Volksentscheid über Rennbahn-Bebauung: Klage gegen Senatskampagne
Die Freien Wähler wollen gegen die Senatskampagne zum Bremer Rennbahn-Volksentscheid klagen. Auch die BI und die FDP fordert einen Stopp.
Zwar haben die staatlichen Organe bei Volksentscheiden „keine strikte Neutralitätspflicht“. So hat es der Staatsgerichtshof in Bremen 1996 entschieden – und so argumentiert auch der Senat. Bei Abstimmungen aber, so steht im selben Urteil, unterliegt die Regierung einem „Objektivitäts- oder Sachlichkeitsgebot“. Das verlange vom Senat zwar nicht, seine „Auffassung zu unterdrücken“, schrieben die Richter. Er müsse seine Überzeugung aber „in einer die Entscheidungsfreiheit der Stimmberechtigten respektierenden Weise äußern“, heißt es in dem Urteil.
Diese Grenze sei „überschritten“, wenn amtliche Äußerungen nicht nur auf die Meinungsbildung, sondern auf den Abstimmungsvorgang selbst zielten. Die sei etwa der Fall, wenn Muster von Stimmzetteln veröffentlicht würden, die bereits im Sinne der Regierung ausgefüllt seien.
Und genau das sei ja hier der Fall, argumentiert Adamietz, der früher mal für die Bremer Grüne Liste und die FDP in der Bürgerschaft saß und 2011 erfolglos für die Bremer und Bremerhavener Wählergemeinschaft kandidierte. Auf der Homepage der Kampagne zum Volksentscheid, aber auch auf den Flyern, für die ebenfalls die Senatskanzlei verantwortlich ist, leuchtet einem überall ein angekreuztes Stimmfeld entgegen, daneben ein „Nein“ in Großbuchstaben. Ist das schon das Muster eines Stimmzettels?
Auch die FDP-Fraktion sieht die Kampagne „sehr kritisch“ und hat deshalb für Dienstag eine Aktuelle Stunde in der Stadtbürgerschaft beantragt. Sie fordert, wie auch die Freien Wähler, die Aktion „Gute Gründe für das Rennbahnquartier“ sofort zu stoppen. Und zwar nicht nur, weil sie diese für eine „Steuergeldverschwendung“ hält und die Chancengleichheit nicht gewahrt sei.
Die FDP argumentiert auch mit dem Bundesverfassungsgericht: Das Steuergeld sei dem Senat „zur Verwendung für das gemeine Wohl anvertraut“, heißt es in einer wegweisenden Entscheidung zur Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung von 1977. Deswegen sei es ausgeschlossen, so die FDP, dass der Senat „in einem erheblichen Umfang“ Steuermittel ausgebe, „um seine parteiische Auffassung zum Volksbegehren der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen“. Bei der FDP-Fraktion hat man Zweifel, ob man zur Klage berechtigt wäre.
Geld aus dem „Sondervermögen Gewerbeflächen“
Das Geld für die Kampagne kommt aus dem „Sondervermögen Gewerbeflächen“, wie es in einer Vorlage für den Haushaltsausschuss heißt. Das Sondervermögen wird vom Wirtschaftsressort verwaltet, 430.000 Euro darin sollen der Entwicklung des Quartiers Rennbahn dienen. Knapp 20.000 Euro flossen bisher in Zeitungsanzeigen, 8.650 Euro in die Homepage, 30.000 Euro in die Flyerverteilung.
Andreas Sponbiel von der Bürgerinitiative findet das „unanständig“ und „unsportlich“. Er wolle aber „ruhig und sachlich“ bleiben. Und vertraut darauf, dass viele BremerInnen sich über die Kampagne schon „sehr geärgert“ hätten.
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