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Verschärfung des HochschulgesetzDrohende Paralleljustiz

Der Senat will das Ordnungsrecht an Universitäten wiedereinführen. Studierendenvertreter und Universitätsleitungen fürchten politische Willkür.

Nach dem Angriff auf einen jüdischen Kommilitonen forderten auch Studierendeninitiativen entschlossenes Handeln des Senats Foto: dpa | Christoph Soeder

Berlin taz | Die geplante Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Berliner Hochschulen stößt auf starke Kritik. In einer am Dienstagmorgen veröffentlichten Stellungnahme bezeichnet die die Berliner Studierendenschaft vertretende Landesastenkonferenz den Gesetzesentwurf als „Türöffner“ für ein „Gesinnungsordnungsrecht“. Der Entwurf sei kaum dazu geeignet, Studierende vor Gewalt zu schützen, sondern ermögliche nur neue Repressionsmöglichkeiten.

Anlass für die Novelle des Hochschulgesetzes war ein Angriff auf den jüdischen FU-Studenten Lahav Shapira durch einen Kommilitonen Anfang Februar, dem vermutlich eine politische Auseinandersetzung um den Nahost-Konflikt vorausging. Infolge des Angriffs wurden Forderungen nach der Exmatrikulation des mutmaßlichen Täters laut. Da dieser Schritt nach dem Hochschulgesetz derzeit nicht möglich ist, kündigte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) bald darauf an, bis zu Ostern einen Entwurf für eine Novelle dem Abgeordnetenhaus vorzulegen.

Nun bat Czyborras Verwaltung unter anderem die Asten um Stellungnahmen für einen ersten Referentenentwurf. Die Novelle sieht vor, das erst 2021 aus dem Hochschulgesetz entfernte Ordnungsrecht in erweiterter Form wieder einzuführen.

Konkret plant der Senat ein mehrstufiges System, mit dem gewalttätige Übergriffe zwischen Studierenden geahndet werden können. Diese reichen vom Aussprechen von Rügen über den zeitweisen Ausschluss von Lehrveranstaltungen bis hin zur Exmatrikulation. Die Maßnahmen verhängen soll ein neu zu bildender „Ordnungsausschuss“, in dem mindestens ein*e Stu­den­t*in und eine Person mit Befähigung zum Richteramt vertreten sein soll.

Dehnbarer Gewaltbegriff

In der Stellungnahme empfehlen die Asten, den Entwurf komplett abzulehnen. „Der Gesetzentwurf ist ungeeignet und vage“, kritisiert Luca Schenk vom Refrat, der Studierendenvertretung der HU. Die Asten befürchten, dass die Novelle dafür missbraucht werden könnte, politisch aktive Studierende zu drangsalieren. „Gewalt ist rechtlich ein wahnsinnig unbestimmter Begriff, der oft sehr weit ausgelegt wird“, sagt Schenk. Im Zweifelsfall könnte auch Blockaden und Störungen von Veranstaltungen als Gewalt gewertet werden.

TU-Präsidentin Geraldine Rauch befürchtet, dass durch die Ordnungsausschüsse, die über die Fälle urteilen sollen, eine Art Paralleljustizbarkeit an den Hochschulen entsteht. „Dieses Gremium wäre in keiner Weise dafür ausgebildet“, sagt Rauch zur taz. Gerade in Kontexten wie dem Nahost-Konflikt würde ein enormer öffentlicher Druck auf den Mitglieder lasten, Exmatrikulationen auszusprechen. „Das kann sehr schnell nach hinten losgehen“, fürchtet Rauch.

Nach einem abgeschlossenen Strafverfahren wäre dieser Schritt noch nachvollziehbar, doch das Gesetz sieht vor, Exmatrikulationen auch schon vor einem richterlichen Urteil durchführen zu können. Das heißt, die beschuldigte Person könnte exmatrikuliert werden, bevor ein entsprechender Prozess überhaupt angefangen hat.

Rauch kritisiert auch das Tempo, mit dem der Senat die Novelle durchpeitschen will. „Es gibt keinen Grund, das so zu übereilen.“ Das Problem, dass Täter und Gewaltbetroffene sich auf dem Campus begegnen, gebe es bei Sexualdelikten schon seit Jahrzehnten.

Andere Lösungen möglich

Die TU-Präsidentin plädiert dafür, die bestehenden Mittel des Hausrechts weiter auszubauen. Bislang könnten Hochschulen Studierenden bis zu sechs Monaten Hausverbot erteilen. Dies müsste bis zum Ende eines Strafverfahrens verlängert werden können. Auch die Asten fordern Maßnahmen, etwa bessere Antidiskriminierungsstrukturen und richterliche Annäherungsverbote. So könnten Betroffene effektiver beschützt werden als durch das Ordnungsrecht.

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Marcel Hopp, verteidigt den Entwurf. „Es geht nicht darum, dass nach Gesinnung exmatrikuliert werden kann.“ Vielmehr wolle man den Hochschulen Handhabe für Fälle wie den Angriff auf Shapira geben. Auch sei das Gesetz ja bisher nur eine „gute Diskussionsgrundlage“. Bis dahin könne noch viel geändert werden.

* In einer früheren Version des Artikels wurde behauptet, dass Exmatrikalutionen, die nach einem gültigen Strafbefehl erfolgen, kein rechtskräftiger Prozess vorangegangen ist. Das ist natürlich nicht korrekt.

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9 Kommentare

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  • Also wenn ich mich richtig erinnere, war der Zusammenstoß zwichen dem jüdischen Aktivisten und dem Israelgegner nicht auf dem Universitätsgelände.

