Volksentscheid in Neukaledonien: Belastete Geschichte
Neukaledonien hat gegen die Autonomie gestimmt. Doch das heißt mitnichten, dass die Inselgruppe auf ewig französisch bleiben wird.

D em haushohen Nein beim Volksentscheid über die Selbstbestimmung Neukaledoniens kann kaum Bedeutung zugeschrieben werden. Denn wie erwartet war die Beteiligung wegen des Boykotts der Unabhängigkeitsbewegung FLNKS und der einheimischen Kanak, die die große Mehrheit in der Bevölkerung stellen, extrem niedrig. In Paris betont man, dass die dritte Abstimmung über eine Unabhängigkeit Neukaledoniens von Frankreich nun „die letzte“ gewesen sei.
Schluss also mit der Debatte über die Autonomie der Insel im Südpazifik? Sollte die französische Staatsführung das wirklich denken, macht sie sich gravierende Illusionen. Die Frage der Entkolonisierung lässt sich nicht einfach mit formalen Argumenten unter den Teppich kehren. Dazu ist die Geschichte zu sehr belastet von Unterdrückung, Gewalt und politischer Hinterlist.
In den historischen Vereinbarungen von 1998 zwischen den „Separatisten“ und „Loyalisten“ war ein Protokoll vorgesehen für einen politischen Prozess, der mit dem schrittweisen Übergang zur Unabhängigkeit enden würde. Dass das „Referendum“ zur Loslösung von der Kolonialmacht Frankreich dreimal negativ ausgehen würde, war nicht geplant. Stattdessen endet dieser Prozess in einer Sackgasse.
Die FLNKS fühlt sich übergangen und gedemütigt, denn ihr Wunsch, den Termin für die Abstimmung wegen der Pandemie zu verschieben, ist von der Zentralmacht in Paris arrogant abgewiesen worden. Das Referendum vom 12. Dezember geht so ganz anders in die Geschichte ein, als man es vor zwei Jahrzehnten erwartet hatte. Denn es endet nicht mit einem demokratischen Mehrheitsentscheid, den auch die Unterlegenen akzeptieren könnten.
Im Gegenteil: Es verschärft die Spannungen und die Spaltung zwischen den aus Europa und zum Teil aus Polynesien zugewanderten „Caldoches“, die sich als integraler Bestandteil der französischen Nation fühlen, einerseits und den melanesischen Kanak, die auf ihre angestammten Rechte und ihre Kultur pochen, auf der anderen Seite. Gerade jetzt den Dialog zu beenden, kann fatale Folgen haben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
Wahlkampf in Deutschland
Rotzlöffeldichte auf Rekordniveau
Buch über Strategien von AfD und Putin
Vergangenheit, die es nie gab