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Vor den Jamaika-FinanzverhandlungenAlle für die schwarze Null

Nach Union und FDP bekennen sich auch die Grünen zum Verzicht auf neue Schulden. Alle müssen sich von teuren Wünschen verabschieden. Eine Analyse.

Mit zu wenig Geld auf dem Jakob-Mierscheid-Steg nach Jamaika? Foto: dpa

BERLIN taz | Die schwarze Null, das Vermächtnis Wolfgang Schäubles, bedient ein Grundgefühl vieler Deutscher. Wenn der Staat Geld übrig hat, um Schulden zurückzuzahlen, klingt das für Kleinsparer beruhigend. Muss nicht jeder seine Kredite abstottern? Doch eine Volkswirtschaft ist eben kein Kleinsparer. Um nötige Investitionen zu tätigen, kann Neuverschuldung sehr sinnvoll sein.

An diesem Dienstag wird es bei den Jamaika-Sondierungen um Finanzen und Steuern gehen. Die Verhandler von CDU, CSU, FDP und Grünen wollen in einem vertiefenden Gespräch abstecken, wie ein Finanzrahmen aussehen könnte. Schon jetzt ist klar: Jamaika bleibt finanzpolitisch konservativ. Die schwarze Null, durch die der Staat ohne neue Schulden auskommt, wird durch das mögliche Bündnis nicht angetastet – und Investitionen werden beschnitten.

„Ich kann mich nicht dran erinnern, dass einer der Gesprächspartner die schwarze Null, also die Nullverschuldung infrage gestellt hat“, sagte Parteichef Cem Özdemir am Montag mit Blick auf die ersten Gespräche zwischen Union, FDP und Grünen. Das stehe nicht zur Disposition. So ein Bekenntnis freut Union und FDP. CDU und CSU sehen Schäubles Sparkurs als großen Erfolg. Auch FDP-Chef Christian Lindner sagte der Süddeutschen Zeitung, ein Verzicht auf die schwarze Null sei ein „fatales Signal nach Europa“. Zwar ist der Staat durch die Schuldenbremse sowieso zur Disziplin verpflichtet, doch die schwarze Null ist ein noch ambitionierteres Ziel.

Der Spielraum der bindungswilligen Jamaikaner wird dadurch eingeengt. Denn dem Versprechen, ohne Schulden auszukommen, wird wohl der Verzicht auf neue Einnahmen gegenüberstehen. Die Grünen fordern in ihrem Wahlprogramm zwar, sehr reiche Menschen stärker zu belasten – durch eine Vermögensteuer, eine Reform der Erbschaftsteuer und einen moderat höheren Spitzensteuersatz. Doch werden sie sich hier kaum verkämpfen. Union und FDP lehnen solche Steuererhöhungen vehement ab.

Selbst die Forderungen der Union sind zu hoch

CDU-Haushaltsexperten haben das zur Verfügung stehende Geld und die teuren Wünsche der Partner gegenübergestellt. Das Papier, das der taz vorliegt, beziffert den Spielraum im Haushalt für die nächsten vier Jahre auf 30 Milliarden Euro. Darin heißt es unmissverständlich: „Die finanzwirksamen Forderungen der Wahlprogramme von FDP und Grünen übersteigen den verfügbaren Haushaltsspielraum um ein Vielfaches.“

Allein die bereits bezifferbaren Forderungen betrügen bei der FDP zusammengerechnet 180 Milliarden Euro, bei den Grünen rund 150 Milliarden Euro. Auch die Forderungen der Union stünden nicht im Einklang mit dem Spielraum von 30 Milliarden Euro. Als besonders belastend schätzen die CDU-Haushaltsexperten Maßnahmen ein, die den Haushalt jedes Jahr belasten.

Es ist ein Dilemma

Die Prioritäten sind sehr unterschiedlich: Die CSU will etwa die Mütterrente ausbauen, mit der sie schon 2013 in den Wahlkampf gezogen war. Dies kostet in den nächsten vier Jahren 28 Milliarden Euro. Die FDP pocht auf eine Steuersenkung. Die von ihr geforderte schnelle Abschaffung des Solidaritätszuschlags schlüge ab 2020 mit rund 20 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche. Profitieren würden alle Steuerzahler, die den Soli berappen – besonders stark Gutverdiener. Die Grünen wünschen sich ein Familienbudget, ein Maßnahmenpaket, das Kinderarmut bekämpfen und Alleinerziehende sowie Familien mit mittleren und niedrigen Einkommen entlasten soll. Kosten bis 2021: 48 Milliarden Euro.

