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Verpflichtende Fahrtests für SeniorenDie alten Gefährder

Lin Hierse
Kommentar von Lin Hierse

Sorgen Fahrtests für Senior*innen für mehr Sicherheit? Vielleicht. Deutsche Verkehrspolitik traut sich trotzdem nicht an den größten Risikofaktor: Autos.

Wie das Auto bedeutet auch das Fahrrad für Menschen Auto(!)nomie Foto: Sebastian Wells

M eine Oma war eine mobile Frau. Mit zunehmendem Alter hatte sie einen zunehmend vollen Terminkalender: Wassergymnastik, Lesegruppe, Kleingarten. Später kamen immer mehr Arztbesuche dazu. Zu ihren Terminen fuhr sie meist allein. Nur manchmal fragte sie, ob jemand mit dem Auto eine Ladung Pferdemist für den Garten vorbeibringen könnte.

Meine Oma liebte ihr Rad mit tiefem Einstieg, weil sie die Knie nicht mehr so hoch heben konnte. Es machte alle Wege leichter und meine Oma zu einer unabhängigen Frau. Dann stürzte sie. Erst einmal, dann wieder. Das Rad, so entschieden die Kinder, musste in den Keller. Meine Oma protestierte, weinte, aber gab schließlich nach.

Wenn gerade wieder über verpflichtende Fahrtests für Se­nior*innen über 75 Jahren diskutiert wird, dann muss es vielen älteren Menschen ähnlich gehen. Was der einen das Rad, mag anderen der klapprige Toyota sein. Anders als bei der ewigen Diskussion um ein Tempolimit, geht es hier nicht nur um die Beschneidung eines Privilegs.

Fahrtests für Senior*innen könnten bedeuten, dass das letzte Stück selbstbestimmte Mobilität in der Garage verstaubt oder auf dem Schrottplatz sein Ende findet. Das macht Angst, vollkommen zu Recht. Denn die Alternative zum Selbstfahren heißt in der aktuellen, infrastrukturellen Realität Deutschlands häufig: zu Hause bleiben oder abhängig sein.

Es ist sinnvoll, misstrauisch zu sein

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) versteht das, so könnte man meinen, und will deshalb die Auto(!)nomie älterer Autofahrer*innen schützen. Er setze auf die Eigenverantwortung der betroffenen Se­nior*innen, die selbst ihre eigene „Fitness und Fähigkeiten im Straßenverkehr“ überprüfen sollten, sagte Scheuer den Zeitungen der Funke Mediengruppe am Mittwoch. Außerdem hätten Senior*innen zu Unrecht einen schlechten Ruf, wenn es um ihre Fahrtauglichkeit gehe: „Aus der Unfallstatistik ergeben sich keine Auffälligkeiten“, so Scheuer.

Es ist sinnvoll, misstrauisch zu sein, wenn Politiker*innen sich auf vermeintliche Erkenntnisse aus Wissenschaft oder Statistik berufen (siehe Jens Spahn und das Ende von Krebs). Nun hat Andreas Scheuer insofern recht, als Senior*innen entgegen häufigen Vorurteilen relativ selten Haupt­verursacher*innen von Unfällen sind. Zwar ist es richtig, dass im Alter häufiger Probleme wie Seh- und Konzentrationsschwächen auftreten. Und Ex­pert*innen sagen, dass ab 75 Jahren das Risiko deutlich steigt, einen Unfall zu verursachen. Laut Verkehrsstatistik waren im Jahr 2017 aber nur knapp 16 Prozent der für Unfälle verantwortlichen Autofahrer*innen 65 oder älter.

Was Scheuer aber auslässt, ist die Tatsache, dass das Risiko für diese Bevölkerungsgruppe, in einem Pkw zu verunglücken, seit 1980 um fast 25 Prozent gestiegen ist – was auch daran liegt, dass ältere Menschen heute häufiger das Auto nutzen. Und da sind wir eben wieder beim Auto und bei der Frage, ob wir womöglich nicht zuerst die Fahrer*innen, sondern das Verkehrsmittel an sich kritisieren sollten.

Das gefährlichste Verkehrsmittel

Natürlich sind das Problem nicht die Senior*innen, die aktiv am Straßenverkehr teilhaben wollen und müssen. Menschen nur wegen ihres Alters zu unterstellen, sie würden weniger gut Auto fahren als der Rest, ist diskriminierend. Fahrtüchtigkeit hängt von vielen Faktoren ab und regelmäßige Tests würden auch Mittvierzigern mit wenig Fahrroutine guttun. Wahr ist trotzdem: Das Auto ist nach wie vor das gefährlichste Verkehrsmittel.

Autominister Scheuer ignoriert mit seinem Plädoyer gegen Fahrtests erwartungsgemäß das, was gegen den Pkw spricht. Erstens die sozialstaatliche Pflicht, Teilhabe in Form von Mobilität zu gewährleisten, zum Beispiel durch bessere Busverbindungen in ländlichen Räumen oder kostenlose Nutzung des ÖPNV für Bedürftige.

Und zweitens die ökologische Verantwortung, sofort eine umweltfreundliche Verkehrspolitik voranzubringen, die konsequent auf andere Verkehrsmittel setzt als das Auto.

