Vierzig Jahre Krieg in Afghanistan: Frieden soll sein
Ein Ende der Gewalt scheint möglich: US-Amerikaner und Taliban verhandeln. Nun schalten sich auch die afghanischen Frauen ein.
Nur in der Distriktstadt sei die Regierung noch präsent, „in einem Gebäude“. Dort residiert der örtliche Gouverneur unter dem Schutz einer Armeeeinheit, die gegen die Aufständischen aber nicht viel machen könne. Sein Begleiter, ein Verwandter, schaut gequält und sagt, wie sehr er und seine Freunde sich endlich, nach 40 Jahren, Frieden wünschten. Aber richtig optimistisch ist er nicht: „Fifty-fifty“ stünden die Chancen.
So gut standen sie schon lange nicht mehr. In Katar verhandeln seit ein paar Monaten US-Amerikaner und Taliban über ein Ende des Krieges. US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, selbst afghanischer Herkunft, traf dort am Montag Mulla Baradar, die ehemals rechte Hand des verstorbenen Talibangründers Mulla Omar, zum „Arbeitslunch“. Baradar saß noch bis Oktober in Pakistan im Gefängnis, wo er 2010 aufgrund von Kontakten mit Kabul gelandet war, die Pakistans Geheimdienst – Unterstützer, aber auch Zuchtmeister der Taliban – nicht autorisiert hatte. Der US-Chefunterhändler selbst hatte die Freilassung durchgesetzt, in der Hoffnung, der wegen seine Nähe zum Mulla Omar bei den Taliban hochangesehene Baradar könne auch Hardliner in deren Reihen dazu bringen, einem Friedensschluss zuzustimmen.
Im vorigen Juni gab es einen ersten Probelauf für einen Waffenstillstand. Während der islamischen Fest des Fastenbrechends schwiegen drei Tage lang die Waffen aller Seiten. Talibankämpfer kamen unbehelligt in die von der Regierung gehaltenen Städte. Einige wurden Eis essend und bei Verbrüderungsszenen mit Passanten und sogar Soldaten abgelichtet. Im Gegenzug konnten viele Städter zum ersten Mal seit langem ebenso unbehelligt Verwandte in den Talibangebieten besuchen. Viele trauten sich dies allerdings nicht – das Misstrauen sitzt tief. Und doch weckte die Feuerpause Hoffnungen, auch weil vorher niemand glauben wollte, dass die Taliban wirklich so diszipliniert sein würden.
Frauen für den Frieden
Parallel zu der Runde in Doha ging in Kabul am Donnerstag eine „Nationale Übereinkunft der Frauen für den Frieden“ zu Ende. Dort wollten Delegierte aus allen 34 Provinzen Afghanistans gemeinsame Positionen für Gespräche mit den Taliban formulieren und die Regierung drängen, sie nicht nur wie bisher symbolisch an Verhandlungen zu beteiligen. Aber das Treffen wurde straff von oben orchestriert. Die Abschlusserklärung lag schon vor der Diskussion vor, die formal blieb und viel zu kurz war. Dabei waren dafür anfangs zwei Tage veranschlagt worden. Dann aber war schon nach dreieinhalb Stunden, inklusive einer Wahlkampfrede des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghanis, Schluss.
Ghanis muss sich im Juli Neuwahlen stellen, und es ist nicht sicher, ob er wieder gewinnt. Außerdem sitzen seine Vertreter bei den Doha-Gesprächen bisher nicht mit am Tisch, die Taliban verweigern der „Marionettenregierung“ Direktgespräche. Der Frauenratschlag sollte deshalb wie eine im März geplante Loya Jirga – eine traditionelle große Versammlung, in der nationale und ethnische Fragen geklärt werden – signalisieren, dass die Bevölkerung hinter Ghani steht. So soll Druck aufgebaut werden, damit Ghani als dritte Konfliktpartei in die Gespräche einbezogen wird.
Sozan Behbudzade, Feministin
Unter Frauenrechtlerinnen hatte es allerdings von Anfang an Zweifel an der Ehrlichkeit der Regierung gegeben. Und tatsächlich machte Ghani in seiner Rede während der „Frauen für den Frieden“-Übereinkunft keinerlei konkrete Zusicherungen zu einer Verhandlungsbeteiligung. Für diesen Fall hatten Frauen wie Sozan Behbudzade aus dem westafghanischen Herat angekündigt, dass sie „separat mit den Taliban sprechen“ würden. „Wir werden nicht stumm bleiben“, sagte sie im Gespräch mit der taz am Wochenende. Es brauche Garantien dafür, dass ein Friedensabkommen den Taliban nicht freie Hand für die Umsetzung ihrer rückwärtsgewandten Gesellschaftsvorstellungen erteilt. Denn trotz aller Zusicherungen, dass sie Mädchen das Recht auf Bildung und Frauen das auf Arbeit zubilligen würden, sieht die Praxis oft anders aus. Chial Muhammad berichtet aus Wardak, dass es dort im Gegensatz zu manchen anderen Gegenden nicht einmal Mädchenschulen bis zur sechsten Klasse gibt.
