piwik no script img

Viertel-Institution unter VerdachtKleingärtner unter Druck

Trotz Ärgers mit dem Stadtamt und laufender Ermittlungen hat Udopea im Viertel wieder geöffnet. Ein „Sündenbock für verfehlte Drogenpolitik“, sagen Piraten.

Vorläufig wieder geöffnet: Udopea im Viertel. Bild: Jan Paul Koopmann

Am Mittwoch-Nachmittag wurden beim Udopea-Headshop am Sielwallecks die Rollläden wieder hochgezogen. Eine Woche lang war der Laden auf Anweisung des Stadtamts dicht und der Onlineshop nicht erreichbar – „zum Schutz der Allgemeinheit“, wie es in der Begründung heißt.

Seit über 30 Jahren ist dort Rauchzubehör erhältlich, dazu Blumenerde, Dünger und Belüftungsanlagen für die Indoorzucht – von Cannabis, wie der Name des Geschäfts suggeriert, aber auch legale andere Kräuter.

Um die Rückstände solcher Kräuter geht es: Zwei gebrauchte Pfeifen und Kräutermühlen hatte die Polizei in den Aufenthaltsräumen der MitarbeiterInnen sichergestellt. Außerdem „augenscheinlich für den Verkauf bestimmte“ arzneilich wirksame Substanzen.

Funde, die Udopea-Begründer Ekkehard Böhme erklären kann: die Gerätschaften seien Kundenreklamationen, die ungesäubert zurückgegeben wurden, sagt er. Die verdächtigen Kräutermischungen lagen in einer Papiertüte in einer Abstellkammer. Ob sich tatsächlich strafrechtlich relevante Substanzen unter den Kräutern befunden haben, ist derweil noch unklar. Die Ermittlungen laufen und Böhme selbst weiß nicht mal mehr, was genau er da eigentlich entsorgen wollte: „Wir haben diese Mischungen schon vor Jahren aus dem Sortiment genommen, weil sie nicht gut gelaufen sind“, sagt er.

Auch bei vorerst wieder geöffneten Türen ist die Gewerbeuntersagung nicht vom Tisch. Allerdings habe ein Eilantrag der Betreiber laut Stadtamtsleiterin Marita Wessel-Niepel ergeben, dass eine Duldung der Geschäftstätigkeiten bis zur endgültigen Klärung vertretbar sei.

Die strafrechtliche Verfolgung seht auf einem anderen Blatt und betrifft nicht nur Udopea: Ebenfalls im Juni durchsucht wurden die Geschäftsräume des „Grasshoppers“ in der Langemarckstraße. Auch die Kleingärtner machen sich Sorgen. Die Polizei habe Kundendaten mitgenommen, sagt Böhme, und berichtet von Bekannten, die nach der Razzia von der Polizei aufgesucht worden seien. Noch ist das laufende Verfahren schwer zu durchschauen. Udopeas Anwalt Björn Schüller hat erst seit Mittwoch Akteneinsicht und kann sich noch nicht umfassend äußern. Auf den ersten Blick aufgefallen seien ihm aber umfassende Observationsmaßnahmen: abgehörte Telefone und verwanzte Fahrzeuge. Gemessen am üblichen Bremer Vorgehen sei das ein gewaltiger Aufwand.

Polizeipräsident Lutz Müller hatte bereits im vergangenen Jahr zur geplanten Neuausrichtung des Kampfs gegen Drogenkriminalität gesagt, Cannabis gehöre genauso geächtet wie Heroin. Zumindest Böhme sieht in den Ermittlungen ein politisches Signal an die Szene.

Mit Udopea steht nicht nur eine Viertel-Institution zur Verhandlung, sondern auch Arbeitsplätze: drei festangestellte Mitarbeiter arbeiten bei Udopea, dazu vier Auszubildenden und ein Praktikant. Einer von ihnen ist Kolja Harmuth. Als er von der vorübergehende Duldung erfährt, ist ihm die Erleichterung anzusehen. Große Sorgen habe er sich allerdings nicht gemacht. „Ich weiß ja, dass hier keine krummen Sachen gelaufen sind“, sagt er. Auch die Kundschaft freut sich: keine fünf Minuten nach der Öffnung steht einer im Laden und erkundigt sich nach dem passenden Dünger für seine Pflanzen. „Ich tue hier nichts Illegales“, sagt er selbstbewusst. Die Schließung habe ihn zwar überrascht, aber „eigentlich ist das doch nur peinlich“. Auch auf Facebook wird eigenwillig gratuliert: „Endlich wieder Ladendiebstahl“, schreibt einer.

Politische Rückendeckung bekommen die Geschäftsinhaber von Marvin Pollock, dem Kreisvorsitzender der Stadtbremer Piraten. Er vermutet, dass weniger die benannten Einzelfälle hinter der Schließung stecken, sondern ein den Behörden unbequemes Geschäftsfeld. Anstatt Udopea als Sündenbock zu kriminalisieren, solle Politik sich lieber für aufklärende Drogenarbeit einsetzen.

Für Udopea geht es derweil um konkrete Zukunftssicherung. Die Rechnung über 250 Euro für die Gebühren der Gewerbeuntersagung sind dabei vermutlich ein eher nachrangiges Problem.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Cannabis zu verfolgen ist Unfug. Andererseits bin ich nicht sicher, ob die taz und ihre Klientel nicht ein Interesse an der Verfolgung haben: a) verdienen so manche "Kleingärtner" (Journalismus 0/10, den Begriff so zu verwenden) sehr gut, b) verdienen die Fachkräfte aus Afrika und der arabischen Halbinsel, die vor allem im Lobby-Interesse der taz und ihrer Leser zu sein scheinen, sehr gut daran.

     

    Insofern: wer profitiert von dem Verbot und würde Geld verlieren, wenn besteuert würde und Marktgesetze herrschten?

  • Eigentlich sollte man annehmen, daß Polizeibeamten und ganz besonders ein Polizeichef gut geschultes Fachpersonal sind. Cannabis und Heroin auf eine Stufe zu stellen zeugt nicht gerade von Fachkompetenz. Was haben diese Maßnahmen und die Jagd auf Kiffer noch mit Verhältnismäßigkeit zutun?

     

    Vielleicht will die Bremer Polizei mit ihrer Jagd auf normale Bürger die niemanden gefährden und nichts schlimmes machen nur davon ablenken, daß sie nicht in der Lage sind Bremens wirkliche Probleme und Kriminelle erfolgreich zu bekämpfen.

     

    Statt Polizeikräfte an solche Aktionen zu binden sollten lieber mal ein paar mehr Streifenbeamte, einfach nur um präsenz zu zeigen, durch die vielen Problemstadtteile patroulieren und für ein Gefühl der Sicherheit sorgen.

    Aber dafür hat Bremen natürlich kein Geld.

  • "Cannabis gehöre genauso geächtet wie Heroin"? Bei der aussage möchte ich nicht wissen wo diese Person Ihre Informationen bezieht... Personen die eine solche Einstellung vertreten haben in Öffentlichen Ämtern nichts zu suchen. Und schon Garnichts bei der Polizei!

    [Art. 5 Abs. 1 GG; Freie Meinungsäußerung)