Vorläuferin der Superspreader: Bügeln mit Mary Mallon

Geschichten von Krankheiten gewinnen Aktualität. Man schaut in die Vergangenheit, überdenkt die Gegenwart. Man findet Trost in den Unterschieden.

Auf einer Zeitungsseite steht "Thyphoid Mary" neben dem Bild der Köchin

Historische Zeitungsseite mit Mary Mallon, „the deadly cook“, von 1909 Foto: Archiv

Beim Bügeln, sonntags allein zu Haus, statt mit Freunden Kaffee zu trinken, höre ich endlich die CD mit spoken poetry, die mir Ariane von Graffenried geschenkt hat. „50 Hertz“, Balladen über vergessene oder verkannte Frauen; sie hat daraus vorgelesen im August, an einem Abend, als sich die „Hausgäste“ im Literarischen Colloquium Berlin am Wannsee vorstellten.

Damals las sie von Auguste Wenzel, einer Berliner Märzgefallenen von 1848, von der nur ihr Name, ihr Beruf und ihr Todesdatum bekannt sind. Was könnte ihre Geschichte gewesen sein, fragt die Schweizer Autorin in ihrem Gedicht und rekonstruiert, was eine Wäscherin möglicherweise auf die Barrikaden gebracht hat.

Der Abend mit vier TheaterautorInnen war in diesem Jahr schon deshalb etwas Besonders, weil eben auch Literatur- und Stipendiatenhäuser nur eingeschränkt öffnen durften und weil die vier Lesungen sehr unterhaltsam waren. Für November sind die Lesungen schon wieder gestrichen.

Die tragische Geschichte einer Einwanderin

Aber jetzt höre ich endlich die CD, die in das Cover des Buchs „50 Hertz“ eingelassen ist, in dem man die Gedichte nachlesen kann. Ich warte auf „Typhus Mary“, von der die Autorin damals bei einem Glas Wein auf der Terrasse noch erzählte. Mary Mallon, ich kannte sie nicht. In der Medizingeschichte ist sie bekannt geworden als die erste identifizierte Person, die Typhusbakterien ausschied und die Krankheit verbreitete, selbst aber nicht erkrankte.

Eine Superspreaderin, würden wir heute sagen. Tragisch, zumal sie, die als arme irische Migrantin um 1900 in New York ankam, als Köchin arbeitete. Gruppen von Einwanderern wurden von Anfang an verdächtig, schuld an der Epidemie zu sein.

„Finally kocht sie an der Park Avenue./ Property shark O’Brien will sein Steak/ blue. Es wird Winter. O’Brien/ blutet aus Nase und Hintern.// Mary pflegt ihn mit Sanftmut, bleibt/ healthy und munter. Dann nimmt sie/ ihren Hut. Oh, decent Mary,/ hat sie am Ende was geahnt?“

Graffenried gelingt es mit knappen Bildern Marys Weg, ihren Aufstieg als Köchin zu zeichnen. Endlich Anerkennung, endlich ein Job. Und wie sie nicht zugeben kann, dass ihre Kochkunst womöglich etwas mit den vielen, dann sehr vielen Krankheits- und Todesfällen in den Familien ihrer Dienstherren zu tun hat. Weil ihre ganze Existenz daran hängt. „The medics rewrote their books./ Fieberfactory, Racheengel, the deadly cook/ sagte man von ihr. But poor Mary/ had just this career, oh dear.“

Sie wird als Schuldige ausgemacht, öffentlich an den Pranger gestellt und auf eine Insel verbannt, auf der sie 1938 nach 30 Jahren stirbt. Dagegen ist so eine kleine Kontaktbeschränkung ja echt nix.

Viren wegbügeln

Ich bügele weiter und denke an die Erzählung einer Freundin. Sie musste sich einem Coronatest unterziehen, weil sie im Flugzeug nahe einer infizierten Person gesessen hatte. Aber der Test war erst ein paar Tage später zu bekommen. Der Freund, mit dem sie lebt, wäre bis zu ihrem Testergebnis auch gern zu Hause geblieben, aber dafür, sagte sein Arbeitgeber, muss er dann Urlaub nehmen. Die Freundin schloss daraus, dass viele in ähnlichen Situationen dann eben lieber schweigen und zur Arbeit gehen und nicht warten, bis sie sich auf der sicheren Seite wissen.

Am Ende bügele ich auch meine Masken. Hitze soll die Viren ja plattmachen. Allerdings bügele ich selten, sonst wasche ich die Stofflappen bloß alle paar Tage. Im Ernstfall nützt das sicher nichts. Aber fühlt sich so an, als hätte man was getan.

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Geboren 1957 in Köln. Seit Mitte der 80er Jahre Autorin für die taz (über bildende Kunst, Tanz, Theater, Film), seit 2003 Redakteurin.

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