Dass die Taliban im Rahmen einer Machtteilung zurück ans Ruder kommen würden, steht außer Frage. Anders ist ein Friedensabkommen mit ihnen kaum denkbar. Das aber könnte zu einer Koalition mit anderen Islamisten führen, die in Kabul schon in Regierung und Parlament sitzen und in Sachen Frauenrechten nicht viel anders denken als die Taliban.
Ebenso befürchten viele Afghanen, dass die Amerikaner zu schnell abziehen, Ghanis Regierung zusammenbrechen und ein neuer Bürgerkrieg ausbrechen könne. So erinnert zum Beispiel Nader Nadery, während des Talibanregimes im Untergrund als Menschenrechtler aktiv und heute Chef der Kommission für Verwaltungsreform, an das Genfer Abkommen von 1988, das zwar zum Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen geführt hatte, einen Krieg zwischen den verschiedenen Bürgerkriegsfraktionen aber nicht verhindern konnte. Denn hinter US-Chefunterhändler Khalilzad drängt Präsident Trump auf ein Ende des Afghanistan-Einsatzes. Der hatte schon in seinem ersten Wahlkampf – wie so häufig durch Tweets – deutlich gemacht, wie viel er davon hält, nämlich nichts: „Unsere Truppen werden von den Afghanen getötet. Wir vergeuden dort Milliarden. Wir bauen Straßen und Schulen für Leute, die uns hassen.“ Trump will offenbar seinen nächsten Wahlkampf als der Mann führen, der die Boys – im Gegensatz zu Obama – aus Afghanistan heimgeholt hat.
Druck auf die Taliban
Trotz der Verhandlungen hat der Krieg in Afghanistan nicht nachgelassen. Die Amerikaner versuchen, die Taliban mit Drohnen und Nachtangriffen unter Druck zu setzen. Chial Muhammad erzählt, wie vor ein paar Nächten nahe seines Dorfes ein örtlicher Talibankommandeur getötet wurde. „Er fuhr auf einem Motorrad die Straße lang, dann –– drang!, die paschtunische Variante für 'bumm!’ – riss es ihm den Arm ab und er verblutete.“ Er trauert dem Mann nicht wirklich nach. „Er war grausam“, erzählt er. Auf sein Konto ginge eine ganze Reihe von Morden an Leuten, die für die Regierung gearbeitet hätten. Aber in seinem Dorf sei man auch mit den Regierungstruppen unzufrieden. Besonders die bewaffneten Einheiten des Geheimdienstes erschösse bei Einsätzen „jeden, der ihnen über den Weg läuft. Dabei fallen ihnen vor allem einfache Leute zum Opfer.“
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Im Distrikt Zurmat, gut hundert Kilometer südöstlich von Wardak, operiert eine besonders berüchtigte Miliz, die direkt der CIA untersteht. Ein Mann, der dort lebt, erzählt, dass die Milizvor etwa einem Monat einen wichtigen Talib schnappen wollten und dabei auch drei seiner Söhne, einen Bruder sowie Frauen und Kinder erschossen hat. Wenn die Einheit in irgendein Haus gehe, „töten sie jeden, den sie darin finden und zünden es hinterher. Ja, auch bei Kommandant Naim haben sie es so gemacht.“ Das brutale Vorgehen dieser Truppe bestätigt auch der vor einer Woche veröffentlichte UN-Zivilopferbericht für 2018.
Auch der Taxifahrer Chial leidet unter der Situation. Sein Taxi hat er für heute bei Verwandten in Kabul abgestellt. Es ist inzwischen dunkel, und er schafft es nicht mehr nach Hause. „Die Taliban errichten abends um acht immer eine Barriere und legen ein paar Minen, denn sie fürchten die Nachtangriffe“ erzählt er.
So schlimm es klingt: ein Hindernis für einen Friedensschluss müssen die anhaltenden Kämpfe gar nicht sein. Amerikaner wie Taliban halten es mit der Devise „Verhandeln und schießen.“ Eine Logik, die nur ein Friedensschluss außer Kraft setzen kann. „Ich bete dafür“, sagt Chial Muhammads Begleiter. Dann verabschieden sie sich.
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