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Vormarsch des MilitarismusVom Mythos der Reife

Ist politisch erst erwachsen, wer Truppen ins Ausland schickt? Ein törichtes Narrativ, von den Grünen erfunden, bedrängt nun die Linkspartei.

Ein Bundeswehr-Soldat bei einem Einsatz in Afghanistan Foto: Stefan Trappe/imago

E in Jüngling zieht hinaus in die Welt, bewährt sich in Kampf und Krieg, auf dass er bei seiner Heimkehr als erwachsen gelte und sich fortpflanzen darf. Die Bereitschaft, einen anderen zu töten als Beweis von Reife, das ist eine archaische Vorstellung. Und doch hat dieser Atavismus einen festen Platz in der modernen Politik. Eine Partei gilt als erwachsen, wenn sie bereit ist, Soldaten in die Welt zu schicken.

Die Grünen erlagen dem seltsamen Narrativ schon vor Jahren. In ihren Reihen entstand überhaupt die Idee dieser Art des Heranwachsens, eine Waffe (sic!) im Strömungskampf, und irgendwann blickten die Gereiften dann mit Schaudern zurück auf die friedenspolitischen Utopien ihrer nun entrückten Adoleszenz.

Ähnliche Geister plagen nun die Linkspartei, wenn sie in diesen Wochen eine neue Führung bestimmt und einen Kurs berät, der – oh nimmermüdes Zauberwort! – regierungsfähig machen soll. Erneut kennt die begleitende öffentliche Beschallung nur eine Richtung: Wer ernst genommen werden will, muss zu auswärtigen Einsätzen der Bundeswehr stehen, das beweise Pragmatismus und einen als „gesund“ apostrophierten Willen zur Macht.

Zunächst: Wer spricht da eigentlich? Eine Mehrheitsmeinung der Wählenden jedenfalls nicht. Die Deutschen seien in ihrer Grundorientierung eher antimilitaristisch, befand 2019 erneut eine Untersuchung der Bundeswehr; eine klare Mehrheit lehne auswärtige Kampfeinsätze ab.

Charlotte Wiedemann

hat sich als Auslands­reporterin vor allem mit muslimischen Gesellschaften befasst und schreibt Bücher. Zuletzt erschien „Der lange Abschied von der weißen Dominanz“ bei dtv.

Im politischen Raum haben sich derweil andere, eigenständige Prioritäten entwickelt. Sie basieren weder auf den Wünschen der hiesigen Gesellschaft noch haben sie unmittelbar mit konkreten Erfordernissen an den Einsatzorten zu tun. Es handelt sich vielmehr um strategische Projekte des außen- und sicherheitspolitischen Establishments, und sie speisen sich jeweils aus verschiedenen Erwägungen. Etwa: Was bringt Deutschland dem begehrten ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat näher? Wie werden bündnispolitische Interessen und Konkurrenzen austariert? Und wie viel globale Präsenz der Bundeswehr ist nötig für die Marktstellung deutscher Rüstungsexporte?

Was immer dabei herauskommt, findet in der Regel eine so wohlwollende publizistische Begleitung, dass man sie embedded nennen sollte. An der Aufgabe, Militäreinsätze kritisch zu spiegeln, versagen Medien und Parlament gleichermaßen. Das Beispiel Mali ist dafür der jüngste Beleg. Als dort nach sieben Jahren westlicher Intervention Putschisten zum Wiederaufbau des Landes aufrufen, herrscht hier zunächst betretenes Schweigen, gefolgt von der Losung: Weitermachen, als wäre nichts gewesen! Im bitterarmen Mali werden pro Tag 4 Millionen Euro für eine militärisch verstandene Sicherheit aufgewendet, während das Leben der Malier jeden Tag unsicherer wird. Studien, die seit Langem auf falsche Prioritäten hinweisen, wurden geflissentlich ignoriert. Und die EU trainiert weiter eine Armee, die für mehr zivile Opfer verantwortlich ist als der dschihadistische Terror. Kann mehr schiefgehen?

