Vier Thesen zu Amazons Bushido-Doku: Staatsfreund Nr. 1
In „Unzensiert“ zeigt sich Ex-Gangstarapper Bushido als geläuterter Familienvater und Polizeiversteher. Was ist passiert?
Bushido hat sich verändert. Der frühere Staatsfeind Nr. 1 gibt sich heute staatstragend und polizeifreundlich.
Dass sich Bushido verändert hat, kann man nach dieser Dokuserie nicht bestreiten. Die Frage ist, ob er sich so verändert hat, wie er vorgibt, sich verändert zu haben. Was er vorgibt: Er ist heute nicht mehr der selbsternannte „Staatsfeind Nr. 1“ (Album aus dem Jahr 2005). Er sagt heute, dass der Staat jeden Bürger gleich behandeln würde und: „Da merk ich erst, wie sehr ich auch diesen Leuten so auf den Schlips getreten bin, auch diese ganzen Jahre mit dieser Attitüde, ja man, fick die Polizei und so, ey, würde ich niemals wieder irgendwie behaupten.“
Bushido zeigt sich gegenüber dem Staat dankbar, weil der ihn und seine Familie schützt, vor den möglichen Gefahren, die durch seinen ehemaligen Verbündeten Arafat Abou-Chaker drohen. Abou-Chaker soll laut Polizei nach dem Bruch mit Bushido geplant haben, Anna-Maria Ferchichi, die Frau von Bushido, und die gemeinsamen Kinder zu entführen.
Dass der Mann, der früher den Staat ficken wollte, heute vom Staat geschützt wird, damit er nicht von seinem ehemaligen Geschäftspartner gefickt wird, das finden andere Rapper nicht so cool: Capital Bra, den Bushido in seinem Label „Ersguterjunge“ unter Vertrag hatte, trennte sich deshalb mit einem Instagram-Post von Bushido „Ich bin nicht für sowas. […] Wir sind kein Team. Polizei ist jetzt dein Team.“ Die Serie wirft also Fragen auf, was das für den Straßenrap konstitutiv feindliche Verhältnis zwischen Staat und Rapper angeht.
Nicht Bushido, sondern der deutsche Rap hat sich verändert oder sich den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst. Bushido repräsentiert einen neuen Typus des Straßenrappers: woke, aufgeklärt, sensibel und verletzlich.
Bushido behauptet in der Doku, den wahren Bushido zu zeigen, der verletzlich ist wie jeder andere Mensch. Seinen Kritikern aus der Szene wirft er damit vor, das Rapding zu übertreiben, nicht zwischen Kunstfigur und echter Person zu unterscheiden. Aber Bushido dreht selbst eine Doku, um am Bushido-Mythos weiterzustricken.
Für dieses Weiterstricken nimmt er sich viel Platz: sechs Folgen mit jeweils knapp 50 Minuten, wobei sich Aussagen oft wiederholen, so dass man am Ende der Doku den Eindruck hat, jemand hätte da einen viel zu langen, unredigierten Text abgedruckt. Oder man fühlt sich wie der Therapeut von Bushido, dem er ja alles erzählen soll, weil Wiederholungen etwa in der Psychoanalyse ihren therapeutischen Zweck haben.
Und Bushido kommen oft die Tränen. Über seine Therapie und depressiven Zustände spricht er offen in der Doku. Er verbringt viel Zeit mit seinen Kindern: auf dem Trampolin, beim Skifahren, im Garten. Das erinnert an einen anderen Rapper, Haftbefehl, der gerne Bilder von sich und seinem Sohn auf Instagram postet. Was ist los mit den harten Gangstern?
Soziologin Heidi Süß, die im Bereich kritische Rap- und Männlichkeitsforschung arbeitet, sagt im Gespräch mit der taz über die neue Bushido-Doku: „Diversifizierung, Pluralisierung und Widersprüchlichkeit sind die Kennzeichen zeitgenössischer Rap-Männlichkeit. Die Vaterschaftsinszenierung von Deutschlands Gangsta-Rap-Blaupause Bushido ist ein schönes Beispiel dafür.“ Das heißt, es gibt heute nicht nur die eine harte Rap-Männlichkeit, es gibt alternative „Spielwiesen oder Dimensionen von Männlichkeit“, auf denen Rapper ihre Männlichkeit behaupten können.
„Bushido hat seine gesamte Identität um das Gangsta-Rapper-Image herumgruppiert. Mehr hat er nicht. Er kann auch nicht mehr. Durch die Publikwerdung seiner Unterordnung unter die hegemoniale Männlichkeit Arafat hat dieses Image Risse bekommen“, sagt Süß. Weil Bushido sich von seinem früheren Gangsta-Ich distanzieren musste, habe er nun auf eine andere Dimension von Männlichkeit ausweichen müssen, um seine Integrität wiederherzustellen, die der verantwortungsvollen Vaterschaft, so Süß.
Das ist in Zeiten der allgemeinen Krise der Männlichkeit und #DeutschRapMeToo interessant. Abzuwarten bleibt, ob mit dem Wandel der Rap-Männlichkeit auch Geschlechtergerechtigkeit einhergeht. Oder ob dieser Wandel letztlich doch wieder patriarchaler Herrschaft dient.
