Vor den US-Präsidentschaftswahlen: Nur nicht zu früh freuen
Es sieht gut aus für Joe Biden. Aber der Wahlkampf während der Pandemie ist mit keinem vorherigen vergleichbar – wer profitiert am Ende?
Und in Florida, wo Trump seine Luxusresidenz und seinen Hauptwohnsitz hat, laufen ihm WählerInnen in noch größeren Scharen weg als im Rest der Republik – darunter besonders viele SeniorInnen und Weiße mit Universitätsabschluss. Der Demokrat Joe Biden liegt in dem Swingstaat, der bei den Präsidentschaftswahlen im November den Ausschlag geben könnte, im Augenblick vorne, mit einem Vorsprung von 7 bis 13 Prozentpunkten, je nach Umfrage.
Dann erschien nach einem vorübergehenden richterlichen Verbot auch noch das Buch von Trumps Nichte Mary Trump, in dem sie Familiengeheimnisse über ihn auspackt. Am Donnerstag machte Trump den längst überfälligen Rückzieher: Er sagte den in Jacksonville, Florida, geplanten Teil seines Parteitags ab. Dort sollte seine triumphale zweite Krönung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten stattfinden.
Virtueller republikanischer Parteitag
Erst Anfang Juni hatte Trump einen Teil des Parteitags mit Getöse von North Carolina abgezogen, weil die Bürgermeisterin von Charlotte und der Gouverneur von North Carolina – zwei DemokratInnen – nicht bereit waren, für ihn auf die Maskenpflicht und andere Gesundheitsauflagen zu verzichten. „Dies ist nicht die richtige Zeit für einen Parteitag“, sagte Trump nun, „ich muss das amerikanische Volk schützen.“ Der republikanische Parteitag im August wird weitgehend virtuell stattfinden. RepublikanerInnen in Jacksonville, die Masseninfektionen bei dem Parteitag befürchtet hatten, sind erleichtert.
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Trumps Slogans sind so fremdenfeindlich wie eh und je. Um WählerInnen außerhalb seiner radikalen Basis zu bekommen, wollte er auch mit Erfolgen in der Wirtschaft punkten. Das hat er jetzt aber aufgegeben. Und tritt nun die Flucht nach vorn an, in die Law-and-Order-Politik. Er schickt BundespolizistInnen in demokratisch regierte Städte, gegen den erklärten Willen der dortigen BürgermeisterInnen. Die PolizistInnen gehen wie Besatzungstruppen gegen DemonstrantInnen vor.
Die DemokratInnen haben ihren in Milwaukee, Wisconsin, geplanten Parteitag wegen der Pandemie bereits Ende Juni radikal geschrumpft. Statt der ursprünglich erwarteten 50.000 Menschen werden nur ein paar Hundert kommen. Die Diskussionen und Abstimmungen finden bei beiden Parteien virtuell statt. Aber im Unterschied zu den RepublikanerInnen gehen die DemokratInnen in demonstrativer Geschlossenheit in den Endspurt ihres Wahlkampfs. Alle ehemaligen RivalInnen von Biden haben sich hinter ihn gestellt. Bernie Sanders, Bidens stärkster Gegenspieler, wird am Mittwoch seinen mehr als 1.000 Delegierten bei einer Telefonkonferenz empfehlen, Biden zu unterstützen.
Der demokratische Sozialist Sanders und Biden, der Zeit seines Lebens zum Unternehmer-Flügel der Partei gehörte, haben sich in den zurückliegenden Wochen in einer „Unity Task Force“ in Fragen einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht und eines Schuldenschnitts für StudentInnen angenähert. „Er wird der progressivste Präsident seit FDR“, prognostiziert Sanders. Franklin D. Roosevelt hat die USA in den 1930er Jahren mit dem „New Deal“, einer Sozialversicherung und einem bundesweiten Mindestlohn aus der Großen Depression geführt.
Der Ton der Sanders-UnterstützerInnen ist versöhnlicher als 2016, als sie bis zum Parteitag Kampagne gegen Hillary Clinton machten. Alle wissen, welchen Schaden Trump anrichten kann. Das bringt sie zusammen. Biden, der seinen dritten Anlauf auf das Weiße Haus macht (nach 1988 und 2008), ist außerdem persönlich nicht annähernd so umstritten wie Clinton. Trotzdem misstrauen viele „Berniecrats“ dem Linksruck. Das liegt einerseits an Bidens politischer Vita – er setzte Strafrechtsverschärfungen, Kürzungen der Sozialausgaben und Kriege durch – und andererseits am Werben von „moderaten“ RepublikanerInnen um Biden.
