Warum es notwendig ist, unsere Vorstellungen von Gott zu hinterfragen“ behandelt das Zusammenspiel von Psychologie und Theologie, Sexualität und Spiritualität. Auf Bitten Taizés hat der deutsche Patmos-Verlag den Titel aus seinem Programm genommen und für den Verkauf gesperrt.
Mit 19 Jahren war der heute 53-jährige Franzose in die Ordensgemeinschaft eingetreten. Bei der Verhandlung in Tours gab er an, mit dem Zölibatsgelübde gehadert zu haben. Alles Sexuelle sei unter den Brüdern tabuisiert gewesen, die Rede davon mit Schuld verbunden.
Aus Neugier habe er sich ab 2012 Pornos angesehen. Dann habe sich das Herunterladen zwanghaft entwickelt, sagte C. in der Verhandlung, „aller Sujets, auch der extremsten. Ich wusste nicht, wie mir geschah.“ „Sie wussten aber, dass man ein Kind nicht angreift. Das ist universell“, entgegnete dem Bericht zufolge der vorsitzende Richter. C.s Antwort: „Heute drehen sich meine Gedanken nur um die Minderjährigen. Das sind Praktiken, die Menschen zerstören.“
Nachdem er Taizé verlassen hatte, absolvierte Emmanuel C. eine Umschulung im Immobilienbereich. Seine Strafe im Fall der Missbrauchsdarstellungen: ein Jahr Haft auf Bewährung, ein Eintrag ins Register der Sexualstraftäter und ein dauerhaftes Verbot des Umgangs mit Minderjährigen.
Anne Terlongou war selbst als Jugendliche in Taizé zu Besuch, später blieb sie als Freiwillige ein Jahr dort. Sie hat einen anderen Bruder wegen sexueller Nötigung angezeigt, das aktuelle Urteil treibt sie um. Terlongou sorgt sich vor allem um die jungen Gäste, die im Sommer nach Taizé reisen. „Warum hat er nicht die Reißleine gezogen?“, fragt sie im Gespräch mit der taz. „Warum hat kein Bruder etwas bemerkt?“
In seiner Aussage mache C. sich zum Opfer einer Gemeinschaft, die er gewählt habe. Auch Terlongou sieht Handlungsbedarf bei der Gemeinschaft: „Der Umgang mit der eigenen Sexualität sollte grundsätzlich Teil der Ausbildung der Brüder sein.“ Man solle sich zum Urteil positionieren, auch wenn C. nicht mehr Mitglied sei.
Taizé-Bruder Francis Demar stammt aus Hessen und ist Sprecher der Gemeinschaft. Auf Anfrage der taz schreibt er: „Wir sind erleichtert, dass die zuständigen Behörden Straftaten klar benennen und ein Urteil fällen. Der Strafbestand war uns nicht bekannt, wir haben ihn über die Presse erfahren.“
Klares Beispiel von mangelndem Urteilsvermögen
Auf die Frage, welche Maßnahmen in der Gemeinschaft getroffen würden, antwortet Demar: „Das Strafrecht ist klar! Darüber hinaus sind uns christliche Werte Richtlinien, an denen wir uns orientieren.“ Präventionskurse machten die Brüder jetzt auf die verschiedenen Formen von Gewalt aufmerksam. „Sie konfrontieren uns mit unserer eigenen Sexualität und machen uns der Verantwortung bewusst, die wir den Menschen gegenüber haben, die nach Taizé kommen.“
Ein ausgestiegener Taizé-Bruder, der von 1997 bis 2007 in der Gemeinschaft lebte und heute als hoher EU-Beamter in Brüssel arbeitet, sagt im Gespräch mit der taz: „Der Fall Emmanuel ist ein klares Beispiel von mangelndem Urteilsvermögen derjenigen, die über die Aufnahme von neuen Brüdern entschieden und diese jahrzehntelang spirituell begleiteten.“
Dass der Leiter der Gemeinschaft früher als charismatische Führungspersönlichkeit allein entscheiden konnte, dass einzelne Mönche ihre Probe- oder Ausbildungszeit abkürzen oder überspringen konnten, sei problematisch.
Damit spielt der 50-jährige Ex-Bruder auf den Taizé-Gründer Roger Schutz an, der Emmanuel C. 1990 in die Gemeinschaft aufgenommen hatte. Nach Schutz’ gewaltsamen Tod 2005 übernahm der gebürtige Deutsche Alois Löser die Leitung der Gemeinschaft, die er 2023 an den gebürtigen Briten Andrew Thorpe übergab. Thorpe, Bruder Matthew genannt, will den anderen Brüdern mehr Mitspracherecht geben und in Taizé Strukturen etablieren, die sexualisierte Gewalt verhindern.
Bei den Vergewaltigungsvorwürfen gegen C. sowie mindestens drei weiteren zur Anzeige gebrachten Fällen sexualisierter Gewalt kommt es nun auf die ermittelnden Behörden an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen