piwik no script img

Verkehrswende in OsnabrückWeniger Autos, mehr Straßenbahn

1960 hat Osnabrück seine Straßenbahn abgeschafft. Jetzt lässt die niedersächsische Stadt prüfen, ob es sich lohnt, eine neue zu bauen.

So könnte die Stadtahn in Osnabrück aussehen Foto: (Montag) Stefan van Lente

Osnabrück taz | Es gibt ja Leute, die sagen: Früher war alles besser. Meist ist ein solches Lob der Vergangenheit verklärender Unsinn. Aber es gibt Fälle, da stimmt es ein wenig. Ein solcher Fall tritt derzeit in Osnabrück zutage.

Es geht um die Machbarkeitsstudie für den Bau einer Stadtbahn, in Auftrag gegeben und finanziert von Stadt und Landkreis Osnabrück. Bis Ende 2022 sollen die Dresdner Verkehrsplaner Köhler und Taubmann (VKT) ihre Potenziale bewerten, ihre Wirtschaftlichkeit, ihre Ausbaubarkeit zur Stadt-Umland-Bahn, die städtebaulichen Konsequenzen.

Ein großer Erfolg für die Osnabrücker Stadtbahn-Initiative (SBI). Seit Anfang der 1990er kämpft sie für ihre Idee einer neuen Straßenbahn. Mitentscheidend war eine Petition von Ende 2020, die über 3.100 Unterzeichner fand, an Infoständen, auf Wochenmärkten, über die Plattform openPetition. Auch AktivistInnen von Fridays for Future hatten Unterschriften gesammelt.

Osnabrück hatte schon einmal eine Stadtbahn. Eine elektrische Straßenbahn, ab 1906. Aber 1960 war damit Schluss. Das System wurde demontiert, die Stadt mehr und mehr zur Autostadt. „Heute sagen fast alle, dass das ein fataler Fehler war“, sagt Johannes Bartelt von der SBI zur taz. „Aber es ist noch nicht zu spät, den Erfolg von damals wieder aufzugreifen.“

Staus, Lärm, Abgase, Stress

Dass Osnabrücks Straßen primär Autoverkehrsraum sind, rächt sich: Staus, Lärm, Abgase, Stress, Feinstaub, zu­ge­parkter öffentlicher Raum, Unfallgefahr für Radfahrer. Eine Stadtbahn könnte das entzerren, meint die SBI. Zudem braucht Osnabrück zusätzlichen ÖPNV: Der Umstieg vom motorisierten Individualverkehr auf klimafreundlichere Verkehrsmittel müsse vorangetrieben werden, so der Osnabrücker „Masterplan 100 % Klimaschutz“. Die SBI ist überzeugt: Die Bahn würde dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

150 bis 200 Millionen Euro könnte die Stadtbahn kosten, schätzt Bartel. Die Förderquote aus Land, Bund und EU könne bis zu 90 Prozent betragen. Liefe alles optimal, könne sie in acht bis zehn Jahren in Betrieb gehen. „In allen Städten, in denen es eine Stadtbahn gibt, bildet sie das Rückgrat des ÖPNV“, so Bartelt. „Auch in Bremen, Hannover, Braunschweig, Rostock und Schwerin.“

Alles liegt jetzt an der Studie der VKT. „Wir hoffen, dass das Mitbestimmungsrecht, das uns für den Beirat zugesichert wurde, zukünftig auch eingehalten wird“, mahnt Bartelt an. „Im Moment ist die Stadt da ja im Rückstand: Beim Erstgespräch waren wir nicht eingeladen. Ende März, Anfang April steht eine ausführliche Besprechung mit dem Gutachterbüro an. Wir erwarten, dass wir dann mit am Tisch sitzen.“

Sven Jürgensen, Sprecher der Stadt, weist Bartelts Kritik zurück: „Die Stadt hat damit nichts zu tun“, sagt er der taz. „Das liegt nicht in unserem Verantwortungsbereich.“ Zuständig seien vermutlich die Stadtwerke Osnabrück. „Das ist falsch“, wundert sich Bartelt. „Es ist die Stadt, die dazu einlädt.“

Die Stadtwerke, eine AG im Eigentum der Kommune, sind aber auch ein wichtiger Akteur. Nicht nur, dass die Planungsgesellschaft Nahverkehr Osnabrück (PlaNOS), die mit der SBI als Experte am VKT-Beiratstisch sitzt, eine Tochter der Stadtwerke ist. Die Stadtwerke sind Teil der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS), die in Osnabrück den Busverkehr sicherstellt. Würde die Straßenbahn das Rückgrat des ÖPNV bilden, bliebe ihr womöglich nur das Zubringergeschäft.

Seit Anfang der 1990er kämpft die Stadtbahn-Initiative in Osnabrück für ihre Idee einer neuen Straßenbahn

Eine Konstellation zu Lasten der Stadtbahn, fürchtet Bartelt: „Die Stadtwerke haben uns jahrelang Knüppel zwischen die Beine geworfen.“ Stadtwerke-Sprecher Marco Hörmeyer sieht das anders: Die Stadtwerke, versichert er, seien „völlig ergebnisoffen“, es gehe „ganz grundlegend um die beste Art der Mobilität“. Von einer Ausgrenzung der SBI weiß er nichts. Die Steuerung liege bei Stadt und Landkreis. „Die Stadt und der Lankreis laden daher auch zu etwaigen Sitzungen und Treffen ein“, sagt Hörmeyer.