Wenn man fragt, warum die Bundeswehr überhaupt in Mali ist, lautet die Antwort: Erst, um Frankreich einen Gefallen zu tun, und dann kam die Migrationsabwehr hinzu.

Wer heutzutage nach Argumenten gegen eine militärische Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder sucht, muss sich nicht mehr auf Pazifismus berufen. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte liefern allen Grund, Interventionen mit höchster Skepsis zu betrachten: vom Experiment Kosovo, wo 60.000 Nato-Soldaten in einem Gebiet von der halben Größe Schleswig-Holsteins eingesetzt wurden, über die Kriege in Irak und Libyen bis zum Desaster in Afghanistan. Keine Entsendung, ob mit oder ohne deutsche Beteiligung, hat auch nur im Entferntesten jene Ziele erreicht, die zu Beginn versprochen wurden.

An der Aufgabe, Militäreinsätze kritisch zu spiegeln, versagen Medien und Parlament gleichermaßen

Wären Fakten von Bedeutung, müsste es heute leichter sein, gegen Waffengänge zu plädieren. Dennoch ist das Nein geächtet. Weil es kaum mehr abweichende Welterklärungen gibt, kaum Alternativen zu den allgegenwärtigen sicherheitspolitischen Mythen, die – grob umrissen – den Planeten aufteilen in ein aggressives Russland, ein herrschsüchtiges China, einen schiitischen Krisenbogen und ein migrationswütiges Afrika.

Erstmals wurde dieses Jahr das Nato-Manöver „Steadfast Noon“, bei dem auch deutsche Piloten den Einsatz US-amerikanischer Atomwaffen trainieren, nicht mehr geheim gehalten. Nuklearwaffen offensiv zu bewerben gehört zur neuen Ausrichtung der Nato; die Öffentlichkeit nimmt es hin.

In keinem anderen Bereich ist die Unterwerfung unter herrschende Ideologien so still und so umfassend. Der rumorenden zivilgesellschaftlichen Ermächtigung in Fragen von Klima, Verkehr oder Agrarpolitik steht eine erschütternde Entmächtigung bei dem Thema Sicherheit gegenüber. Selbst die Rüstungsindustrie wird von Kritik weitgehend verschont – als wären Waffensysteme, neben allem anderen, nicht auch Klimakiller. Deutschland ist viertgrößter Rüstungsexporteur, doch der Einfluss der entsprechenden Konzerne wird kaum behelligt. Die SPD will nun bewaffnete Drohnen. Automatisiertes Töten als sozialdemokratische Ethik – warum schreit da kaum jemand auf in der Partei?

Während das kritische linke antirassistische Spektrum vollauf mit dem Ringen um die inneren gesellschaftlichen Verhältnisse beschäftigt ist, verbreitet sich in der Außenpolitik und in den Fragen von Krieg und Frieden ungestört eine rechtsgewirkte Hegemonie. Der flagrante Rechtsextremismus im Kommando Spezialkräfte müsste alarmieren. Ausgerechnet den Elitesoldaten, die weltweit operieren sollen, wird die Verfassung zu eng. Die Annahme liegt nahe, dass sie aus der Flasche mit dem Etikett „globale Präsenz der Bundeswehr“ ein paar Schluck zu viel genommen haben.

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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ja und nein - Frau Weidemann streckt den Zeigefinger aus, deutet aber nicht im Mindesten Alternativen an. Das ist auch nicht verwunderlich, weil sich ihre Vorhaltungen als Aufforderung zur institutionalisierten Verantwortungslosigkeit entlarven könnten. Siehe das unsinnige Narrativ zur Drohnendiskussion, das (mal wieder) unterstellt, dass die diesbezüglichen "Rules of Engagement" irgendwas mit den Grundsätzen der US-Amerikaner zu tun haben.

  • Vielen Dank für diesen guten Artikel. Er beschreibt gut die fortschreitende agressive Politik, durch Einsätze und Sanktionen überall auf der Welt, und deren mangelnden Nutzen.

