Volksinitiative für Wohnen in Hamburg: Mietervereine werfen Fehdehandschuh
Was andere Städte schon haben, bekommt Hamburg jetzt doppelt: Die Mietervereine präsentieren zwei Volksinitiativen.
Hamburg taz | Weil der Senat aus ihrer Sicht nicht ausreichend handelt, wollen Hamburgs Mietervereine jetzt selbst Politik machen: Am Donnerstag wollen sie zwei Volksinitiativen präsentieren, die die Wohnkosten eindämmen sollen.
Die Forderungen sind radikal: Erstens soll die Stadt zukünftig keine Grundstücke mehr verkaufen, sondern nur noch in Erbpacht vergeben. Auf diese Art würde die Stadt die Hoheit über ihren Grund und Boden behalten, statt sie in die Hände von Finanzinvestoren zu legen. Beim Erbbaurecht bleibt die Stadt Eigentümerin, vergibt aber für 60 bis 99 Jahre gegen eine Pacht das Recht, dort zu bauen oder bestehende Gebäude zu nutzen.
Zweitens fordern die Mietervereine, dass das Mietpreisniveau bei zukünftigen Neubauten auf städtischem Grund das von Sozialwohnungen nicht überschreiten darf. Die Nettokaltmiete dürfte also zu Beginn nicht höher sein als die des ersten Förderwegs im sozialen Wohnungsbau. Später dürfte sie höchstens um zwei Prozent pro Jahr steigen. Kommen beide Forderungen durch, würde das der Stadt einen erheblichen Gestaltungsspielraum sichern und dem von Investoren dominierten Mietmarkt einen Dämpfer verpassen.
Die Initiatoren, der „Mieterverein zu Hamburg“ und „Mieter helfen Mietern“, wollen sich vor Donnerstag zu Details und Hintergründen nicht äußern. Klar ist aber, dass Hamburgs Mieter*innenbewegung nicht länger hinter anderen Städten zurückstehen soll.
Andere Städte sind schon weiter
In München versucht eine Initiative derzeit per Volksgesetzgebung, die Mieten für sechs Jahre einzufrieren. In Osnabrück erwirkte kürzlich ein Bürgerentscheid die Gründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft. In Berlin hat die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid innerhalb kurzer Zeit genommen.
Dabei ist die Situation in Hamburg nicht weniger angespannt. „Luxusmodernisierung, Eigenbedarfskündigungen und das Dahinschmelzen des Sozialwohnungsbestandes verschlimmern die Situation“, schreibt der „Mieter helfen Mietern“-Anwalt Marc Meyer in der aktuellen Ausgabe der Mitgliederzeitung Mietraum2. „Jahrzehntelang hat der Senat städtische Flächen zu Höchstpreisen verkauft und damit die Preise in die Höhe getrieben.“ Es sei höchste Zeit, dass die Hamburger*innen die Sache selbst in die Hand nähmen.
In Hamburg soll eigentlich das „Bündnis für das Wohnen“ solche Alleingänge der Mieter*innenvertretung verhindern. Der Senat, die Verbände der Wohnungswirtschaft und die Mietervereine haben sich 2011 darin zusammengeschlossen – mit dem Ziel der „aktiven und sozialverträglichen Weiterentwicklung des Wohnungsmarktes“.
Von der Stadtentwicklungsbehörde, bei der das Bündnis angesiedelt ist, ist bislang kein Kommentar zu bekommen – man wolle erst die offizielle Vorstellung der Initiativen abwarten, sagt Sprecherin Barbara Ketelhut. Ebenso hält es die SPD-Fraktion.
Anjes Tjarks, der Sprecher der Grünen-Fraktion, äußert sich hingegen positiv: „Wir begrüßen jede Initiative, die den Wohnungsmarkt sozialer gestalten möchte und sind für Gespräche offen“, sagt er. Die Idee mit der Erbpacht ist von der derzeitigen Wohnungspolitik auch nicht meilenweit entfernt. Erst kürzlich beschloss der Senat, städtische Grundstücke prioritär in Erbpacht zu vergeben.
Umstrittener Drittelmix
Das reicht den Mietervereinen aber nicht. Sie wollen sich absichern – auch für einen möglichen Regierungswechsel. Der derzeit geltende „Drittelmix“ ist in den Augen von „Mieter helfen Mietern“ eine Mogelpackung: Er wird nach Wohneinheiten berechnet, bei Neubauten mit einem Drittel Sozialwohnungen müsse man aber die Fläche betrachten, und die sei bei Sozialwohnungen meist deutlich kleiner als bei frei finanzierten und Eigentumswohnungen.
Gar nicht begeistert ist der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen. Durch ganze Quartiere mit niedrigen Mieten produziere man „die sozialen Brennpunkte von morgen“, sagt Direktor Andreas Breitner. „Dieses Argument ärgert mich“, erwidert darauf die wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Heike Sudmann. Denn es diskreditiere die Hälfte aller Hamburger*innen, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben.
