Vietnamesinnen und der Aufenthalt: Ein völlig legales Schlupfloch
Indem deutsche Männer die Vaterschaft ihrer Kinder annehmen, erwerben Vietnamesinnen Aufenthaltstitel. Illegal ist das nicht.
Ging es hier wirklich um die Bekämpfung einer schweren Kriminalitätsform oder nur um eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme, um etwas zu kriminalisieren, was bisher nicht strafbar ist? Der seit 1999 gesetzlich mögliche und häufig praktizierte Weg einer Scheinvaterschaft läuft wie folgt ab: Eine schwangere Frau, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, findet einen deutschen Mann, der die Vaterschaft für das Kind anerkennt. Damit erwirbt das Kind mit der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Mutter erhält eine Aufenthaltserlaubnis.
Da die Scheinväter häufig aus dem Obdachlosenmilieu stammen, können sie nicht zur Zahlung von Unterhalt herangezogen werden. Sie erhalten von den Frauen Geld für die Vaterschaftsanerkennung, der Bundespolizei zufolge 3.000 bis 6.000 Euro. Vermittlungspersonen nehmen weitere Gelder von den Frauen ein, sodass diese zwischen 5.000 und 10.000 Euro für die falschen Vaterschaften zahlen und sich damit hoch verschulden.
Dabei ist das Anerkennen einer falschen Vaterschaft bisher meist legal. 1998 hat der Gesetzgeber das Kindschaftsrecht novelliert. Seitdem entscheidet eine unverheiratete Mutter meist selbst, wer der Vater ist. Der Staat nimmt damit bewusst in Kauf, dass jemand eine Vaterschaft anerkennt, ohne biologischer Erzeuger des Kindes zu sein. Der Gesetzgeber wollte mit diesem Gesetz soziale Vaterschaften stärken und sich nicht in den Familienfrieden einmischen.
Die Not der Frauen
An Missbrauchsfälle hatte niemand gedacht, sind doch mit einer Vaterschaft auch Pflichten verbunden. Doch der Missbrauch machte ab 1999 Sinn, als das Staatsangehörigkeitsrecht verändert wurde: Seitdem kann ein Kind auch dann die deutsche Staatsangehörigkeit des Vaters erben, wenn dieser nicht mit der Mutter verheiratet ist. Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es somit eine ganze Generation vietnamesischer Kinder von Scheinvätern.
Innerhalb der Community ist man gegenüber diesem Phänomen hin und her gerissen, die Risse gehen oft sogar mitten durch eine Person. Vietnamesen, die anonym bleiben wollen, sagen der taz, dass sie auf der einen Seite die Not der Frau sehen, sich auf so etwas einzulassen, und nicht wünschen, dass den Kindern Schaden entsteht, dass diese Schummeleien aber auf der anderen Seite für das Rechtsbewusstsein innerhalb der Community fatal seien. Offizielle Vereinsvertreter äußern sich nicht.
In Kommentaren im Internet bedauern Vietnamesen vor allem, dass die Community wegen der Scheinvaterschaften öffentlich in schlechtem Licht dastehen könnte. Ein Betroffener ist der 17-jährige Felix, der eigentlich anders heißt, aber nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen will. Der schüchterne Schüler eines Gymnasiums hat erst vor drei Jahren erfahren, dass der Mann, dessen Familiennamen er trägt und den er nie bewusst kennenlernte, lediglich gegen Geld seine Vaterschaft anerkannt hat. „Ich habe mich immer gewundert, warum ich einen anderen Familiennamen habe als meine Mutter und Geschwister und warum ich einen deutschen Pass habe und sie nicht“, sagt er der taz.
Konservative ärgert der „Trick“
Erklärt habe ihm das erst eine deutsche Bekannte. „Da war ich von meiner Mutter enttäuscht und habe Tage nicht mit ihr gesprochen. Doch inzwischen weiß ich, dass dieser Trick für meine Mutter unsere Chance war, der Armut in Vietnam zu entkommen.“ Der „Trick“ ärgert konservative Politiker. Zweimal hat der Gesetzgeber auf CDU-Initiative versucht, diesen speziellen Vaterschaftsanerkennungen einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Ein Vorstoß von 2008 scheiterte 2014 vor dem Bundesverfassungsgericht. Eine weitere Gesetzesänderung von 2017 greift in der Praxis nicht.