    Leider sind Artikel dieser Art sehr selten. Stattdessen wird häufig überall Einmischung gefordert. Sei es in Russland oder China, oder in anderen Ländern, immer wird ein auch militärisches Eingreifen gefordert, statt mal Alternativen durchzudenken. Immer ist es eine total verdorbene Seite, der keine menschlichen Motive mehr zugestanden werden, und gegen die vogegangen werden muß. Immer müssen es Aufrüstung oder Drohungen sein. Verharmlosend wird dann immer von "robuster Antwort" gesprochen.

  • Es geht um Staatsraison.

    Wer nicht die US-Dominanz, NATO und militärisches Eingreifen bejaht, wird nicht an der Macht betrioigt.

    Da sind sämtliche Teansatlantiker von SPD, Grüne, CDU/CSU, FDP winig. Und die Bild sorgt mit dafür.

  • Danke für Ihren Artikel die leider auch in der TAZ so selten geworden sind!



    Zitat: "An der Aufgabe, Militäreinsätze kritisch zu spiegeln, versagen Medien und Parlament gleichermaßen".



    Da ich dies schon zu lange beobachte und meine Unzufriedenheit darüber im Freundeskreis zu kommunizieren nicht viel bewegt, ist es wohl an der Zeit sich damit regelmäßig analog auseinanderzusetzen wie z.B. Engagement in Fiedensinitaiven etc.

  • Das Problem ist doch, dass Transatlantiker und Medien wie BILD, Faz, Süddeutsche, Zeit und Co.



    die US-Dominanz und die NATO als Staatraison verankert haben.

    Und alles, was diese Staatsraison nicht akzeptiert wird nicht in eine Regierung einbezogen.

    Es gibt kein RRG ohne die Akzeptanz dieser Staatsraison durch die Linke.



    SPD und Grüne werden davon nicht abeeichen, weil sie u die Propaganda dagegen wissen.



    Eher gibt es Schwarz-Gelb-Blau.

    • @J_CGN:

      Herr Brandt hat seine Aussöhnungspolitik inmitten des kalten Krieges angeboten, und hat damit die Wahlen gewonnen. Es geht schon, man muß es nur wollen. Auch in D wollen die Menschen keinen Krieg, und auch keine schweren Lasten für eine "Verteidigung" bei dem nicht einzusehen ist gegen wen.

  • Danke für diese Zeilen! Hoffentlich werden sie von Grünen und Linken gelesen.

  • Danke!

    Gründungsmythen historischer Großstrukturen, angefangen in der Antike mit der Zucht und Ertüchtigungs- Kriegerrepublik Spartakus, Alexanders des Großen Reich, römischen Reich, Karolinger Reich Karls des Großen, Römisches Reich Deutscher Nation, Konstitution von Nationen gegen Separatismus im Wege industrieller Revolution, 2. Deutsches Reich 1871 durch militaristischen Sieg über Frankreich, , Kolonialreiche, die Republik Schweiz im 16. Jahrhundert mit dem Rütli Schwur, Schweizergarde im Vatikan USA nach Gründung 1776, UdSSR 1922, der Staat Israel basieren willentlich, unwillentliche auf Militarismus, Militarisierung gesellschaftlichen Alltagslebens, weil Kriege von außen aufgezwungen wurden wie in französischen Revolution nach 1789, russischen Oktoberrevolution 1917.



    In der Neuzeit nahm andere Spielart Militarismus über stehende Heere Gestalt an, z. B. Merkantilismus im Königreich Frankreich gegen Anarchisten Selbstversorgungsstrukturen im eigenen Land durchzusetzen, Hofhaltung über Gewerbe Abgaben zu finanzieren, weil das nicht mehr reichte, gleichermaßen in Kolonien vorzugehen. So wurde Militarismus nach Börsencrash 1929, folgender Depression zum Motor New Deal Credit Spending, militärisch-industriellen Komplex eingebettet in Bürokratismus national als unveräußerlichen Wirtschaftsbestandteil, s. USA, UdSSR, heute Russland, Nato Länder, Militäretat Minimum 2 % BIP Ziel., weniger militärisch denn ökonomisch unterlegt?



    Historisches Verhängnis daraus, seit Jahrzehnten sonders nach Nine Eleven 01 im Krieg gegen gegen sog. internationalen Terrorismus ist Militarismus in EU, USA, Nato Mitgliedsstaaten als schwarzer Schwan unterwegs, wenn es um Frage geht, politische, soziale UNION, wenn ja wie zustande zu bringen, angesichts EU Brexit Turbulenzen seit 2016 ? Schon treten alte Unruhegeister in Debatten zutage, jede Großstruktur komme in ihren Anfängen am Gründungsmythos Militarismus als Motor Zusammenschlusses nicht vorbei, sich zu schaffen.

  • Die Zeitgeistströmung unserer Eliten zum Kriegerischen ist auch deshalb so stark, weil etwa seit dem 18. Jahrhundert Staatschefs und Oberbefehlshaber nicht mehr selber an die Front mussten.



    Schwedenkönig Gustav II. Adolf war im Dreißigjährigen Krieg 1632 einer der letzten "Schlachtenlenker", die selbst in fremder Erde untergepflügt wurden.



    Krieg ist für die Mächtigen schlicht zu ungefährlich geworden.

  • Wir erinnern uns alle daran, welchen grundgesetzverhöhnenden Narrativen die Schröder-Fischer(KGE nicht zu vergessen!)-Regierung den Odem einhauchte!

    • @Leila Khaled:

      Die Grünen waren noch vor Konstituierung neuen Bundestages nach Bundestagswahl 1998, Vereidigung neu rotgrüner Bundesregierung Bundeskanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joschka Fischer verfassungsfremd Konstrukt Militarismus im neuem Gewand „Nation Building“ glänzendem Helm mit „Friedensadler“ militärisch-humaner Intervention erlegen, US Präsident Bill Clintons militärischer Kosovo Intervention 1999 an UNO vorbei Dez. 1998 unter Beteiligung der Bundeswehr zu Mehrheit alten Bundestages zu verhelfen, Scharnier deutsch-deutscher Gemeinsamkeit über alle Grenzen, Block Ideologien Kalten Krieges in Ost-, Westdeutschland seit Berliner Blockade 1948 hinweg zu sprengen, das von deutschem Boden niemals mehr Krieg ausgehe, dem Geist friedensstiftender Revolution Bürgerrechtler gemäß Menschenrechtkorb KSZE Helsinki 1975 in der DDR, Nikolaikirche Leipzig, Dresden, Plauen, Roststock, Ostberlin nach innen und außen seit 1988 von „Wir sind das Volk“, hin zu „Wir sind ein Volk politischen Pazifismus“ den Garaus zu machen, Mehrheiten in alten, neuen Bundesländern unter Losung „Frieden schaffen ohne Waffen“ willentlich zu brüskieren, historische Balkan Loyalität Russlands gegenüber Serbien nach 1914 zum 2. Mal zu ignorieren.

      Seit der Neuzeit nimmt Militarismus dann Fahrt auf, wenn die Weltwirtschaft in Schieflage gerät, asymmetrische Handelsverträge zugunsten weniger Länder Hegemonie über Welt Ressourcen zulasten vieler Länder zu exekutieren, trotzdem in ihren Erträgen stagnieren, Rezessionen, drohen. Statt neu weniger asymmetrische Handelsverträge anzustreben, werden Diplomaten zurückgezogen, Rückkehr der Generäle beginnt, mit Militarismus auf Biegen und Brechen von Menschen-, Völkerrecht, Auslösen Strömen Geflüchteter seit Nine Eleven 01, unter Anstrengung falschen Patriotismus „alternativlos“ Wiederkehr vorheriger Größe, Gewinns zu verheißen. Da hoffe ich, dass die Linke anders als die Grünen 1999- 2001 Militarismus gleich in welchem trügerisch humanem Gewande nicht erliegt

  • Danke! Es ist so krank.

  • seit langem einer der besseren Artikel.