Vor Abstimmung auf Parteitag: Agrogentechniker lobbyieren Grüne
Vor dem Parteitag werben ForscherInnen für neue Methoden zur Veränderung von Pflanzen. Die Wissenschaft sei sich da aber uneins, so Kritiker.
Darunter sind Professoren wie Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie und Urs Niggli, bis vor Kurzem Chef des Forschungsinstituts für biologischen Landbau. Der Brief sei an die Kreisverbände der Grünen gegangen, so der Initiator, der Verein Progressive Agrarwende. Die Partei will bei ihrer Konferenz darüber entscheiden, ob sie ihre bisherige grundsätzliche Ablehnung der Gentechnik aufweicht.
„Immer wieder wird versucht, mit Verweis auf Behauptungen von NGOs und wirtschaftlichen Interessenverbänden den wissenschaftlichen Konsens infrage zu stellen“, schreiben die Autoren. Sie verlangen von den Grünen eine „faktenbasierte Sichtweise auf die neuen gentechnischen Verfahren“ wie Crispr, die präziser als ältere Methoden sind. Es sollte nicht verhindert werden, gentechnisch veränderte Pflanzen in der Umwelt freizusetzen.
Der Text suggeriert, der Weltklimarat IPCC sehe Gentechnik als Teil einer Strategie zur Bewältigung der Erderhitzung, zum Beispiel durch Entwicklung von Pflanzen, die mit weniger Wasser auskommen. Man habe zwar mit neuer Gentechnik aussichtsreiche Impfstoffkandidaten gegen das Coronavirus entwickelt, aber solche Potenziale seien in der EU für die Landwirtschaft „schwer umsetzbar“, weil die amtliche Zulassung teuer und langwierig sei. Deshalb würden sich Wissenschaftsorganisationen wie die Leopoldina oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft für eine Reform des Gentechnikrechts einsetzen.
Anders als bei der alten Gentechnik gehe es beim neuen „Genome Editing“ nur um „kleine Veränderungen in vorhandenen Genen der Pflanzen“. „Diese Veränderungen sind von natürlichen und in der konventionellen Züchtung genutzten Mutationen nicht unterscheidbar. Deshalb ist bei Erforschung und Nutzung von mit Genome Editing erzeugten Pflanzen kein erhöhtes Risiko für Mensch und Umwelt zu erwarten.“
„Der Konsens besteht bei den Unterzeichnenden. Aber Wissenschaft ist vielfältig“, sagte Harald Ebner, Gentechnik-Experte der Grünen im Bundestag, der taz. „Viele SoziologInnen, BioethikerInnen und ÖkologInnen, aber auch BiologInnen sind da sehr kritisch.“ Man dürfe nicht nur Wissenschaftler fragen, die die neue Gentechnik anwenden oder entwickeln. „Wir wollen Zulassungsverfahren, die alle Risiken prüfen, und eine Kennzeichnung. Was ist daran nicht faktenbasiert?“ Ebner bezweifelte, dass sich mit Genome Editing zum Beispiel trockenheitstolerante Pflanzen erzeugen lassen. „Dazu müsste man sehr viele Stellen des Genoms verändern. Das ist so komplex, dass die GentechnikerInnen bisher keine trockenheitstolerante Pflanze zur Marktreife gebracht haben“, so der Abgeordnete. „Konventionelle Züchtung war damit aber bereits überaus erfolgreich.“
Massive Eingriffe ins Erbgut nötig
Ebner bestritt auch, dass die Veränderungen mit Crispr so minimal wie bei einer natürlichen Mutation seien. „Erstens kann man mit Crispr viel massiver eingreifen – und anders als bei einer Punktmutation modifiziert Crispr auch alle Kopien der betroffenen Gensequenzen im Genom“, so der Politiker. „Und trockenheitstolerante Pflanzen würden sowieso massive Eingriffe erfordern, die viel weiter gehen als eine Punktmutation.“
Den Abgeordneten ficht auch nicht an, dass Wissenschaftsgesellschaften das aktuelle Gentechnikrecht kritisieren. „Sie wollen bestimmte Eingriffe ins Genom aus der Risikoprüfung und der Kennzeichnung nehmen. Dann können die VerbraucherInnen sich nicht mehr gegen solche Lebensmittel entscheiden. Die Behörden würden potenzielle Risiken nicht mehr untersuchen“, antwortete der Grüne. „Aus Sicht der Unternehmen mag das wünschenswert sein. Aber aus ethischer und politischer Sicht darf ich dem nicht folgen.“ Die Mehrheit der VerbraucherInnen lehnt laut Umfragen „Genfood“ ab. Deshalb verzichten Lebensmittelhersteller auf solche Produkte.
„Rote“ anders als „grüne“ Gentechnik
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, verwahrte sich dagegen, die „rote“ Gentechnik in der Medizin mit der grünen in der Landwirtschaft gleichzusetzen. „Bei der grünen Gentechnik setze ich Pflanzen frei, die später eventuell schwer wieder zurückzuholen sind. Bei der roten Gentechnik kann ich einfach einen Deckel drauf machen, wenn es Probleme gibt“, warnte Häusling.
„Der IPCC hat nicht gesagt, wir müssen jetzt neue Gentechnik einsetzen, um das Klima zu retten“, so der EU-Parlamentarier. „Er hat gesagt, das müsste man auch mal prüfen.“ Häusling ergänzte: „Es geht nicht um ein Verbot. Es geht um eine strenge Regulierung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“