Verkehrswende in Hamburg: Radeln mit der grünen Welle

Die Hamburger Grünen haben ihr Ziel beim Ausbau des Radverkehrs verfehlt – und verdoppeln es für die kommende Legislaturperiode.

Eine Frau auf einem gepflasterten Radweg, links ein Geländer und Autos, rechts Fußgäünger

Mal direkt neben Autoschlangen, dann wieder ein Radweg: Radeln in Hamburg kann abenteuerlich sein Foto: Jannis Grosse

Die Hamburger Grünen ziehen mit dem Thema Verkehrswende in den Bürgerschaftswahlkampf. Dazu gehört ein Konzept für die Fahrradstadt mit einigen originellen Ideen und großen Ambitionen sowie ein Innenstadtkonzept, das eine autoarme City mit verkehrsberuhigten Quartieren vorsieht und gern verkürzt als autofreie Innenstadt diskutiert wird.

Der Hang zur Verkürzung in öffentlichen Debatten sorgte dabei gerade wieder für Aufregung. „Hamburgs zweite Bürgermeisterin gegen komplett autofreie Innenstadt“, titelte der NDR am Mittwoch auf seiner Website. Eine komplett autofreie Innenstadt sei „irre und funktioniert so einfach nicht“, hatte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) während einer zweistündigen Diskussion in der Handelskammer gesagt und der Kollege, wie es sich gehört, machte eine Schlagzeile daraus.

Zucken die Hamburger Grünen also zurück, aus Angst ihre Chance, Mehrheitspartei zu werden, zu gefährden? Sind sie weniger ehrgeizig als Oslo, das ja angeblich eine autofreie Innenstadt hat? Mitnichten, denn das, was die Grünen für Hamburg planen, ähnelt sehr dem Konzept der norwegischen Hauptstadt. Es geht um einzelne Quartiere in der Innenstadt, in denen die Lebensqualität durch Eindämmung des Autoverkehrs verbessert werden soll – keineswegs die ganze Innenstadt.

In Oslo ist die Rede von 1,2 bis zwei Quadratkilometern, die verkehrsberuhigt werden sollen. Zum Vergleich: Die Hamburger Außenalster ist 1,6 Quadratkilometer groß. Die Quartiere, die die Grünen stilllegen wollen, dürften insgesamt einen halben Quadratkilometer groß sein.

Autofrei kommt an

Ihre Äußerung habe sich auf die Volksinitiative „Klimawandel jetzt“ bezogen, die der Bürgerschaft vergangene Woche Unterschriften für eine komplett autofreie Innenstadt innerhalb des ehemaligen Wallrings (siehe Karte) vorlegte. Das geht den Grünen zu weit. „Allein unser Vorschlag ist schon nicht mehrheitsfähig“, sagte Fegebank vor der Presse. Die Idee der Initiative, mit einem Stift einen sehr viel größeren Kreis zu ziehen, sei kontraproduktiv.

Die Grünen setzen dagegen auf ein schrittweises Vorgehen und Ausprobieren. Sie tun das im kleinteilig strukturierten Stadtteil Ottensen, wo sie ein paar Straßen versuchsweise autofrei gemacht haben. Sie tun das hinter dem Hamburger Rathaus, ausgerechnet vor der Handelskammer, wo das erstaunlich positiv aufgenommen wurde. Und sie wollen das in Absprache mit den Betroffenen weiter vorantreiben.

Gestützt werden sie dabei durch eine aktuelle Umfrage im Auftrag des NDR, in der sich 67 Prozent der Befragten für „autofreie Innenstadtbereiche“ aussprachen.

Wie ihr Koalitionspartner SPD setzen die Grünen nicht auf eine Verkehrswende mit der Brechstange, sondern eine, die verlockende Angebote macht. Am deutlichsten zeigt sich das beim Fahrradverkehr, zu dem die Grünen am Donnerstag ihre Ziele vorstellten. Dabei hatte ihnen die CDU gerade unter die Nase gerieben, dass sie in den vergangene fünf Jahren hinter ihren gesetzten Zielen zurückgeblieben sind.

Lediglich zwischen 32 und 44 Kilometer Radverkehrsanlagen wurden in den Jahren 2015 bis 2019 jeweils gebaut, saniert und gewidmet. Als Ziel festgelegt hatte die rot-grüne Koalition 50 Kilometer jährlich. Die Bauleistung hänge von verschiedenen Faktoren ab, antwortete der Senat der CDU: der Baustellenkoordinierung, Ressourcen in den Bezirksämtern, bei Planungsbüros und Baufirmen sowie öffentlichen Beteiligungsverfahren.

Billiger als eine U-Bahn

Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks sagte dazu: „Wir mussten erst die Strukturen schaffen.“ Rot-Grün habe die neu geschaffene Position einer Radverkehrskoordinatorin erst mal besetzen müssen und dann erst ein Bündnis für den Radverkehr schmieden können. Allerdings zeigen die Fertigstellungszahlen über die Legislaturperiode hinweg keinen stetig steigenden Trend.

Was in der zu Ende gehenden Legislaturperiode nur teilweise gelang, versprechen die Grünen in der kommenden Legislaturperiode umso ehrgeiziger anzugehen. 100 Kilometer Radverkehrsanlagen pro Jahr sollen gebaut, saniert und gewidmet werden. Hamburg könnte ruhig mehr Geld für den Radverkehr ausgeben, sagt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Martin Bill.

Die Investitionen lägen im Radverkehr pro Kopf und Jahr heute bei elf Euro. „Die anderen Fahrradstädte geben 40 Euro pro Kopf aus“, sagt Bill mit Blick auf Vorbilder wie Kopenhagen. Radwege zu bauen sei viel günstiger als Straßen oder U-Bahnen zu bauen. „Der Radwegebau“, sagte Bill, „ ist eine sehr kosteneffiziente Möglichkeit, die Infrastruktur zu verbessern.“

Viele fahren gerne Rad

81 Prozent der Hamburger mache das Radfahren Spaß, 73 Prozent sagten, es erhöhe die Lebensqualität. Daran gilt es aus Sicht der Grünen anzuknüpfen. Dafür müsse das Radfahren „schnell, einfach und bequem“ sein, sagte die Zweite Bürgermeisterin Fegebank.

Konkret schlagen die Grünen ein Fahrradkomfortnetz vor, auf dem man mit weniger lästigen Stopps unterwegs sein kann. Intelligente Schilder sollen Radlern anzeigen, ob sie schneller oder langsamer fahren müssen, um bei Grün an der nächsten Ampel anzukommen.

Es soll mehr baulich abgetrennte Fahrradspuren geben, Radschnellwege ins Umland, gut ausgeschilderte Velorouten, die möglichst als vier Meter breite Fahrradstraßen ausgelegt werden sollen. Vor jedem Mietshaus soll es geschützte und sichere Abstellanlagen geben und das Leihradnetz soll dichter werden. Einiges davon haben die Grünen auch schon vor der letzten Wahl versprochen.

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