Von Identität und Zugehörigkeit: Was mir der deutsche Pass bedeutet
Meistens werde ich gefragt, wohin ich reisen will, wenn ich den deutschen Pass habe. Mich beschäftigt: Werde ich eine deutsche Identität annehmen?
W as bedeutet es, wenn ich den deutschen Pass bekomme? Darüber denke ich in letzter Zeit viel nach. Meistens werde ich gefragt, wohin ich dann reisen möchte, aber mich beschäftigen andere Fragen. Zum Beispiel: Werde und sollte ich dann eine deutsche Identität annehmen? Was ist überhaupt die deutsche Identität? Was werden die Unterschiede zwischen mir und meinen Kindern sein, die hier geboren werden? Werde ich die gesamte deutsche Geschichte auch als meine Geschichte tragen? Und was ist mit meiner persönlichen Geschichte oder meiner syrischen Geschichte?
Über diese Gedanken habe ich mit einem syrisch-deutschen Freund mit Fluchtgeschichte gesprochen. Für ihn ist die Sache klar: Er ist Deutscher und stolz auf seinen deutschen Pass. Er war kürzlich in Syrien. Er darf dorthin reisen, weil er weder vom Militär noch von der Regierung gesucht wird und er wollte seine Mutter und Geschwister treffen, die er seit mehr als zwölf Jahren nicht gesehen hat.
Als er dort war, wollte er nach Deutschland zurück. Seine Familie machte sich über ihn lustig und sagte: „Du bist ja Deutscher!“ Er hatte für sie typisch deutsche Denkweisen mitgebracht: Ordnung, viel Vorbereitung, keine Flexibilität und langsames Arbeiten, aber mit perfektionistischem Anspruch.
Manchmal lernt man sich selbst besser kennen, wenn man mit Gegensätzen konfrontiert wird und erkennt, was einem passt und was nicht. Genau so erging es mir: Ich habe mich besser verstanden, weil ich ganz anders bin als mein Freund. Ich habe immer gesagt, dass ich, obwohl ich fast 36 Jahre alt bin, Syrer bin und die syrischen Gedanken, Geschichte, Kultur und Identität behalten werde.
Während des Gesprächs wurde mir klar, dass ich mich darauf freue, die deutschen Staatsangehörigkeit zu bekommen. Sie wird für mich ein Zugehörigkeitszertifikat sein, das bestätigt, dass ich hierher gehöre und nicht mehr mit der Ausländerbehörde streiten muss und dass ich wählen darf.
Meine Kinder tragen deutsche Geschichte in sich
Vielleicht liegt hier der große Unterschied zwischen Identität und Zugehörigkeit. Für mich und viele aus der ersten Generation von Geflüchteten und Zugewanderten bedeutet der deutsche Pass Zugehörigkeit. Das wird für meine Kinder anders sein, weil sie Deutsche mit deutscher Identität sind.
Sie kennen nichts anderes, sie tragen die deutsche Geschichte, Kultur und die Art zu denken in sich, auch wenn sie die Geschichte ihrer Eltern kennen. Sie werden Deutsche mit syrischer Geschichte sein, während wir als erste Generation Syrer*innen mit deutschem Pass sind.
Klar gibt es immer Ausnahmen. Eine Bekannte von mir hat ihren Namen geändert, als sie den deutschen Pass bekam, weil sie sich stark mit Deutschland identifiziert und mit der neuen Staatsbürgerschaft auch ein neues Leben unter neuem Namen beginnen wollte.
Natürlich gibt es auch politische und gesellschaftliche Aspekte. Eine Freundin meiner Frau (beide Deutsche ohne internationale Migrationsgeschichte) sagte ihr kürzlich, sie mache sich Sorgen um mich. Sie habe das Gefühl, dass die populistische Rechte stärker werde und sie höre immer öfter ausländerfeindliche und rechte Positionen.
Es wäre für mich besser, so schnell wie möglich die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, damit ich wenigstens von den Gesetzen geschützt werde. Ich habe entspannt reagiert, was sie, glaube ich, überrascht hat. Ich sagte: „Na ja, Gott sei Dank lebe ich in Hamburg, wo ich mich sicher fühle.“
Vielleicht kommt meine relative Entspannung daher, dass ich schon einmal meine Heimat verloren habe, ohne mich selbst zu verlieren. Ich weiß, wie es ist, in einem Land zu leben, in dem Gesetze von einem Tag auf den anderen verändert werden und dein Leben plötzlich nicht mehr dir gehört. Vielleicht konzentriere ich mich daher auf mein Leben in Hamburg und alles, was doch gut läuft. Denn hier fällt es mir leicht, meine syrische Identität zu behalten und mich gleichzeitig zugehörig zu Hamburg und zu ihrer Gesellschaft zu fühlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste