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Völkerrecht und der Krieg in der UkraineDeutschland ist nicht Konfliktpartei

Im Völkerrecht kommt es auf die Entsendung von Soldaten an. Waffenlieferungen gelten noch nicht als Kampfhandlung.

Deutschland wird 2.700 Flugabwehrraketen liefern Foto: Michael Mandt/Bundeswehr via dpa

Berlin taz | „Es kann eine Situation geben, in der dann auch die Nato Entscheidungen treffen muss, Putin zu stoppen“, sagte am Freitagmorgen der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Werden die westlichen Staaten also Konfliktpartei im Ukrainekrieg? Oder sind sie es das angesichts von Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen schon?

Bis 1945 war Krieg völkerrechtlich als Mittel der Politik anerkannt und nicht generell geächtet. Damals galt: Man war entweder neutral oder Konfliktpartei. Wer Waffen lieferte oder den Durchmarsch von Truppen erlaubte, war Konfliktpartei und durfte angegriffen werden.

Mit der UN-Charta von 1945 änderte sich das Völkerrecht fundamental. Seither gilt ein generelles Gewaltverbot zwischen den Staaten. Der Einsatz von Gewalt ist nur in wenigen Ausnahmefällen erlaubt, etwa zur Selbstverteidigung. Um Kriege zu vermeiden, ist die Hürde zur Einstufung eines Staates als Konfliktpartei heute deutlich höher.

So machen Wirtschaftssanktionen, die sich insbesondere gegen das russische Finanzsystem richten, die EU noch nicht zur militärischen Konfliktpartei. Die EU verhält sich mit ihnen nicht neutral, es sind aber keine militärischen Kampfhandlungen. Gegen westliche Wirtschaftssanktionen kann sich Russland deshalb nur mit eigenen Wirtschaftssanktionen wehren.

Waffenlieferung macht nicht zur Konfliktpartei

Zwar haben die Nato-Staaten ganz klar gesagt, dass sie nicht mit Truppen in der Ukraine intervenieren werden. Allerdings beteiligen sich fast alle Nato-Mitglieder – darunter Deutschland – an Waffenlieferungen für die Ukraine.

Wer allerdings nur Waffen liefert, wird nach westlicher Ansicht dadurch noch nicht zur Konfliktpartei. Dies wäre nur der Fall, wenn Deutschland zum Beispiel Flugzeuge mitsamt Bundeswehr-Piloten oder Panzer mit Bundeswehr-Besatzung zur Verfügung stellen würde. Es kommt also auf die Soldaten an, nicht auf die Rüstungsgüter.

Die Einstufung als Konfliktpartei ist wichtig für die Anwendung des internationalen Kriegsrechts mit seinen besonderen Regeln. Wenn es nicht gelungen ist, den Frieden zu wahren, dürfen die Soldaten der einen Seite die Soldaten der Gegenseite töten und militärische Ziele vernichten. Wer den Krieg angefangen hat, spielt keine Rolle.

Putins Auslegung ist unberechenbar

Zugleich sind die Soldaten und militärischen Einrichtungen aller Konfliktparteien aber auch legitime Ziele der Gegenseite. Würde Deutschland also Truppen in die Ukraine schicken, wäre auch ganz Deutschland Kriegsgebiet, auf dem Russland militärische Anlagen und Soldaten etwa mit Raketen angreifen könnte.

Doch selbst wenn Deutsche in der Ukraine kämpfen, wäre Deutschland nicht automatisch Konfliktpartei. Dies gilt sowohl für die idealistische Kriegsteilnahme von Freiwilligen als auch für deutsche Söldner, die auf private Rechnung kämpfen. Deutschland würde nur dann in den Krieg hineingezogen, wenn Deutsche im Auftrag der Bundesregierung oder unter Befehl der Bundeswehr an Kämpfen teilnehmen.

So kann man den derzeitigen völkerrechtlichen Diskussionsstand in Deutschland zusammenfassen. Aber wie so oft im Völkerrecht ist wenig geregelt und viel umstritten. Deshalb ist Deutschland derzeit keineswegs sicher vor militärischer Vergeltung. Russland wird sich eben nicht nur an den Theorien von westlichen Völkerrechtlern orientieren. Wladimir Putin hat schon zur Genüge gezeigt, dass er im Zweifel das Völkerrecht so interpretiert, wie es ihm nutzt, und dass er notfalls sogar die Wirklichkeit zurechtbiegt.

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8 Kommentare

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  • Man sollte das Völkerrecht mal ins 21. Jahrhundert heben. Z.B. wäre ja die Einschätzung spannend, ob eine Cyber-Angriff auch als militärische Aktion eingeschätzt wird/würde.

    Eine Cyber-Attacke gegen wichtige Infrastrukur bis hin zur Steuerung von leider in vielen Ländern immer noch betriebenen Kernkraftwerken kann verheerende Auswirkungen haben. Das Wort ist bewusst gewählt: verHEERend.

  • Die Krim wurde 2014 von nicht gekennzeichneten Einheiten besetzt. Russische Soldaten hätten in ihrer "Freizeit" im Donbass gekämpft. In beiden Fällen war von Anfang an klar, dass Russland als Staat direkt dafür verantwortlich ist. Und das wurde von westlicher Seite auch so kommuniziert.



