Vorstoß des Innenministers: Datenschutz im Netz ausbauen
Innenminister Thomas de Maizière will eine "rote Linie" im Internet ziehen. Die Internetbranche dagegen möchte lieber mit Selbstverpflichtung punkten.
BERLIN taz | Nach den heftigen Diskussionen um den Straßenbilderdienst Street View wollen sich mehrere Internetkonzerne wie Google, Microsoft, Panogate und die Telekom selbst Grenzen auferlegen. Der Branchenverband Bitkom überreichte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) am Mittwoch den Entwurf eines "Datenschutz-Kodex für Geodatendienste".
Darin wird unter anderem versprochen, dass Gesichter und Autokennzeichen bei solchen Angeboten automatisch verpixelt werden, auf Wunsch auch ganze Personen und Autos. Damit der Abbildung der Hausfassade in allen Diensten, die sich dem Kodex unterwerfen, widersprochen werden kann, soll es Mitte 2011 ein zentrales Internetportal geben; genügen soll die Angabe der E-Mail-Adresse.
Für Google Street View kommt der Kodex freilich etwas spät. Denn die Ansichten der 20 größten Städte in Deutschland stehen schon seit zwei Wochen im Netz. Google hatte seine Regeln mit Johannes Caspar ausgehandelt, dem für den Konzern zuständigen Datenschutzbeauftragten in Hamburg.
Ihm geht die jetzige Selbstverpflichtungserklärung der Internetwirtschaft nicht weit genug. Kritisch sieht er etwa, dass die unverpixelten Rohdaten laut Kodex bis zu einem Jahr gespeichert werden können. Überhaupt wäre Caspar ein für alle Firmen geltendes Gesetz lieber gewesen, das etwa ein Recht auf Widerspruch noch vor der Veröffentlichung der Bilder festgeschrieben und eine unabhängige Kontrolle und Sanktionierung durch die Datenschutzbehörden ermöglicht hätte. Auch die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz hat Zweifel, "ob ein Widerspruchsrecht, das nur auf Gutdünken der Branchen eingeräumt wird, zureichend ist".
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hatte in der Vergangenheit ebenfalls ein Gesetz für die Erhebung und Nutzung von Geodaten gefordert. De Maizière dagegen hatte dies abgelehnt und stattdessen auf die nun vorgelegte Selbstverpflichtung gesetzt. Er sagte am Mittwoch, dass die Auseinandersetzung über Street View ohnehin "die richtige Debatte am falschen Objekt" gewesen sei.
Bedarf, im Internet eine "rote Linie" zu ziehen, sieht er anderswo. So soll ein Gesetz, an dem sein Ministerium arbeitet, es Internetdiensten verbieten, gezielt Daten zu Personen zu sammeln und zu veröffentlichen, die "ein umfangreiches Persönlichkeits- oder Bewegungsprofil des Betroffenen ergeben können".
Offen ließ das Ministerium, ob damit auch die Arbeit umstrittener Personensuchmaschinen wie Yasni oder 123people eingeschränkt werden könnte. Dort werden zu einzelnen Namen die im Internet verfügbaren Daten zusammengeführt, u. a. Fotos, Mail-Adressen und Telefonnummern. De Maizière sagte, dass es eine hohe Schwelle geben werde. Es gehe um "besonders schwere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht", die es zu verhindern gelte. Als weiteres Beispiel für eine "rote Linie" nannte de Maizière Prangerseiten, auf denen die Wohnorte von vorbestraften Personen stehen. Mehrere Unionspolitiker hatten im Sommer gefordert, öffentlich zu machen, wo sich bestimmte Sexualstraftäter aufhalten.
Außerdem will der Innenminister Grenzen für Gesichtserkennungsdienste setzen. Es werde zunehmend technisch möglich sein, über Handykameras jemanden auf der Straße zu fotografieren und die Person per Sofortsuche im Netz zu identifizieren. Dadurch drohe "ein weit größerer Verlust an Anonymität im öffentlichen Raum als durch die Abbildung von Häuserfassaden". Auch bei Smartphone-Anwendungen, die den Standort der Nutzer erheben, sieht de Maizière Regelungsbedarf.
Linkspartei und Grüne kritisierten den Entwurf des Innenministers. Linke-Fraktionsvorstandsmitglied Jan Korte forderte Konkretisierungen. Grünen-Chefin Claudia Roth erklärte: "Es müssen klare Grundsätze für den Datenschutz gelten anstatt wie von de Maizière beschrieben nur eine ,rote Linie'."
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar wollte am Mittwoch noch keine Stellung zum Kodex der Geodienstanbieter und de Maizières Vorschlägen abgeben. Kommenden Montag wird er zusammen mit dem Bundesverband der Verbraucherzentralen aber seine Vorstellungen über einen besseren Datenschutz im Internet vorlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin