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Vertrauensvotum für Mario DraghiAlle für den Neuen

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Sollten die 5 Sterne implodieren, könnte die Regierung Draghi zu einem kurzen Intermezzo werden – vor dem Wahlsieg der Salvini-Rechten.

Italiens neuer Ministerpräsident Mario Draghi beim Vertrauensvotum am Mittwochabend im Senat Foto: Andrew Medichini/ap

A lle sind für Mario Draghi – fast alle wenigstens. Am Mittwoch erhielt Italiens neuer Ministerpräsident beim Vertrauensvotum im Senat 262 Ja-Stimmen, nur 40 Se­na­to­r*in­nen votierten mit Nein. Und am Donnerstag wird er im Abgeordnetenhaus die gleiche überwältigende Zustimmung erhalten.

Das Resultat ist keine Überraschung, denn fast alle Parteien haben sich hinter Draghi versammelt, von der radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und Gleiche) bis hin zur ultranationalistischen, radikal rechten Lega unter Matteo Salvini. Das ist ungefähr so, als würden sich Katja Kipping und Jörg Meuthen gemeinsam in einer Regierungsallianz finden.

Fast alle also hat der Ministerpräsident hinter sich – doch in seiner programmatischen Regierungserklärung hat er es keineswegs allen recht gemacht. Mindestens 90 Prozent dessen, was er sagte, hätte genauso gut sein Vorgänger Giuseppe Conte verlauten lassen können: Wenigstens verbal setzte Draghi klar progressive und ökologische Akzente, kam er Salvinis Rechtspopulisten nicht einen Zentimeter weit entgegen.

„Unumkehrbar“ sei der Euro, meint der frühere EZB-Chef, und die europäische Integration müsse weiter vertieft werden, per weiterem Verzicht auf „nationale Souveränität, um gemeinsam Souveränität zu erlangen“. Von wegen „prima gli Italiani!“, wie es Salvini gerne hätte: „Es gibt keine Souveränität in der Einsamkeit“.

Im Großen will Draghi auf Contes Konzepte zurückgreifen

Ob Elektromobilität oder Digitalisierung: Draghi skizzierte eine Modernisierungsagenda, die auf den „guten Planeten, nicht bloß auf gutes Geld“ zielen soll. Und er sprach klar aus, dass die Arbeitslosigkeit in der Pandemie nicht alle gleich getroffen hat, dass ihre Opfer vor allem Jugendliche, Frauen, prekär Beschäftigte und Soloselbstständige wurden. Mit keinem Wort ging er auf den rechten Wunsch ein, zur Rückabwicklung der von den Fünf Sternen durchgesetzten allgemeinen Grundsicherung zu schreiten.

Die Pandemie habe, so Draghi, die soziale Ungleichheit ebenso weiter verschärft, wie sie die Generationen- und die Gender-Ungerechtigkeit vertieft habe. Die Antworten, die er skizzierte, stellen seine neue Regierung weitgehend in die Kontinuität der Vorgängerregierung Conte, von der Stärkung des öffentlichen Gesundheitswesens zum nationalen Wiederaufbauplan, der auf 209 Milliarden Euro aus dem Programm „Next Generation EU“ zugreifen kann. Gewiss, bei diesem Plan müsse noch nachgearbeitet werden, doch in den großen Linien will Draghi auf Contes Konzepte zurückgreifen.

Goldene Brücken baute er so nicht zuletzt dem Movimento5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung), 20 der 90 Se­na­to­r*in­nen des M5S aber verweigerten ihm dennoch die Zustimmung. Sie können es nicht verwinden, dass „ihr“ Ministerpräsident Conte gestürzt wurde, dass sie nun mit Draghi einem der führenden Vertreter des Establishments zustimmen sollen, gegen das sie ursprünglich angetreten waren, dass sie sich in eine Allianz mit der Partei des vorbestraften Silvio Berlusconi, Forza Italia, begeben sollen.

Und so steht Italien womöglich vor dem bizarren Resultat, dass Salvinis Lega ohne Schaden eine Regierung stützt, die meilenweit von ihren Positionen entfernt ist – und dass das Entstehen jener Regierung zugleich die Existenzkrise der Fünf Sterne weiter verschärft, obwohl die programmatisch viel näher an der von Draghi skizzierten Agenda dran sind. Kopflos und ohne Kompass präsentiert sich gegenwärtig das M5S, und es riskiert ernsthaft die Implosion. Und dann könnte die Regierung Draghi zu einem kurzen Intermezzo werden, vor dem Wahlsieg der Salvini-Rechten spätestens im Frühjahr 2023.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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