Vibraphon-Festival in Wilhelmshaven: Ein wunderbarer Wimmerkasten
Wilhelmshaven unterwirft sich dem Zauber des Vibraphons: Das kleine Festival „Wilhelmshaven Vibe“ überzeugt dank klarem Profil.

So cool! In Wilhelmshaven findet jetzt das bereits fünfte Vibrafon-Festival statt. Es ist, in der Coronazeit entstanden, mit diesmal drei großen Abendkonzerten und am Sonntag an diverse Gottesdienste angeflanschten Matineen ein kleines Festival. Sein Ausgangspunkt ist, dank Pastor Frank Morgenstern, die Christus- und Garnisonkirche: Dort hat Hauke Renken aus Zetel früher im Gottesdienst Orgel gespielt, bevor er zum Jazz-Musikstudium nach Bremen, Hamburg und als Profi-Vibrafonist in die weite Welt gezogen ist.
Aber Wilhelmshaven Vibe ist ein Festival mit wunderbarer Alliteration und eben in der Konzentration aufs Vibrafon mit einem klaren Profil. Ein Vibrafon ist kein Sex-Toy, sondern ein im frühen 20. Jahrhundert entwickeltes Instrument aus der Familie der Stabspiele. Bei denen wird der Klang erzeugt, indem über einem Resonanzkörper angebrachte Stäbe angeschlagen werden, hier mit Holzschlegeln, deren Kopf aus Wolle oder manchmal auch Gummi besteht. Es ist kein Xylo- (von griechisch „xylos“, Holz), sondern ein Metallofon: Die Klangstäbe sind hier gestimmte Platten, die heutzutage aus einer Aluminium-Legierung gefertigt werden, weil ein weicherer Klang das Ziel ist: Das Vibrafon ist, anders als das Glockenspiel, kein Militärkapellenzubehör.
Der Entwicklung neuer Musikinstrumente liegt fast immer eine Migrationsgeschichte zugrunde, so auch hier. Es war wohl 1880, als eine gewisse Familie Winterhoff weg wollte aus Witten. Das achte Winterhoff-Kind, Benjamin Franklin Winterhoff, ist 1882, wie der Name ahnen lässt, bereits in Elkhart, USA, geboren. Sein sechs Jahre älterer Bruder Hermann Emil Winterhoff aber war noch Westfale und hat die große Überfahrt – nein, sicher nicht von Wilhelms-, aber wahrscheinlich Bremerhaven – nach Amerika mitgemacht.
Als jungen Mann nimmt Ulisses G. Leedy ihn und Charles Wanamaker als Kompagnons auf, als er in Indianapolis seine neue Schlagzeugfabrik gründet. Winterhoff, fürs melodieführende Schlagwerk verantwortlich, suchte für sie spätestens ab 1915 nach Möglichkeiten, den Klang der Stahl-Marimba der menschlichen Stimme anzunähern. Denn diese Weiterentwicklung der lateinamerikanischen Weiterentwicklung des westafrikanischen Balafons war wahnsinnig beliebt im Vaudeville, dem Vorläufer des Musicals.
Hamburg Art Ensemble spielt Billie Eilish, Neues Gymnasium, 5. 9., 20 Uhr
Sing mit uns! – Live Karaoke, Christus- und Garnisonkirche, 6. 9., 20–23 Uhr
Beaula mit Bläsern des Marinemusikkorps, Kulturzentrum Pumpwerk, 7. 9., 19 Uhr
„Im Jahr 1922 gelang ihm dies“, schreibt Musikwissenschaftler Brian S. Graiser über Winterhoffs Pionierleistung. Er ermöglichte, die Tondauer zu variieren, und brachte einen Motor am Instrument an, der Metallscheiben in den Resonanzröhren in Bewegung versetzt. Das lässt den Ton so richtig schön eiern, als wäre es ein wimmeriges Vibrato. Phasenverschiebung heißt das auf Physikalisch, und im Grunde ist das schon das neue Instrument, auch wenn es damals noch als Leedy Vibratone verkauft wurde.
Schon Anfang der 1920er hat der damalige Xylofon-Star Lou Friscoe Chiha „Aloah He“, sein Paradestück „O Sole Mio“ und andere Hits auf Winterhoffs Instrument eingespielt. Der Sound begeistert auch klassische Komponisten von Darius Milhaud bis Karlheinz Stockhausen, und Milt Jackson hat diese irisierende Klangfarbe nach dem Zweiten Weltkrieg im Bebop unverzichtbar gemacht. Im Film ist es für unheimliche Sequenzen ebenso wertvoll wie für träumerisches Wegdämmern: Es kann einfach viel, und besonders gut kann es altbekannter Musik neue Facetten abgewinnen.
„Ich bin heute mehr Arrangeur als Instrumentalist“, sagt denn auch Hauke Renken. Wobei er aber in seinen vielen Bandprojekten auch unverzichtbarer Interpret seiner Arrangements ist: Zwei, nämlich das Hamburg Art Ensemble, mit dem er sich durch ein Billie-Eilish-Program klöppelt, und Beaula, das aus ihm und drei Sängerinnen besteht, treten diesmal in Wilhelmshaven auf.
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