Auch Wünsche der CDU sind extrem teuer. Die Regierungschefs der Nato haben 2014 verabredet, dass alle Länder darauf hinarbeiten sollen, von 2024 an 2 Prozent ihres Brutto­inlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Kanzlerin Merkel hatte hier mehr Engagement Deutschlands angekündigt. Doch die Erreichung des Zweiprozentziels würde „eine Ausgabensteigerung um illusorische 112 Milliarden Euro erfordern“, heißt es in dem Papier der CDU-Haushälter.

Die Jamaika-Verhandler stehen also vor einem Dilemma. Da sie sich freiwillig ein finanzpolitisches Korsett schneidern – schwarze Null plus Verzicht auf Steuererhöhungen –, werden sie sich von vielen Herzenswünschen trennen müssen.

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13 Kommentare

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  • Wenn es einen großen Fehler für die Grünen gibt dann diesen: Jamaika.

     

    Das ist nicht Reggae, bunt, Rum und Sunshine, sondern ein Programm zur Verarmung mit grünen Flecken. Und dafür werden die Grünen danach jahrelang bezahlen. Es ist nicht die Aufgabe der Grünen dafür zu sorgen, dass Merkel noch eine Runde regieren darf und kann, sondern die Grünen haben im Wahlkampf eine Alternative zu Merkel versprochen. Und null Schulden? Dies ist nix anderes als ein Liebesbrief des Finanzamts an Durchschnittsverdiener die Steuerlücken der Mächtigen und Reichen noch stärker zu begleichen als bisher. Oder für die Guerilla: Schwarzarbeit wird immer wichtiger, um in dieser Gesellschaft sich Bio-Milch beim Discounter kaufen zu können. Und überhaupt warum gibt es so viele Schulden? Warum wurden sie denn angehäuft, wenn man betrachtet, dass Durchschnittsmenschen immer mehr Steuern querbeet bezahlen und dafür eigentlich nichts Neues erhalten? Alleine die Elbphilharmonie und die U4 in Hamburg zeigen, dass die Politik nur auf reiche und einflussreiche Kreise ausgerichtet ist. Dafür mussten gewaltige Finanzmittel mobilisiert werden und die sind entsprechend nicht mehr in Schulen oder Kindergärten oder anderer öffentlicher Infrastruktur investiert, sondern werden feinsäuberlich auf reiche und einflussreiche Menschen und ihre Investments ausgekippt. Wer bei so einer Politik mitmacht, der tritt dem armen Kind nebenan direkt ins Gesicht. Was ein Mal ausgegeben wurde, das geht nicht ein zweites Mal - das Geld ist dann weg.

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Ein Staat kann ohne Schulden auskommen, wenn man etwas nicht finanzieren kann ist das halt so. Schulden machen einen Staat angreifbar und die Zinsen fressen weltweit immere größere Teile des Budgets, das ist Umverteilung von unten nach oben. Das Deutschland nicht dauerhaft einen extremen Handelsüberschuss erhalten kann ist klar, aber der Staat soll Schulden abbauen. Die Zukunft ist ungewiss und dann ist es besser man hat weniger Schulden.

    (Bevor jemand sagt der Staat muss seine Schulden nicht zurückzahlen, das System funktioniert nur in einer Welt des unebgrenzten Wachstums).

  • "Doch eine Volkswirtschaft ist eben kein Kleinsparer. Um nötige Investitionen zu tätigen, kann Neuverschuldung sehr sinnvoll sein."

     

    Ich wünschte, manche "Experten" würden WENIGSTENS mal ihren Keynes bis zu Ende lesen. Schon mal was von "antizyklischer Wirtschaftspolitik" gehört?

     

    Auch wenn der Staat kein Kleinsparer ist, muss er seine Schulden trotzdem verzinsen, und die Zinsen werden nicht immer um Null herum dümpeln. Wer jetzt, wo richtig Steuergeld reinkommt, die ohnehin schon hohen und stabilen staatlichen Schuldenberg (wir haben kaum Zinsen aber AUCH keine Inflation) noch aufstockt, wird sich erst recht wundern, wovon er Investitionen etc. bezahlen soll, wenn die Steuern mal nicht mehr so sprudeln und die Notenbanken wieder Geld für ihr Geld verlangen. Aber das interessiert halt den Schlafaffenlandbewohner von morgen...