Einer von ihnen, der einstige Gouverneur von Ohio, John Kasich, ist als Redner auf dem Demokratischen Parteitag angekündigt. Andere – darunter auch ehemalige Trump-MitarbeiterInnen, die sich „Lincoln Project“ nennen, sowie eine Gruppe namens Republican Voters against Trump – veröffentlichen Wahlkampfvideos, in denen sie sagen, dass Trump sich („geistig, körperlich und intellektuell“) nicht für das Amt eignet. Von den sozialen Fortschritten, die linke DemokratInnen wollen, sind diese moderaten RepublikanerInnen aber weit entfernt.
Trump redet täglich auf allen möglichen TV-Kanälen. Biden ist seit dem Beginn der Pandemie in seinem Haus im Bundesstaat Delaware verschwunden. Gelegentlich meldet er sich aus einem Fernsehstudio im Keller. Doch diese Videos sind nur im Internet zu sehen.
Vor allen Dingen wartete Biden bisher ab – während Trump durch immer neue Fehler im Management von Pandemie und Wirtschaftskrise immer tiefer in die Krise schlitterte. Doch jetzt steigen die Stars in Bidens Wahlkampf ein – darunter Ex-Präsident Barack Obama. In einem Kampagnenvideo kommen die beiden Männer, die acht Jahre lang die Nummer eins und zwei der USA waren, mit Masken aus getrennten Aufzügen und nehmen in einem großen Raum Platz. Vor einer holzgetäfelten Wand, die mit US-Fahne und roten Boxhandschuhen geschmückt ist, sagt Biden, dass die gemeinsamen Jahre mit Obama „der Anfang“ waren, auf dem er aufbauen wolle. Obama sagt, dass Biden einen guten Charakter und Einfühlungsvermögen habe.
100 Tage vor der Wahl klingen die großen Medien der USA so, als hätte Biden den Sieg in der Tasche. Das erinnert an den Sommer 2016, als fast alle auf eine Präsidentin Clinton setzten. Für die Situation in diesem Jahr fehlen jegliche Vergleichswerte. Noch nie fand ein Wahlkampf fast ausschließlich virtuell statt. Noch nie mussten die großen Auftritte in Stadien und die Hausbesuche bei WählerInnen wegen einer Pandemie ausfallen. Und noch nie saß ein Amtsinhaber im Weißen Haus, der seinem Rivalen nicht politisch antwortet, sondern ihn mit persönlichen Beleidigungen bedenkt. „Sleepy Joe“ – schläfriger Joe – nennt Trump Biden und behauptet, dass dieser von Sozialisten manipuliert werde. Bislang ist nicht einmal geklärt, ob die beiden Kandidaten im Fernsehen debattieren werden.
In dieser Woche hat Trump seine täglichen Briefings im Weißen Haus wieder aufgenommen. Dabei liefert er den Fremdenhass, mit dem er schon beim letzten Mal seiner Basis gefiel. Bloß redet er dieses Mal weniger von Mexikanern, die vergewaltigen und dealen, als von der „Kung Flu“ und dem „China-Virus“. Auch eines seiner anderen Leitmotive hat er den Zeiten der Pandemie angepasst: Wahlfälschung. 2016 behauptete er wahrheitswidrig, dass „Millionen Illegale“ gewählt hätten, heute warnt er vor der Briefwahl. Das ist zwar die einzige Möglichkeit der Stimmabgabe ohne Ansteckungsgefahr, doch Trump unterstellt, die DemokratInnen wollten damit einen „totalen Wahlbetrug“ vorbereiten.
In seiner Selbstdarstellung markiert der US-Präsident den starken Mann, der in den Städten, wo DemokratInnen „versagen“, für Ordnung sorgt. Er will die Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt, die seit Ende Mai auf den Straßen ist, zu einem Problem der öffentlichen Sicherheit machen. Und er will die LehrerInnen zwingen, im Herbst wieder in den Schulen zu unterrichten – egal wie sich die Pandemie entwickelt.
Bidens größte Befürchtung ist, dass Trump am 3. November die Wahlen „stehlen“ wird. Als ein Interviewer des rechten Senders Fox News den US-Präsidenten fragte, ob er eine Niederlage eingestehen würde, antwortete dieser kraftmeierisch: „Wir werden sehen.“
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