Die VKT-Studie ist noch nicht die endgültige Entscheidungsgrundlage. Es könne dadurch „nur eine Tendenz aufgezeigt werden“, gab Stadtbaurat Frank Otte Mitte 2021 im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt zu Protokoll. Die „Standardisierte Bewertung“ muss noch folgen. Erst wenn auch sie pro Bahn ausfällt, können Fördermittel beantragt werden. Eine Zitterpartie also noch für die SBI, trotz aller Hoffnung.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • In Berlin haben wir leider eine Regierende Bürgermeisterin, die den Fehler ihrer eigenen Partei, die Tram 1967 abgeschafft zu haben, noch gar nicht als Fehler sieht. Sie ist nach wie vor auf dem Auto-Trip und favorisiert die um Faktor 10 (nach Kilometern) bzw. Faktor 3 bis 4 (nach Verkehrsleistung) teurere U-Bahn. Obwohl diese deutlich schlechter abschneidet, was die Barrierefreiheit betrifft, da man auf (verdreckte oder defekte) Aufzüge angewiesen ist.

  • Mir macht es ja Angst, wenn Konzepte aus dem 19. Jahrhundert als Modell für die Zukunft angepriesen werden.

    Fehlt nur noch, dass statt des Strom- oder Dieselantriebs Pferde vorgespanmnt werden.

    Die hätten definitiv die besseren Emissionswerte.

    Wenn die Bahn frühestens 2030 oder 2032 in Betrieb gehen kann - realistischerweise könnte es wohl auch später sein -, ist zu überlegen ob eine "Stadtbahn" selbst als Übergangstechnologie taugen würde.

    Schade, dass man die technischen Möglichkeiten - aktuell und in der nahen Zukunft - so gar nicht in Betracht zieht.

    • @rero:

      Mit "Konzept aus dem 19. Jahrhundert" meinen Sie das Auto?

  • In vielen Großstädten kommt die Tram zurück. Besonders in Frankreich, wo gleichzeitig die Altstädte autofrei gestaltet wurden. Oft fährt die Tram auf begrünten Trassen. TGV und Tram ergeben eine überzeugende Symbiose für umweltfreundliches schnelles Vorankommen ohne Staus und Feinstaub.Schienenwege sind günstiger als Teer und Strassen. Da gibt es hierzulande noch viel zu tun.

    • @Dietmar Rauter:

      Ja, ich habe damals, also Anfang des Jahrhunderts, miterlebt, wie die Stadt umgegraben wurde. Nach Fertigstellung der Innenstadt war die oberleitungsfreie Bahn ein echter Gewinn und très chic! Bis 1958 existierte auch dort schon eine Tram ...

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @Dietmar Rauter:

      Ja, kann man machen.



      Das "Problem" der vielen Autos wird das nicht lösen, jedenfalls nicht in den nächsten 20 Jahren.



      Die Mieten in den Innenstädten sind explodiert. Deshalb ziehen viele Leute an den Rand der Stadt. Die wollen aber auch irgendwann in die Innenstadt, z.B. um dort zu arbeiten.



      Wie kommen die da hin?



      Der Ausbau von P+R-Parkplätzen ist ein riesiges, ungelöstes Problem. Die Politik kommt einfach nicht in die Gänge. Kein Wunder dass sich morgens und abends lange Schlangen der Berufspendler bilden - wie schon seit 40 Jahren.

      Mit einer einzelnen Maßnahme, wie eine Straßenbahn zu bauen, ist noch längst nichts gewonnen. Ein Gesamtkonzept ist notwendig. Aber was ist das realistische Ziel?



      Übertrieben gesagt, geht es um Kosmetik für die Innenstädte oder will man den CO2-Ausstoß wirksam vermindern?

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @47202 (Profil gelöscht):

        „Das ‚Problem‘ der vielen Autos wird das nicht lösen, jedenfalls nicht in den nächsten 20 Jahren.“ Stimmt. In OS wird allein die Planungsphase mindestens 20 Jahre dauern. und btw.: „Osnabrück liegt in einer Gegend.“ (Ingo Insterburg)

      • @47202 (Profil gelöscht):

        Fördern und Regulieren: Es muss sich für die Arbeitgeber finanziell echt lohnen, soviele Arbeitsplätze wie möglich "remote" anzubieten. Verkehr muss man sinnvoll(!) reduzieren, nicht versuchen, ihn nur irgendwie zu verändern.

        • 4G
          47202 (Profil gelöscht)
          @Bunte Kuh:

          Bei mir im Viertel ist es äußerst schwierig an Werktagen eine Parkplatz zu bekommen - am WE kein Problem.



          Es gibt ein großes Parkhaus, doch dessen Preise will sich kein Arbeitnehmer - z.B. der im Supermarkt arbeitet - ans Bein binden.



          Hier sollte es Zusschüsse geben.



          Auch weitere Parkhäuser mit günstigen Tarifen und E-Lademöglichkeiten sollten gebaut werden.



          Und natürlich die P+R-Parkplätze müssen ausgebaut werden. Man schaue sich z.B. mal um den S-Bhf Wannsee das Drama an.

          • @47202 (Profil gelöscht):

            Parkhäuser sollten abgerissen oder umgewidmet werden. In Berlin-Kreuzberg wurde z.B. aus einem Parkhaus eine Kindertagesstätte gemacht. Das ist zukunftsweisend!