Leser*innenkommentare
OndaOnda
„Drittelmix“ ist in den Augen von „Mieter helfen Mietern“ eine Mogelpackung: dem kann ich nur zustimmen. Meine Genossenschaft praktiziert das gerade in einer Neubausiedlung. Die 30 % Sozialwohnungen unterscheiden sich von aussen, also bei Baukörper und Fassaden nicht von den Freifinanzierten, die Grundrisse der Sozialwohnungen sind aber nicht nur kleiner, sondern auch viel schlechter geschnitten als die Freifinanzierten, sozusagen das Übriggebliebene. Das ging früher schon mal viel besser!
Und: statt Anbindung an den ÖPNV gibt es überall Tiefgaragen, dazu keine Nahversorgung mit bezahlbaren Läden. Und auf 100 Wohnungen 1800 Bewerber. Das ist nicht sozial.
Ricky-13
taz: "Gar nicht begeistert ist der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen. Durch ganze Quartiere mit niedrigen Mieten produziere man „die sozialen Brennpunkte von morgen“, sagt Direktor Andreas Breitner."
Es wird Zeit, dass wir solchen Leuten klarmachen, wer der wirkliche Souverän in diesem Staat ist.
In Deutschlands Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Allein in Berlin fehlen 310.000 bezahlbare Wohnungen und in Hamburg 150.000 Sozialwohnungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Stadtsoziologen der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Wir haben 678.000 Wohnungslose in Deutschland und 52.000 obdachlose Menschen (laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe). Momentan haben wir also 52.000 Obdachlose in diesem Land, die also schon auf der Straße leben müssen, aber das könnte man ja noch steigern. Wie so etwas aussieht, kann man in Skid Row, Downtown Los Angeles (USA), sehen. www.youtube.com/watch?v=KbTSDuQET94
Lange wird es nicht mehr dauern, dann sieht es in deutschen Städten auch so aus wie in Skid Row. Man kann ja mal in Hamburg vom Hamburger Rathaus über die Mönckebergstraße zum Hamburger Hauptbahnhof gehen (ca. 1 Km). Ab 22 Uhr liegen da Dutzende Obdachlose, die von den Prachtbauten (Elbphilharmonie), die in Hamburg gebaut wurden und immer noch gebaut werden sollen ("Elbtower" – ein 200 Meter hohes Hochhaus, das bis zu eine Milliarde Euro kosten soll), aber nichts haben. Die Reichen feiern ihren Reichtum in Prachtbauten und die Armen werden wohnungslos oder sogar obdachlos. Es gibt immer mehr Menschen, die den steigenden Mietpreisen und der Willkür der Sozialbehörde zum Opfer gefallen sind und keine Wohnung mehr haben.
Auch die Kapitalisten dieser Welt werden irgendwann begreifen, dass es in ihrer neoliberalen Welt nicht mehr schön ist, wenn man überall über obdachlose Menschen stolpert.
Frau Kirschgrün
@Ricky-13 "Auch die Kapitalisten dieser Welt werden irgendwann begreifen, dass es in ihrer neoliberalen Welt nicht mehr schön ist, wenn man überall über obdachlose Menschen stolpert."
Das Problem ist, dass "die Kapitalisten" bei den Obdachlosen gar nicht vorbeikommen (müssen|wollen). Schade eigentlich, denn dann müssten sie das Elend wenigstens sehen…
Ohne Kapitalismus-Beseitigung wird das nixx, aber da sind wir uns ja einig…
Danke für Ihre Fakten-Recherche.
Ricky-13
@Frau Kirschgrün Alles "coole" kommt ja bekanntlich aus den USA, also wird es wohl auch bald bei uns modern sein in Zelten zu hausen. Nicht nur in Skid Row (USA) ist das schon "Trendy", sondern auch in Anaheim (USA).
**The River View Village Homeless Camp in Anaheim** www.youtube.com/watch?v=EQemqkpnEAw
Spaß beiseite, ich werde jetzt wieder ernst. Anaheim ist eine Stadt vor den Toren von Los Angeles. Hier befindet sich auch Disneyland. So sieht die hässliche Fratze des Kapitalismus nämlich wirklich aus. Auf der einen Seite bittere Armut und auf der anderen Seite eine Disney-Welt, die Millionen Dollar scheffelt. Und auf solche Verhältnisse steuern wir seit Jahren auch drauf zu. Irgendwann wird die Obdachlosigkeit aber so groß werden, dass auch die Kapitalisten es nicht mehr übersehen können. Dass sich etwas ändern muss, bevor das "Fass der sozialen Ungerechtigkeit" uns allen um die Ohren fliegt, ist langsam auch einem der größten Kapitalisten dieser Welt klar geworden. Warren Buffett verschenkt nach und nach 85% seines Vermögens an fünf Stiftungen für wohltätige Zwecke. Nach der Forbes-Liste 2019 beträgt Buffets Vermögen rund 83 Milliarden US-Dollar. Warren Buffet macht übrigens seit einiger Zeit etwas für die obdachlosen Menschen aus Skid Row. Damit es bei uns erst gar nicht so weit kommt wie in Skid Row, Anaheim und weiteren unzähligen Orten in den USA und in anderen Ländern dieser Welt, wird uns wohl wirklich nichts anderes übrig bleiben als die Miethaie zu enteignen, die nur noch Eigentumswohnungen bauen oder ganze Stadtteile durch Gentrifizierung unbezahlbar machen.