Die eigentliche Heldin der Doku heißt Anna-Maria Ferchichi. Während Bushido gegenüber seinem Ex-Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker unterwürfig und ängstlich war, hat Anna-Maria Bushido durch ihre konfrontative und entschiedene Art aus der Zwangsbeziehung befreit.
Anna-Maria Ferchichi kannte man früher als Schwester der Sängerin Sarah Connor. Nach dieser Dokuserie könnte man sagen: Bushido, das ist der Partner von Anna-Maria. Während Bushido in der Doku den gebrochenen und reumütigen Altrapper gibt und als Idealtyp des Bürgerlichen auftritt, macht Anna-Maria klare Ansagen: Als „Schwein“ und „Schwanz“ bezeichnet sie Abou-Chaker.
Beide erzählen nach, wie sie Abou-Chaker einmal sogar fast physisch angegriffen habe, als sie auf dem gemeinsamen Anwesen in Kleinmachnow einen Zaun zwischen ihrem und seinem Bereich anlegen wollte. Sie erzählt davon, wie Abou-Chaker ihr vergeblich vorschreiben wollte, wie sie sich zu kleiden habe. Sie berichtet von der temporären Trennung von Bushido, als dieser nicht bereit war, sich für sie und gegen Abou-Chaker zu entscheiden.
Empfohlener externer Inhalt
Und auch wenn sie in der Doku einmal mit Bushido in einen Streit darüber gerät, wem man von den Abou-Chakers noch vertrauen könne und wem nicht, hat man das Gefühl, sie sei die Erwachsene und er ein Kind. In der Doku geht es also vor allem um die Geschichte einer starken Frau, die gegen männliche Gewalt aufbegehrt; eine Frau, die Bushido aus diesem Gewaltverhältnis befreit hat. Insofern hätte die Serie auch „Unzensiert – Anna-Maria’s Wahrheit“ heißen können.
„In der Doku ist auch die eigentlich ganz und gar nicht männlichkeitsschmeichelnde Erzählung um Anna-Maria offensichtlich kein Gesichts- oder Ehrverlust für Bushido“, sagt Süß dazu. „Seine Frau wird im Prinzip als sein ‚Rücken‘ inszeniert. Sie steht über ihm, beschützt ihn, ist souverän und ‚klärt‘ die Dinge ‚wie ein Mann‘. Damit wird quasi eine moderne, progressive Männlichkeit zur Schau gestellt, die nicht immer nur dominieren muss, sondern diese Aufgabe auch mal abgeben kann.“
Die Doku „Unzensiert – Bushido’s Wahrheit“ ist einseitig, sie stellt die Vorgänge ausschließlich aus Bushidos und Anna-Marias Perspektive dar.
Zu Beginn jeder Folge wird ein Disclaimer eingeblendet: „Arafat Abou-Chaker hat bislang sämtliche Anschuldigungen gegen ihn zurückgewiesen und ist nicht vorbestraft“ und „Arafat Abou-Chaker war zu einer Stellungnahme nicht bereit“. Nach journalistischem Standard wurde also gearbeitet. Man gab Abou-Chaker offenbar die Chance, seine Sicht der Dinge mitzuteilen. Weil er das nicht getan hat, ändert der Hinweis selbstverständlich nichts daran, dass die Doku-Serie einseitig ist. Jedenfalls verspricht sie auch nicht anderes, denn sie heißt ja auch „Bushido’s Wahrheit“. So darf man sich, wenn man diese Serie, die von einer Produktionsfirma des Axel Springer Verlags produziert wurde, anschaut, keine Investigativrecherche erhoffen, die aufdeckt, was da zwischen Bushido und Abou-Chaker wirklich gelaufen ist.
Auch Bushidos subjektiv inszenierte Wahrheit weist Lücken auf. Ausgelassen wird beispielsweise, dass er sich nach seiner Trennung von Arafat Abou-Chaker direkt einer anderen Familie angeschlossen, dort Schutz gesucht hat, nämlich bei Ashraf Rammo. Rammo ist einer der vielen Brüder von Issa Remmo, Oberhaupt eines berüchtigten Familienclans in Berlin. Es hätte der Doku außerdem gutgetan, bei aller realen Problematik organisierter Kriminalität auch darauf einzugehen, dass es einen rassistischen Diskurs über Familienclans in Deutschland gibt, mit dem Sicherheitsbehörden unverhältnismäßige Maßnahmen durchführen und daraus auch rhetorisch – „Strategie der tausend Nadelstiche“ (Herbert Reul, NRW-Innenminister) – keinen Hehl machen.
Eine weitere Schwäche der Doku: Bushidos Geschichte streift oft viele andere Geschichten, die man erzählen könnte, damit das Genre für die Zuschauenden verständlicher wird. In manchen Fällen müsste man sie sogar erzählen: Als Freund und Co-Rapper Samra auftaucht, dessen Fall die Debatte um #DeutschRapMeToo überhaupt angestoßen hatte; die Diskussion ging los, als Influencerin Nika Irani ihm im Sommer vorgeworfen hatte, sie vergewaltigt zu haben, und Samra diese Vorwürfe zurückgewiesen hat.
Die Realität mit all ihren Widersprüchen, Ambivalenzen und Randgeschichten abzubilden, hätte dieser Doku-Serie gutgetan.
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