Verteilung von Geflüchteten in der EU: Eine Mikrodosis Hilfe

Seehofer wollte Italien jeden vierten aus Seenot Geretteten abnehmen. Daraus wurden 0,2 Prozent. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf.

Personen mit Rettunsweste in einem Boot.

Gerettete Flüchtlinge bei Lampedusa im August Foto: eremias Gonzalez/ap

BERLIN taz | In gut zwei Wochen wird in Italien gewählt, und der rechte Ex-Innenminister Matteo ­Salvini hat im Wahlkampf vor allem ein Thema: die Migration über das Mittelmeer. Nachdem am 27. August rund 1.000 Menschen auf der Insel Lampedusa ankamen, twitterte er: „Verrückt, beschämend, katastrophal“. Schuld hätten die Seenotrettungsorganisationen und die EU: „Brüssel kümmert sich nicht um die Verteidigung der Grenzen und Sicherheit der Bürger.“

Das Thema kann er auch deshalb so hochkochen, weil einer der wichtigsten Vorstöße der EU, Italien Flüchtlinge abzunehmen, komplett im Sand verlaufen ist. Wie das Bundesinnenministerium der taz mitteilte, nahm Deutschland seit 2018 über den sogenannten Malta-­Mechanismus insgesamt 936 Menschen auf – 502 aus Malta und 436 aus Italien. In Italien sind im gleichen Zeitraum 197.000 Menschen über das Mittelmeer angekommen. Seit Juni 2021 kamen gerade einmal 23 Menschen über den Mechanismus nach Deutschland.

Die Vereinbarung sieht vor, dass andere EU-Staaten Malta und Italien freiwillig Menschen für ihr Asylverfahren abnehmen, die von NGO-Schiffen im Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden. Zuvor hatten Italien und Malta die Ankommenden meist allein aufnehmen müssen. Rettungsschiffe durften deshalb teils nicht oder nur sehr verzögert in ihre Häfen fahren.

Die Vereinbarung war vom damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) angestoßen worden, beteiligt hatten sich zehn EU-Staaten. „Man verbindet so die Grundsätze der Legalität und Humanität“, verkündete Seehofer. „Durch die Einigung auf einen Notfallmechanismus können Schiffe mit aus Seenot Geretteten künftig schnellstmöglich einen sicheren Hafen anlaufen.“ Doch davon kann keine Rede sein. Der Mechanismus wurde von Anfang an nur schleppend umgesetzt – und Malta und Italien blockieren Rettungsschiffe weiter.

Ampel will Weiterentwicklung

Am Mittwoch etwa brachte das Schiff von Ärzte ohne Grenzen, Geo Barents, 270 Schiffbrüchige nach Taranto in Italien. Zuvor hatte die Crew nach eigenen Angaben bei den Behörden Italiens und Maltas 17 Mal erfolglos einen sicheren Hafen angefragt.

Die Ampel hat sich im Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht, „mit mehr Ländern Maßnahmen wie den Malta-Mechanismus weiter(zu)entwickeln“. Seinerzeit hatte Seehofer zugesagt, dass Deutschland Italien und Malta 25 Prozent der von den NGOs Geretteten abnehmen werde. Doch seit Regierungsübernahme von SPD, Grünen und FDP liegt der Anteil derer, die Deutschland für das Asylverfahren übernommen hat, bei etwa 0,2 Prozent.

Im Juni hat sich Deutschland bereit erklärt, als Beitrag zu einem zunächst auf ein Jahr angelegten freiwilligen EU-Solidaritätsmechanismus zur Entlastung von südlichen Außengrenzstaaten wie Italien 3500 Asylsuchende zu übernehmen. Dabei geht es vor allem um Menschen, die von privaten Hilfsorganisationen aus Seenot gerettet wurden. Es sei beabsichtigt, das Ende August begonnene Verfahren zur Umverteilung von Asylsuchenden aus Italien vor Ort noch diese Woche abzuschließen, teilte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums mit. Mit den ersten Überstellungen nach Deutschland sei voraussichtlich Ende September zu rechnen.

Julian Pahlke war einst selbst Seenotretter auf dem Mittelmeer. Heute sitzt der einstige „Jugend Rettet“-Aktivist für die Grünen im Bundestag. Der Malta-Mechanismus sei der „völlig richtige Ansatz“ gewesen, er sei nur zu zögerlich und langsam umgesetzt worden. Die Aufnahme von Schutzsuchenden aus Mittelmeeranrainern-Staaten nennt er ein „geeignetes Mittel“.

Der nun anlaufende Solidaritätsmechanismus könne „helfen, mehr Zusammenhalt zu schaffen“, sagt Pahlke. Wenn Länder wie Italien oder Griechenland sehen, dass sie eben nicht alleine gelassen werden, könne das „vielleicht den einen oder anderen Knoten zum Platzen bringen.“ Er verweist darauf, dass es das erste Mal ist, dass sich eine so große Anzahl an Staaten auf die Aufnahme geeinigt habe. „Das ist natürlich erst einmal ein Erfolg.“ Doch klar sei: „Die Anzahl der Plätze in dem Mechanismus reicht noch längst nicht aus.“

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