     

    Eine andere Frage ist, warum ein Land mit brummender Wirtschaft, Rekord-Steuereinnahmen und einer Staatsquote von deutlich über 40% bloß lächerliche 30 Milliarden Euro Spielraum im Haushalt hat - auf VIER Jahre gerechnet, wohlgemerkt. Irgendwie scheint das niemanden zu stören. Was sagen denn die Jamaika-Koalitionäre DAZU, Herr Schulte??

  • Solange diese Leute, die uns regieren, nicht verstanden haben, dass mit Ausgaben auf Pump auch Gewinne gemacht werden können, wird sich hier wohl nichts ändern!

     

    Diese "Schwarzen Nullen" sollten endlich beginnen den oberen Einkommen, damit meine ich nicht den Arbeitenden, auch wenn er eine Halbe Million verdient, sondern die, die Leistungslos hohe Einnahmen durch Börsengeschäfte oder Ähnlichem haben.

     

    Schaut man sich einmal an, wie viele das sind, kann einem schon Übel werden.

    Jedem, der auch nur etwas höhere Bezüge durch Prämien bekommt, werden höhere Steuern auferlegt, oft so viel, dass nichts mehr übrig bleibt.

    Mit welchem Recht, nicht des Gesetzbuches, dürfen Menschen, die sehr Reich sind, keine höheren Steuern verordnet werden.

     

    Es ist doch ausschließlich die Politik, die diese Recht gewährt!

    Es wird wirklich Zeit für mehr Gerechtigkeit in diesem Land zu sorgen, aber nicht auf dem halbherzigen Weg der SPD, denn die sehen inzwischen auch nur noch die Wirtschaft, die Industrie und die Banken als Fördernswert.

    Es wird Zeit, dass sich eine Regierung als Lobbyist für den "Kleinen Menschen/Arbeiter" etabliert, sonst wird die Quittung in vier Jahren um so Brauner ausfallen!!!

  • ein einzelner Unternehmer oder Haushalt kann und sollte auch sparen aber die schwarze Null in einer Volkswirtschaft ist Unsinn: jedem Sparer steht ein Schuldner gegenüber. wenn Deutschland (Unternehmer, Haushalte und Unternehmen) spart bzw. Überschüsse hat muß ein anderer Schulden machen, dann bleibt nur das Ausland übrig - diese wachsenden Schulden können diese nur dann zurückzahlen, wenn sie selber in die Überschussposition kommen und diesen Unterschied zwischen Betriebs- und Volkswirtschaft haben die meisten Politiker nicht verstanden

  • Alle öffentlichen Infrastrukturen ausbauen, Krankenhäuser rekommunalisieren und den Fiskalpakt brechen.

    Schluss mit der Verelendung der Griechischen ArbeiterInnen.

    Her mit der Transferunion!

    Umverteilung aller Reichtümer.

     

    Die Phantasie, es gäbe irgendwo eine schwarze Null ist nichts als eine irre Ideologie, die nur Kinderarmut und Elend erzeugt.

  • "Doch eine Volkswirtschaft ist eben kein Kleinsparer. "

    Das ist genau das Problem an dem D krankt. Mikroökonomik (aka BWL) wird mit Makroökonomik verwechselt.

  • Die arme EZB. Die werden nun noch mehr mit niedrigen Zinsen und dem Ankauf von Anleihen die Wirtschaft retten müssen.

     

    Und das wegen dem VWL-Vodoo der Schwarzen.

  • Die Schuldenbremse ist der Oberkill.

    Er zwingt alle sinnlos in die Knie und zwingt irgendwann zum Outsourcing in Form von Privatisierung. Wer freut sich? Wer zahlt am Ende? Vielen Dank, EU.

    P.S. Vielleicht schaffen die Katalanen ja den Untergang.

