Vierte Pandemiewelle in den Niederlanden: Das Corona-Jojo
„Tanzen mit Janssen“ hatte der Gesundheitsminister proklamiert. Doch nun sind die Zahlen wieder hoch, die Clubs dicht und das Land orientierungslos.
E s ist ein Sommer der Ambivalenz. Eigentlich schien ihr Job im Schnelltestzentrum schon beendet, sagt die junge Frau an der Rezeption. Jetzt brummt der Laden plötzlich wieder, die Arbeit geht weiter, getestet wird, was das Zeug hält. Als Journalist macht man doch noch schnell einen Termin vor dem Interview, und geht die Kontakte der letzten Tage durch. 45 Minuten später die SMS aus dem Zentrum: „Negativ bedeutet, dass Sie zur Zeit des Tests nicht ansteckend sind.“
Seit einer Woche befinden sich die Niederlande in einem Stadium der Pandemie, das grotesker wirkt als alle vorherigen. Eben noch brach sich Euphorie Bahn, die meisten Beschränkungen wurden Ende Juni aufgehoben. Clubs öffneten, erste Festivals fanden statt, Gesundheitsminister Hugo de Jonge pries die Janssen-Impfung, die mit nur einer Dosis ausreichend Schutz liefern soll, als „ideal für einen Sommer voller Festivals“ an und verstieg sich zu dem Slogan „Dansen met Janssen“ (Tanzen mit Janssen).
Doch dann schossen die Neuinfektionen in die Höhe, in Tausenden pro Tag: erst eins, dann drei, dann fünf, und nun mehr als 11. In Utrecht infizierten sich mindestens 1.000 Besucher eines Musikfestivals mit 20.000 Menschen. Die Clubs sind nun wieder dicht, Festivals auf 24 Stunden begrenzt, die Gastronomie schließt um Mitternacht. Auch die Aufforderung, soviel es geht von zu Hause zu arbeiten, gilt wieder. Es scheint, als schwinge das Land an einem Corona-Jojo: Nach dem unerwartet schnellen Rückfall baumelt es ein wenig orientierungslos zwischen den lang ersehnten Sommerferien und der heranrollenden vierten Welle.
Nirgends wird dieser Zustand deutlicher als in der Hauptstadt mit ihrem ausgedehnten gastronomisch-hedonistischen Angebot. Seit einigen Wochen sind auch die TouristInnen zurück in Amsterdam, die Terrassen sind voll – auch jetzt, da die höchsten Infektionszahlen seit Weihnachten gemeldet werden. 1.276 waren es in den letzten 24 Stunden, mehr als 10 Prozent der neuen Ansteckungen im Land. Masken sieht man trotzdem so gut wie keine in den Läden.
Sorge um den Urlaub
Beim Kaffee auf dem Noordermarkt im Viertel Jordaan erzählt Nachbar Mark, dass er seine für letzte Woche geplante Algarve-Reise absagte. Sperrstunde in Faro. Inzwischen sorgen sich die NiederländerInnen, dass sie in die anvisierten Urlaubsländer gar nicht mehr einreisen dürfen.
Im Vondelpark liegen am frühen Abend zwei israelische Touristinnen im Gras. Zuvor waren sie in Berlin, wo deutlich mehr Masken getragen wurden, erzählen sie. Als nächstes Ziel stand Paris auf der Liste, was jetzt nicht mehr sicher ist. Eigentlich wären sie weiter weggereist, um das Ende ihres Militärdiensts zu begehen. Wegen der Pandemie wollten sie nicht so weit fort von zu Hause sein, für alle Fälle. Trotzdem: „Anfangs schien, als seien alle unsere Reiseziele weit offen. Doch wir wussten natürlich, dass sich das ändern kann.“
An einem der nächsten Weiher im Park sitzen Lisa und Myriam, zwei Freundinnen Ende 20. Beim Feierabendbier analysieren sie die Lage. „Erst war es so weit weg, und jetzt sind so viele Leute um mich herum infiziert“, sagt Myriam. Lisa ergänzt: „Letztens ging ich zum ersten Mal wieder in einen Club. Ich hatte Corona, bin geimpft und extra nochmal getestet, aber beim Eingang hieß es dann einfach: ‚Lauf durch, wir glauben dir‘.“ Beide sind mit einer Janssen-Dosis geimpft.
Hausarzt Fokko hat kein gutes Wort über die jüngsten Entwicklungen, doch er macht nicht feiernde junge Menschen verantwortlich. „Ich bin furchtbar enttäuscht. Es lief so gut, und dann kommen diese idiotischen Rutte und De Jonge und sagen: ‚Alles geht wieder.‘ Katastrophal!“
Die Erleichterung war da. Und jetzt das!
Seit Kurzem erst ist die Tür seiner Gemeinschaftspraxis wieder wie früher geöffnet, ohne zuvor an der Sprechanlage die Symptome abzuklären. Fokko und seine KollegInnen haben die Schutzkleidung abgelegt. Eine Erleichterung. Und jetzt das! „Für die Menschen in Krankenhäusern und Praxen, die sich anderthalb Jahre abgerackert haben, ist diese kurzsichtige Politik wie ein Messer im Rücken.“
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