    Ich kenne das Ordnungsrecht an anderen Unis nicht, aber wenn die Universität in einer Art Paralleljustiz anmaßt, das Verhalten von Studenten irgendwo sonst quasi strafrechtlich zu bewerten, dann kann ich die Furcht vor einer Gesinnungsjustiz (die ja formal keine Justiz seon soll) schon nachvollziehen.

    Eine Exmatrikulation hat langfristige Folgen, die höher sein können, als die allgemeinen Strafen bei einer Prügelei.

  • Das Argument des AStA zieht nur in der gegenwärtigen Form des Entwurfs, rechtfertigt eine Totalverweigerung jedoch in keiner Weise. Es wäre gar kein Problem, den Gewaltbegriff in einer veränderten Fassung einzuschränken, z.B. durch die Formulierung "körperliche Gewalt von nicht geringer Intensität". Damit wären reine Nötigungshandlungen in jedem Fall raus.



    Völlig ratlos hinterlässt mich die Äußerung der Präsidentin der Universität, die ich (falls sie tatsächlich so gefallen sind) nur noch als peinlich bezeichnen kann.



    "Nach einem abgeschlossenen Strafverfahren wäre dieser Schritt noch nachvollziehbar, doch das Gesetz sieht vor, Exmatrikulationen schon bei einem rechtsgültigen Strafbefehl aussprechen zu können. Das heißt, die beschuldigte Person könnte exmatrikuliert werden, bevor ein entsprechender Prozess überhaupt angefangen hat."



    Ein "rechtsgültiger" (wohl eher rechtskräftiger) Strafbefehl steht nicht VOR einem Verfahren, er schließt ein solches ab! Es wird quasi ein Vergleich zwischen StA und Beschuldigtem geschlossen, der letzteren einen teuren und oft peinlichen öffentlichen Prozess erspart und dafür leistet er finanziell "Buße". Ist er nicht einverstanden, kann er dem Strafbefehl widersprechen und nur dann geht die Sache vor Gericht.



    Kurios dann der folgende Absatz. Plötzlich plädiert die Präsidentin, die zuvor wortreich (wie falsch) ein Handeln vor Eintritt der Rechtskraft tadelte, dafür, ein Hausverbot bereits sofort verhängen zu dürfen und bis zum Ende des erwarteten Verfahrens (was sich Monate bis Jahre hinziehen kann!) auszuweiten und somit die gesetzlich verbriefte Unschuldsvermutung regelrecht mit Füßen zu treten. Als Repräsentantin einer staatlichen Organisation ist sie verpflichtet, das Grundgesetz zu achten. Vielleicht sollte sie erst mal damit anfangen, es zu lesen...

    • @Cerberus:

      Sie haben offensichtlich den Text nicht verstanden. Die Präsidentin der TU meinte das Verfahren vor dem Ordnungsausschuß. Dem soll laut Gesetzentwurf eine Exmatrikulation folgen ohne das es ein Strafverfahren gab. Und das könnte Mitglieder dieses Ausschußes unter starken öffentlichen Druck setzen.



      Vielleicht einfach noch einmal lesen

    • @Cerberus:

      Ich bin zwar kein Jurist, aber ich kann googlen: Wikipedia "Strafbefehlsverfahren":

      "Die Zustellung des Strafbefehls an den Angeklagten ist erforderlich....



      Der Angeklagte wird dadurch über den Tatvorwurf informiert. Zudem kann er sich entscheiden, ob er Einspruch einlegen möchte oder nicht."

      Da ist noch gar nichts abgeschlossen.

      • @lundril:

        Legt der Angeklagte keinen Einspruch ein, wird der Strafbefehl rechtskräftig, ohne dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommt. 'Damit ist das Verfahren abgeschlossen.

  • Wie ist es denn an den Unis, wo es auch jetzt schon existiert?

    • @Suryo:

      Ein befreundeter Uni-Justiziar konnte sich auf Nachfrage nicht dran erinnern, dass in seiner Amtszeit jemals Ordnungsrecht von der Uni angewendet wurde. Die Zeiten, in denen Teile der Professorenschaft nach Karzer und härteren Strafen seitens der Universität gerufen hätten, wären schon vor seiner Amtszeit vorbei gewesen. 😉 Und bei politisch motivieren Störaktionen fänden sich so gut wie immer Sympathisanten in Gremien und Institutionen von Uni oder Wissenschaftsministerium, was taktisches Nicht-Handeln fördere.

      Inoffizielle Leitlinie im gesamten Bundesland ist anscheinend: Was außerhalb der Uni passiert, geht die Uni erstmal nichts an; was innerhalb der Uni passiert, wird erstmal der ordentlichen Gerichtsbarkeit übergeben; erst wenn die jemanden nicht (lange genug) wegsperrt, wird er nach der Verurteilung exmatrikuliert. Alles andere wird übers Hausrecht geregelt...

  • Richtig so! Das Ordnungsrecht ist gängige Praxis in Deutschland und von Rechtsmissbrauch hört man nichts. Das Argument zieht nicht! Und wenn jemand wegen einer Straftat der Hochschule verwiesen wird, dann ist da nichts Rechtsmissbräuchliches.

    • @Walterismus:

      Man sorgt sich nunmal massiv darum, dass es eben nicht nur Gewalt bestraft, sondern auch die generelle Stimmung kontrolliert.



      Wer nicht der gewollten ideologischen Richtung zustimmt und sich politisch Engagiert kann entfernt werden.



      Im Extremfall das heranzüchten von vielen kleinen Jasagern.

      Selbst wenn es nicht so extrem enden wird, gibt es schon Gründe warum wir generell gegen solche Maßnahmen sind.