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Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag. Foto: Amelie Kahn-Ackermann
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7 Kommentare

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  • Korrekt wäre in der Überschrift:

    "Gefährder*innen" und in der Anriß-Überschrift "Senior*innen"

    Hab tatsächlich kurzzeitig gedacht, dass es in dem Artikel nur um Männer geht.

  • Was habe ich als Mofafahrer mal mit Nachdruck gesagt bekommen. "Nicht fahren wenn man krank ist oder Medikamente einnimmt welche die Fahrtüchigkeit beeinflussen, eingenommen hat." Da dies in der Diskussion scheinbar keine Rolle spielt, finde ich sollte es zumindest mal in die Denkvorgänge mit einfließen. Denn welcher älterer Mensch hat mit der Zeit Gebrechen oder leichtere Krankheiten, die nun mal häufiger auftreten als bei Jüngeren (und selbst bei denen sollte zumindest der Meikamenteneinfluß eine Rolle spielen). Auch kann es zu Bewegungseinschränkungen kommen, die z. B. das Nachhintenschauen beeinträchtigen können oder die Reaktionsfähigkeit einschränken. Daher verstehe ich nicht das es zumindest ab einem gewissen Alter zumindest mal überprüft werden kann und das nicht etwa freiwillig, sondern verpflichtend. Ich weiß das es nicht einfach ist, nicht mehr fahren zu dürfen. Da müsste es im Interesse der Allgemeinheit sein, Lösungen, wie Fahrgemeinschaften oder anderes zu entwickeln um die Moblität außerhalb der "Öffis" zu gewährleisten.

  • Mehr Sicherheit im Straßenverkehr ist per se eine gute Sache. Dummerweise haben aber diejenigen, die kein Auto haben, in vielen Gegenden Deutschlands vor allem die Sicherheit, grottenschlecht bis gar nicht mehr von A nach B zu kommen, es sei denn, sie gehören zu den Bestverdienern und können sich für alles eine Taxifahrt leisten.

    Und dann gibt's da noch ein Problem speziell für alte und gesundheitlich angeschlagene Menschen. Öffentliche Verkehrsmittel benutzen reduziert zwar die Schadstoffbelastung der Luft, trägt aber jedes Jahr erneut ganz erheblich zur Arterhaltung von Grippe & Co. bei, und im schlimmsten Fall für manch einen auch zum "sozialverträglichen" vorzeitigen Ableben.

  • Abgesehen davon, dass man mit dem Thema und der Diskussion darüber gut "am Stammtisch" punkten kann (und dass es schade ist, das die TAZ sich auf dieses Niveau herablässt) kommt die Diskussion mMn. zu spät: Die Automatisierung des Verkehrs (nicht nur im Sinne von "Autonomen Fahren" sondern insb. auch von Assistenzsystemen) schreitet voran bzw. ist bereits sehr weit vorangeschritten, so dass das "Problem" mit Fahrern überfordert sind (das betrifft nicht nur alte Menschen!!!) sich (bald) von selber löst...



    Politik und Zeitungen sollten sich lieber echten Problemen zuwenden und solche Phantom-Diskussionen meiden.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Falscher Ansatz! Vor der StVO sind alle gleich - und gleich verantwortlich. Wer dieser Verantwortung (z. B. sicher und aufmerksam sich im Verkehr bewegen, unabhängig vom Verkehrsmittel) nicht (mehr) nachkommen kann, muss den ÖPNV, Taxi oder Familie bemühen.



    Der Gesetzgeber kann beschließen, das z. B. die Fahrtauglichkeit



    /-eignung bei FührerscheininhaberInnen regelmäßig überprüft wird - was bei BerufskraftfahrerInnen auch getan wird. Tut er aber nicht. Und Führerschein freie Mobilität wird derzeit außer bei Ordnungswidrigkeiten oder Straftatbeständen nicht reglementiert. Ist so.



    Wie wäre es mit Recherchen und gut aufbereiteter Statistik? Im Sinne von Faktenlage?

  • Interessant wäre es gewesen, wenn der Artikel Statistiken sehr junger AutofahrerInnen einbezogen hätte.

    Soweit ich informiert bin, sind diejenigen FahrerInnen, die den Führerschein noch nicht lange haben, deutlich eher Unfallverursacher als alte Menschen.

    Bitte grundsätzlich an die taz: werdet faktisch umfassender und seriöser und reißt Themen nicht lediglich an. Danke.

    • @cazzimma:

      Falsch, denn das ist nicht von Interesse, höchstens für Statistiker und Politiker, die sich bei ihrer Stammklientel beliebt machen wollen.



      Die StVO kennt kein Alter, nur Verkehrsteilnehmer, die sich verantwortungsbewusst und Sorgfalt walten lassend, zu verhalten haben.



      Niemand wird getestet, keiner überprüft, aber es wird erwartet, dass er dies aus eigenem Antrieb heraus tut, wenn nötig.



      Deshalb sollten Omma und Oppa am Stammtisch jetzt nicht auf die Fehler der Jungen zeigen und frohlocken, dass ein guter Konservativer für sie und ihre Lebensleistung spricht. Sondern zusehen, dass Hörgerät und Sehhilfe optimal sind, denn der Richter wird es nach einem Unfall sicher tun und dann kriegt der freche junge Hüpfer genauso eine zwischen die Hörner, wie der gediegene ältere Herr.