Versicherer will Geld für Coronatherapie: 80.000 Euro von armer Erntehelferin
Während die erkrankte Ukrainerin um ihr Leben kämpfte, meldete der Bauer sie bei der Krankenkasse ab. Jetzt soll die Mindestlöhnerin selbst zahlen.
Die Lunge und die Nieren versagten, das Herz pumpte kein Blut mehr. Monatelang musst sie im Krankenhaus in Bayern behandelt werden. Fast wäre sie gestorben. „Ich kann nach der Krankheit nicht arbeiten“, schreibt Szolomka der taz. Und nun soll sie rund 80.000 Euro für ihre Coronabehandlung an die Techniker Krankenkasse (TK) zahlen. „Das kann ich nicht bezahlen“, klagt die Frau, die im Westen der Ukraine lebt.
Der Versicherer hat der Arbeiterin vor Kurzem geschrieben, genau 78.852,07 Euro seien zum Beispiel für stationäre Krankenhausbehandlungen fällig, die 2020 über ihre TK-Gesundheitskarte abgerechnet wurden, „obwohl Sie nicht bei uns versichert waren“. Der Brief liegt der taz vor. „Die Politik muss Regelungen treffen, um solche Fälle zu verhindern“, forderte Harald Schaum, Vizechef der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU).
„Der Arbeitgeber hat die Patientin abgemeldet, noch während sie im Krankenhaus war“, erklärte TK-Sprecher Michael Ihly den Fall auf Nachfrage der taz. „Wir haben sie angeschrieben, melde dich wegen Krankengeld und so weiter. Weder der Brief noch irgendeine Reaktion ist zurückgekommen.“ Wer Krankengeld bekommt, ist weiter versichert, sogar nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber.
Der Krieg erschwert eine Lösung
Die TK hatte ihren Brief an den Großbauernhof in Mamming geschickt. „Der Chef hat uns diesen Brief erst gegeben, als wir nach dem Krankenhausaufenthalt in die Ukraine fuhren“, so Szlomoka. „Uns wurde gesagt, dass wir die Versicherungsgesellschaft online kontaktieren müssten, um einen Antrag elektronisch auszufüllen, was uns nicht möglich war.“ Sie hätten das Onlineformular nicht verstanden, weil es nur auf Deutsch verfasst gewesen sei. „Da wir kein Deutsch sprechen, versprach der Chef zu helfen, wir riefen mehrmals in der Firma an, aber sie ignorierten uns.“
Erntehelfern, die fast alle aus Ländern wie Rumänien oder Polen kommen, steht meist nur der gesetzliche Mindestlohn von 9,82 Euro pro Stunde zu – oft abzüglich Pauschalen für Unterkunft und Verpflegung. Gewerkschafter und Betroffene kritisieren, manche Landwirte würden sogar weniger zahlen als vorgeschrieben.
Die meisten ErntehelferInnen werden als „kurzfristig Beschäftigte“ angestellt, sodass sie nicht Mitglied der Sozialversicherung sind. Solche Arbeiter müssen laut IG BAU beispielsweise im Fall einer Corona-Erkrankung die Behandlungskosten mitunter selbst zahlen. Vermutlich sollte auch die Ukrainerin so angestellt werden, damit der Hof Sozialbeiträge spare. Als sie jedoch schwer erkrankte und damit hohe Kosten entstanden, meldete der Landwirt sie plötzlich doch bei der TK an. „Bis der Antrag auf die Versicherung bei uns einging, war sie schon im Krankenhaus“, sagte Ihly. Das ist sogar legal: Einer Verordnung zufolge hat der Arbeitgeber bis zu sechs Wochen Zeit, um den Beginn einer versicherungspflichtigen Beschäftigung zu melden. Anders als zum Beispiel die Baubranche muss die Landwirtschaft das nicht am ersten Arbeitstag erledigen.
Als die taz in dem Betrieb anrief, um eine Stellungnahme zu erbitten, antwortete eine Frau, der Landwirt sei nicht zu sprechen, und legte grußlos auf.
Die TK versucht laut Ihly nun, die Betroffene in der Ukraine zu erreichen: „Die Aussichten stehen ganz gut, dass wir das alles in ihrem Sinne wieder ins Lot bekommen, aber wir müssen mit ihr in Kontakt kommen.“ Doch angesichts der Sprachbarriere, eines schlechten Mobilfunknetzes und nun auch des Krieges mit Russland gestaltet sich die Kommunikation schwierig.
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