    Wenn nun unter Kriegsgefangenen, die für die Ukraine gekämpft haben, auch Deutsche oder Freiwillige anderer NATO-Mitgliedsstaaten zu finden sein sollten, braucht es nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, dass dies als verdecktes, aber doch direktes Eingreifen in das Kriegsgeschehen interpretiert wird. Zumal auch extra von öffentlichen Stellen betont wurde, dass Deutsche nicht an der Ausreise gehindert würden, wenn diese freiwillig in den Krieg ziehen wollten.

    • @Marius:

      Hallo,



      Die Invasion der Krim ist aber nicht mit dem Engagement von Freiwilligen vergleichbar.



      Die über 30 000 Marinesoldaten hatten zwar keine Abzeichen, wurden aber nichts desto trotz von Russland entsandt. Ebenso die "Urlauber" im Donbas.



      Freiwillig war da keiner.



      Würde Russland auf einer Gleichsetzung der Freiwilligen mit Soldaten beharren, würde es seine eigene damalige Position ad absurdum führen.



      Und einen Krieg mit der NATO wegen ein paar tausend Kämpfern riskieren, das wäre auch für Russland zu riskant.



      Ich behaupte, so lange wir keine offiziellen Truppen entsenden wird der Diktator im Kreml nichts anderes machen als zähneknirschend zu meckern. Seine Truppen sind eh schon erstaunlich kampfschwach. Einem Konflikt mit der NATO im Südosten Europas wären sie nicht gewachsen.

  • RS
    Ria Sauter

    Dann hoffen wir mal, Putin weiss das auch und hält sich daran.



    Hat er nicht gerade Sanktionen als Kriegserklärung deklariert?

  • "Gegen westliche Wirtschaftssanktionen kann sich Russland deshalb nur mit eigenen Wirtschaftssanktionen wehren."

    Das klingt wunderbar, und mit welcher diabolischen Tat hat die Ukraine einen Angriffskrieg durch Russland legitimiert? Oder kann es sein dass Putin sich nur am Rande und höchst selektiv für beschriebenes Papier interessiert?

  • "Mit der UN-Charta von 1945 änderte sich das Völkerrecht fundamental. Seither gilt ein generelles Gewaltverbot zwischen den Staaten."



    Hat in der Praxis aber nicht viel geändert.

    "Der Einsatz von Gewalt ist nur in wenigen Ausnahmefällen erlaubt, etwa zur Selbstverteidigung. Um Kriege zu vermeiden, ist die Hürde zur Einstufung eines Staates als Konfliktpartei heute deutlich höher."



    "Wladimir Putin hat schon zur Genüge gezeigt, dass er im Zweifel das Völkerrecht so interpretiert, wie es ihm nutzt, und dass er notfalls sogar die Wirklichkeit zurecht biegt."

    Angriff ist die beste Verteidigung!



    Gerade die USA hat doch sehr viel Geschick darin Verteidigung sehr freizügig zu interpretieren und die Wirklichkeit durch manipulierte Beweismittel plastisch zu verformen.

    Wer hier wieder gleich "Whataboutism!" ruft,dem sei gesagt das diese pauschale Unterstellung ebenfalls der Versuch ist ,von einem bestimmten Thema abzulenken.



    Natürlich ist das Vorgehen Rußlands zu verurteilen. Nur unterscheidet sich das nicht sonderlich von den Praktiken der freien Welt. Der größte Unterschied besteht in der medialen Begleitung /Interpretation, die man böswillig auch als Propaganda bezeichnen kann. Aber so was machen ja ,genau wie Zensur, immer nur die anderen! ;-)

  • Putin ist das Völkerrecht egal, das hat er im Syrien-Feldzug mit drastischen Völkerrechtsverletztungen (Belagerung, Aushungern und Bombardierung syrischer Städte, gezielte Angriffe mit geächteten Streu- und Fassbomben auf Wohngebiete, Krankenhäuser, Schulen, Stromversorgung, Märkte) der ganzen Welt gezeigt und schreckte dabei auch vor dem Einsatz chemischen Waffen nicht zurück. Dennoch halte ich einen russischen Angriff auf ein NATO Mitgliedsland für sehr unwahrscheinlich und finde es unnötig, Ängste vor einem Angriff auf Deutschland zu wecken. Wahrscheinlicher ist, dass Putin die Drohung wahr macht und Sanktionen mit einer Unterbrechung der Öl- und Gaslieferungen nach Deutschland beantwortet. Darauf muss und kann man sich vorbereiten und in Bevölkerung und Industrie schon mal klare Einsparungspläne kommunizieren. Das wäre aktuell wesentlich Zielführender als die Bundeswehr aufzustocken.

    • @Nina Janovich:

      Ja, offensichtlich spielt das Völkerrecht für Hrn Putin nur eine untergeordnete Rolle.

      Aus dem Völkerrecht legalistisch zu argumentieren, das Deutschland nun nicht Konfliktpartei sei, halte ich hingegen für ziemlich naiv.

      Offenbar wollen viele Deutsche möglichst brutal gegen Russland vorgehen, dann aber die Konsequenzen dafür nicht in Kauf nehmen.

      Und dafür bauen wir uns geistige Hilfskonstrukte, die uns trotz Waffenlieferungen lethaler Art und eines recht krassen Wirtschaftskrieges ruhig schlafen lassen sollen.