Verpflichtende Fahrtests für Senioren: Die alten Gefährder
Sorgen Fahrtests für Senior*innen für mehr Sicherheit? Vielleicht. Deutsche Verkehrspolitik traut sich trotzdem nicht an den größten Risikofaktor: Autos.
M eine Oma war eine mobile Frau. Mit zunehmendem Alter hatte sie einen zunehmend vollen Terminkalender: Wassergymnastik, Lesegruppe, Kleingarten. Später kamen immer mehr Arztbesuche dazu. Zu ihren Terminen fuhr sie meist allein. Nur manchmal fragte sie, ob jemand mit dem Auto eine Ladung Pferdemist für den Garten vorbeibringen könnte.
Meine Oma liebte ihr Rad mit tiefem Einstieg, weil sie die Knie nicht mehr so hoch heben konnte. Es machte alle Wege leichter und meine Oma zu einer unabhängigen Frau. Dann stürzte sie. Erst einmal, dann wieder. Das Rad, so entschieden die Kinder, musste in den Keller. Meine Oma protestierte, weinte, aber gab schließlich nach.
Wenn gerade wieder über verpflichtende Fahrtests für Senior*innen über 75 Jahren diskutiert wird, dann muss es vielen älteren Menschen ähnlich gehen. Was der einen das Rad, mag anderen der klapprige Toyota sein. Anders als bei der ewigen Diskussion um ein Tempolimit, geht es hier nicht nur um die Beschneidung eines Privilegs.
Fahrtests für Senior*innen könnten bedeuten, dass das letzte Stück selbstbestimmte Mobilität in der Garage verstaubt oder auf dem Schrottplatz sein Ende findet. Das macht Angst, vollkommen zu Recht. Denn die Alternative zum Selbstfahren heißt in der aktuellen, infrastrukturellen Realität Deutschlands häufig: zu Hause bleiben oder abhängig sein.
Es ist sinnvoll, misstrauisch zu sein
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) versteht das, so könnte man meinen, und will deshalb die Auto(!)nomie älterer Autofahrer*innen schützen. Er setze auf die Eigenverantwortung der betroffenen Senior*innen, die selbst ihre eigene „Fitness und Fähigkeiten im Straßenverkehr“ überprüfen sollten, sagte Scheuer den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Mittwoch. Außerdem hätten Senior*innen zu Unrecht einen schlechten Ruf, wenn es um ihre Fahrtauglichkeit gehe: „Aus der Unfallstatistik ergeben sich keine Auffälligkeiten“, so Scheuer.
Es ist sinnvoll, misstrauisch zu sein, wenn Politiker*innen sich auf vermeintliche Erkenntnisse aus Wissenschaft oder Statistik berufen (siehe Jens Spahn und das Ende von Krebs). Nun hat Andreas Scheuer insofern recht, als Senior*innen entgegen häufigen Vorurteilen relativ selten Hauptverursacher*innen von Unfällen sind. Zwar ist es richtig, dass im Alter häufiger Probleme wie Seh- und Konzentrationsschwächen auftreten. Und Expert*innen sagen, dass ab 75 Jahren das Risiko deutlich steigt, einen Unfall zu verursachen. Laut Verkehrsstatistik waren im Jahr 2017 aber nur knapp 16 Prozent der für Unfälle verantwortlichen Autofahrer*innen 65 oder älter.
Was Scheuer aber auslässt, ist die Tatsache, dass das Risiko für diese Bevölkerungsgruppe, in einem Pkw zu verunglücken, seit 1980 um fast 25 Prozent gestiegen ist – was auch daran liegt, dass ältere Menschen heute häufiger das Auto nutzen. Und da sind wir eben wieder beim Auto und bei der Frage, ob wir womöglich nicht zuerst die Fahrer*innen, sondern das Verkehrsmittel an sich kritisieren sollten.
Das gefährlichste Verkehrsmittel
Natürlich sind das Problem nicht die Senior*innen, die aktiv am Straßenverkehr teilhaben wollen und müssen. Menschen nur wegen ihres Alters zu unterstellen, sie würden weniger gut Auto fahren als der Rest, ist diskriminierend. Fahrtüchtigkeit hängt von vielen Faktoren ab und regelmäßige Tests würden auch Mittvierzigern mit wenig Fahrroutine guttun. Wahr ist trotzdem: Das Auto ist nach wie vor das gefährlichste Verkehrsmittel.
Autominister Scheuer ignoriert mit seinem Plädoyer gegen Fahrtests erwartungsgemäß das, was gegen den Pkw spricht. Erstens die sozialstaatliche Pflicht, Teilhabe in Form von Mobilität zu gewährleisten, zum Beispiel durch bessere Busverbindungen in ländlichen Räumen oder kostenlose Nutzung des ÖPNV für Bedürftige.
Und zweitens die ökologische Verantwortung, sofort eine umweltfreundliche Verkehrspolitik voranzubringen, die konsequent auf andere Verkehrsmittel setzt als das Auto.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“