Erst seit diesem Jahr versucht die Bundespolizei, solche Vaterschaftsübernahmen durch Kriminalisierung zu verhindern. Anwalt Federico Traine, der in seiner rechtsanwaltlichen Praxis schon länger mit dem Phänomen konfrontiert ist, kritisiert: „Die Bundespolizei macht Rechtspolitik.“ Dass sie mit dem strafrechtlichen Vorstoß, in dem sie die Praxis in die organisierte Kriminalität und den Menschenhandel einordnet, gegen falsche Vaterschaften durchkommt, glaubt Traine nicht. „Ich selbst verteidige drei Verfahren, in denen vietnamesische Frauen wegen falscher Vaterschaften angeklagt sind.“ In einem Fall hatte das Amtsgericht die Frau zur Teilnahme an einer Beratung bei einem gemeinnützigen Verein verurteilt, das Landgericht habe das Verfahren aber danach eingestellt.
„Die beiden anderen Verfahren laufen noch. Doch ich sehe nicht, dass es da zu einer Verurteilung kommt. Denn es gibt dafür keine gesetzliche Grundlage.“ Vietnamesinnen und auch einige andere Migrantinnen hätten vielmehr ein völlig legales Schlupfloch im Gesetz gefunden. Eines, das viele allerdings als Unrecht empfinden.
Die Frauen müssen die Schulden abbezahlen
Dass die Bundespolizei juristisch auf schwachem Fuß dasteht, sieht man auch daran, dass es bei der Razzia keine Festnahmen gab. Bereits 2007 hatte das Oberlandesgericht in Hamm in einem Grundsatzurteil falsche Vaterschaften für nicht strafbar angesehen. Traine: „Die Bundespolizei versucht es jetzt mit einer anderen juristischen Begründung. Bislang war die Staatsanwaltschaft da sehr zurückhaltend mit Anklagen.“ In großen Schleuserprozessen vor Berliner Gerichten seien, so Traine, die Fälle von Vermittlung von Vaterschaften, die die Bundespolizei aufwendig mit Telefonüberwachung ermittelte, gar nicht erst zur Anklage gekommen, vermittelte Scheinehen hingegen schon.
Was die Bundespolizei in den Kontext der organisierten Kriminalität einbettet, sehen die Sozialwissenschaftler Nga Thi Thanh Mai und Gabriel Schneidecker in einer Fachpublikation als eine familienorientierte Form der Migration, die hauptsächlich Frauen auf sich nehmen, um ihren Kindern in Deutschland eine Chance zu geben. Betroffen sind nach ihren Forschungen auch Mittelstandsfrauen aus Vietnam, die unzufrieden mit der vietnamesischen Regierung sind, keine beruflichen Aufstiegschancen mehr sehen oder nach Scheidung oder Tod des Partners noch einmal neu anfangen wollen. Das alles sind aber keine legalen Migrationsgründe, sodass den Frauen nur der Weg über Scheinvaterschaften für ein Aufenthaltsrecht bleibt. Wenn die Frauen über die Geburt eines deutschen Kindes ein Aufenthaltsrecht erworben haben, holen sie nach Darstellung der AutorInnen öfter ihre in Vietnam lebenden Kinder, selten auch die Ehepartner nach.
Zu den Erfahrungen von SozialarbeiterInnen in Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf, den Bezirken, wo die oft allein erziehenden Mütter zumeist wohnen, gehören aber auch die von sozialen Problemen. In einem Papier von 2018, das der taz vorliegt, ist von Eltern die Rede, die „permanent in der Erziehung abwesend sind“, die manchmal auch in anderen Bundesländern arbeiten. Denn die Mütter stünden unter dem Druck, ihre Schulden abzuarbeiten. Zu den Schulden für den Weg nach Deutschland kommen noch die dazu, die sie für einen Scheinvater zahlen mussten. Laut dem rbb sollen auch mehrere Notare in den Fall verwickelt sein, die die falschen Vaterschaften beurkundeten. Die Datenlage ist aber unklar.
Barbara Helten von der Berliner Notarkammer sagt, sie habe zwar davon gehört, allerdings gebe es keinen Fall, wo ein Berliner Notar wegen einer missbräuchlich beurkundeten Vaterschaft verurteilt wurde. Helten weist darauf hin, dass Notare eine Beurkundungspflicht haben und für die Beurkundung von Vaterschaften keinerlei Honorare erhielten. Derzeit seien auch keine förmlichen Beschwerdeverfahren vor der Notarkammer anhängig. Beim Berliner Kammergericht sind einem Sprecher zufolge seit 2017 mindestens sechs Disziplinarvorgänge deswegen geführt worden. Ob diese noch laufen, in Ermittlungsverfahren mündeten oder ob sie eingestellt wurden, will Sprecher Thomas Heymann aus Datenschutzgründen nicht sagen.
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