    • @Thomas Fluhr:

      Hat nichts mit EU zu tun. Die schwarze NULL und die Schuldenbremse sind D Produkte von u.A. Herrn Schäuble. Aber der Popanz einer schwarzen NULL geistert schon eine ganze Zeit durch die Presse und die Politik in D. Damit wird dem Staat die Handlungsfähigkeit geraubt aum tatsächlich politisch zu gestalten

  • n der Vermögensrechnung für das Haushaltsjahr 2016

     

    gibt es beim Vermögen unter dem Punkt VII Flüssige Mittel eine Position,

     

    die heißt „Guthaben bei Banken und anderen Geldanstalten“.

     

    Zum 01.01.2016 gab es da 4.129,4 Mio. Euro, zum 31.12.2016 gab es eine Erhöhung auf 19.165,2 Mio. €. Guthaben bei Banken bringen bekanntlich Zinsen, die zu Konditionen, die auch von der Höhe der Geldeinlage abhängen, angelegt werden.

     

    Vielleicht kann man die Einnahmen aus Zinsen für das Jahr 2017 im Voraus berechnen und einen bestimmten Betrag für die noch sozialere Politik ausgeben?

     

    Arbeiter, Arbeitslose und Rentner haben einen enormen Anteil der AfD Wähler bei der Bundestagswahl 2017 ausgemacht. Nicht nur rechte Wähler wandern zur AfD ab. Auch sehr viele enttäuschte und unzufriedene Menschen „suchen nach Alternative“. In der Opposition kann man noch mit Worten kämpfen. Von der Regierung erwartet man Taten.

     

    Analysieren wir kurz die Lebenslagen in Deutschland aus dem 5 Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ganz kurz!

     

    Erwerbstätige haben deutlich niedrigere Armutsquote als die Gesamtbevölkerung. Hohe Werte hingegen weisen nicht nur Arbeitslose, sondern auch Alleinerziehende, niedrig Qualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund auf. Bei der Analyse nach Lebensphasen zeigt sich, dass Kinder und junge Erwachsene eher überdurchschnittlich betroffen sind.

     

    Von Armut betroffen sind natürlich auch Aufstocker und Rentner, deren Rentenhöhe per Rentenformel beim HARTZ IV Niveau oder knapp höher liegt.

     

    Oft kann man Menschen helfen und Wähler für sich zurück gewinnen, ohne dabei das Geld großartig auszugeben. So könnte man beispielsweise alle „Modernisierungsverlierer“ beruhigen, indem man Mietrecht auf Bundesebene etwas feinjustiert, und die schwarze 0 steht dann immer noch.

  • Wenn man die schwarze o um jeden Preis (auch möglicher weiterer Wählerverlust an die AfD) halten will, dann sollte man über die Umverteilung von Steuergelder bei der Mittelverwendung aus dem Bundeshaushalt nachdenken.

     

    Jährlich bekommen Unternehmen Steuergelder als Zuschüsse. Jedoch nicht jährlich und schon gar nicht in derselben Höhe brauchen betreffende Unternehmen das Geld. Das muss man jährlich und sehr streng überprüfen.

     

    „Geben Sie uns Geld, sonst sind Arbeitsplätze in Gefahr“ ist sehr oft nur ein Scheinargument.

     

    Was viele Manager und Unternehmensbesitzer sehr gut können, das sind die Gewinnmaximierung und Kostenminimierung durch Arbeitnehmerentlassungen, befristete Arbeitsverträge und prekäre Arbeitsverhältnisse. Und ein Geschäftsbericht zu „polieren“, um sich gegenüber der Politik arm darzustellen und zusätzliche Gewinne – verdeckt in die eigene Hosentasche zu stecken, ist keine Kunst. Selbst Wirtschaftsprüfer sind dabei eine große Hilfe. Schließlich werden diese von den zu prüfenden Unternehmen bezahlt. Und deren Aufgabe ist es: nicht etwas aufzudecken und den Behörden mitzuteilen, sondern die Geschäftsberichte so zu prüfen, dass es keine große Ungesetzlichkeit oder kein grober Gesetzesverstoß äußerlich durch Dritte ersichtlich ist. Gibt es grobe Fehler oder Gesetzesverstöße bei Prüfungen, müssen zu prüfende Unternehmen das selbst korrigieren.

  • "Doch eine Volkswirtschaft ist eben kein Kleinsparer."

     

    Ich glaube nicht mal Schäuble hat das verstanden. Ein Schwabe als Finanzminister kann halt eine Bürde sein.