Ja, wir sind uns einig, dass es so mit dem Raubtierkapitalismus nicht weitergehen kann. Aber die große Masse lässt sich weiterhin von den Mainstreammedien an der Nase herumführen und die Miethaie werden ihre "Wahrheiten" in den Mainstreammedien weiterhin verbreiten. Nun ja, vielleicht schafft „Mieter helfen Mietern“ es ja, diesen Wahnsinn wenigstens in Hamburg etwas einzuschränken.
Frau Kirschgrün
@Ricky-13 Ja, und ich finde es wirklich erstaunlich, dass das Lügen bei gesellschaftlich relevanten Zusammenhängen sooo einfach geht. Ich schließe daraus, dass die menschen belogen werden wollen. Denn sonst müssten sie denken und entsprechend handeln.
Da amüsieren sie sich doch lieber ein bißchen, so lange sie noch nicht selbst betroffen sind.^^
Rossignol
@Frau Kirschgrün "Das Problem ist, dass "die Kapitalisten" bei den Obdachlosen gar nicht vorbeikommen (müssen|wollen). Schade eigentlich, denn dann müssten sie das Elend wenigstens sehen…"
Weil die in den gekauften Wohnungen gar nicht wohnen.
Viele Eigentumswohnungen werden als Kapitalanlage zweckentfremdet oder werden zeitweise vermietet - auch Zweckentfremdung.
Wenn ich aus meinem Fenster schaue, sehe ich mindestens fünf Wohnungen, die tageweise vermietet werden (an Touristen oder Geschäftsleute) - eine steht sogar ganz leer.
Zwei sind ehemalige Mietwohnungen, die anderen befinden sich in einem Neubau.
Frau Kirschgrün
@Rossignol Schön, dass Sie das beobachten.
Es geht um's Grundsätzliche, um's Prinzip.
Dass Immobilien selbstredend Kapitalanlagen sind, wen wollen Sie mit dieser Binse beeindrucken?
Systemfrage?
Anders wählen?
Am Ende doch noch Gewalt?
Fragen über Fragen?
Haben Sie Antworten?
Rossignol
@Frau Kirschgrün "Dass Immobilien selbstredend Kapitalanlagen sind, wen wollen Sie mit dieser Binse beeindrucken?"
Wieso Binse - wieso beeindrucken!?
Ich schrieb, dass Eigentumswohnungen als Kapitalanlagen zweckentfremdet werden - damit meinte ich, dass diese Wohnungen teils nicht bewohnt werden.
Die stehen LEER.
Wohnungen werden gesammelt, wie früher Briefmarken.
Um das Geld zu parken.
Grundsätzlich und prinzipiell, weil es diese Möglichkeit gibt.
Das ist eine Systemfrage (ohne Antwortmöglichkeit).
Oder haben Sie die Antwort?
Ricky-13
@Ricky-13 taz: "Weil der Senat aus ihrer Sicht nicht ausreichend handelt, wollen Hamburgs Mietervereine jetzt selbst Politik machen: Am Donnerstag wollen sie zwei Volksinitiativen präsentieren, die die Wohnkosten eindämmen sollen."
Dann kann ich nur hoffen, dass die zwei Volksinitiativen auch durchschlagenden Erfolg haben, denn ich will nicht in einigen Jahren auch noch obdachlose Kinder auf deutschen Straßen sehen. Es wäre auch schön, wenn unser momentaner Bundespräsident - Frank-Walter Steinmeier (SPD) - nicht nur Managern und Wirtschaftsbossen die Hände schüttelt, sondern auch endlich einmal dafür sorgt, dass viele Tausende Obdachlose nicht weiterhin auf der Straße sitzen müssen. Bundespräsident Steinmeier (SPD)könnte nämlich endlich einmal das theoretische Thema seiner Doktorarbeit - "Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit" - in die Praxis umzusetzen. Besonders, wo die SPD ja jetzt "angeblich" wieder sozial werden möchte.
[Frank-Walter Steinmeier: Bürger ohne Obdach, zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum, Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit; Giessen, Univ., Dissertation, 1991, Bielefeld]