Vor der Eiskunstlauf-EM in Estland: Tallinn on ice
In dieser Woche beginnt in Estland die Eiskunstlauf-EM. Das baltische Land fördert gezielt den Sport – und bringt bemerkenswert viele Talente hervor.
Gastgeberland der Europameisterschaften im Eiskunstlauf in dieser Woche ist das kleine Estland, das trotz seiner nur 1,3 Millionen Einwohner immer wieder große Eislauftalente hervorbringt. „Die Eishalle ist bei Wettkämpfen in Tallinn meist ausverkauft. Die Gäste kommen auch aus den eislaufbegeisterten Nachbarstaaten Russland und Finnland und die Stimmung in der Halle ist super“, verrät der deutsche Paarlauftrainer Alexander König, der schon Schützlinge zu Wettkämpfen in das kleine baltische Land begleitete.
Bei den Frauen kann Estland sogar zwei Startplätze belegen, die ihre Meisterin Eva-Lotta Kiibus mit spritzigen Programmen und einem siebenten Platz im Vor-Corona-Jahr 2019 erkämpfte. Ihre erst 17 Jahre junge Landsfrau Niina Petrõkina, die sie begleiten wird, ist in diesem Jahr sogar stärker gelaufen als die zwei Jahre ältere Kiibus und hat ihr den estnischen Meistertitel abgenommen. Beiden Frauen ist eine Top-Ten-Platzierung bei der EM zuzutrauen, falls sie einen guten Tag erwischen. Für die Meisterin aus dem ungleich größeren Deutschland, Nicole Schott, ist ein zehnter Platz hingegen eine Herausforderung, die ihr jeder Eislauffan zutraut.
Was macht das estnische Eiskunstlaufen so erfolgreich? Da ist zunächst einmal die Popularität der Sportart, die die Bewohner der früheren Sowjetrepublik trotz harter politischer und kultureller Abgrenzung mit den Russen teilen. Und da ist mit Anna Levandi eine der ganz großen Trainerinnen weltweit. In Tallinn wurde sogar ein Sportverein nach ihr benannt. Unter ihrem Mädchennamen Kondraschowa lief sie in den 1980er Jahren erfolgreich für die Sowjetunion, wurde 1984 Vize-Weltmeisterin hinter Katarina Witt. Als Trainerin formt sie immer wieder große Talente. Zur EM wird auch erstmals ihr Sohn Arlet starten, den sie trainiert. Bei Wettkämpfen in diesem Jahr deutete der 16-Jährige viel Potenzial für die kommenden Jahre an. Der deutsche Paarlauftrainer Alexander König bescheinigt der estnischen Trainerkollegin auch eine gute Vereinsarbeit und eine Vernetzung innerhalb der Sportpolitik, um die sie internationale Trainerkollegen beneiden würden.
Die Choreografien dürfen den estnischen Läuferinnen und Läufern immer wieder namhafte internationale Choreografen schneidern wie der Russe Ilja Averbuch, der Franzose Benoît Richaud und der Schweizer Stéphane Lambiel. Verständlich, dass die Arbeit mit diesen Choreografen teuer ist.
Handball, Gymnastik und noch mehr Eiskunstlauf
Die Popularität der Sportart pflegt Estland, indem es immer wieder internationale Eiskunstlaufwettbewerbe austrägt, auch kleinere Juniorenwettkämpfe, mit denen kein Geld zu verdienen ist. Die finden wie die EM in der 2014 erbauten hochmodernen Tondiraba-Eishalle nahe der Ostseeküste statt, die auch für Konzerte und Theateraufführungen oder für Handball- und Gymnastikturniere umgebaut werden kann.
Eine Woche nach der EM wird in der Halle übrigens die Vier-Kontinente-Meisterschaft im Eiskunstlauf ausgetragen, bei der Asien, Amerika, Afrika und Australien ihre Meister ermitteln. Auf diesen Kontinenten fand sich im Coronajahr 2022 kein Gastgeber für die Meisterschaften, die wahrscheinlich keinen Gewinn erwirtschaften. Tallinn sprang kurzfristig ein. Da ist es praktisch, dass Funktionäre und Preisrichter gleich am Ort bleiben und in den Zwischentagen die mittelalterliche Altstadt der estnischen Hauptstadt genießen können.
Stärkste deutsche Teilnehmer dürften die Paarläufer Minerva Hase/Nolan Seegert sein, die bei den letzten Europameisterschaften Fünfte wurden. Sie haben seit September ihren Trainingsschwerpunkt von Berlin ins russische Sotschi verlegt, um optimal für die Olympiasaison gerüstet zu sein. Dort trainieren sie mit starker internationaler Konkurrenz.
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