Verkehr auf dem Land: Schlaflos in Oldendorf

Seit es die Lkw-Maut gibt, rasen Laster durch den Ort im Wendland. Mit der Pkw-Maut wird alles noch schlimmer, fürchtet Anwohnerin Heike Genzel.

Heike Genzel hält's kaum aus: Alle zehn Sekunden rast ein Brummi vorbei. Bild: Simone Schmollack

OLDENDORF taz | Neulich saß wieder so ein Brummer in ihrem Zaun. Keine kleine Hummel, sondern ein dicker Lkw. Er ist reingefahren, weil er zu schnell war. „Ich weiß nicht, wie oft ich den Zaun schon repariert habe“, sagt Heike Genzel.

Heike Genzels Haus steht in einer Kurve in Oldendorf, einem Dorf im niedersächsischen Wendland. Die Kurve ist scharf, die Autos müssen heftig bremsen. Die meisten machen das, manche Lkws nicht. „Die rasen hier mit 80, 90 Sachen lang“, sagt Genzel. Nicht wenige landen in ihrem Garten.

Seit fast zehn Jahren geht das so. Schuld daran ist nicht nur die EU-Osterweiterung, sondern vor allem die Lkw-Maut. Da ist sich Genzel sicher. Seit 2005 müssen Großfahrzeuge im Güterverkehr mit mehr als zwölf Tonnen eine Gebühr bezahlen, sobald sie auf eine Autobahn rollen, für jeden gefahrenen Kilometer zwischen 14 und 28 Cent. Ab 2016 soll es auch eine Maut für Pkws geben. So will es CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Er findet die Maut „fair“ und „gerecht“.

Die EU findet das nicht. Es gibt Widerstände aus Brüssel gegen die Verkehrsabgabe. Sie sei ausländerfeindlich, finden die Abgeordneten. Aber EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc, die gerade in Berlin um Bundestag war, zeigt sich diplomatisch. Sie wolle die Zulässigkeit der Pkw-Maut erst beurteilen, wenn das Gesetz endgültig auf den Weg gebracht ist.

Alle zehn Sekunden rast ein Brummi vorbei

Um die Kosten für die Lkw-Maut zu sparen, leiten manche Spediteure ihre Trucks statt über die Autobahnen über Land- und Bundesstraßen. Eine davon ist die B 216, von Lüneburg nach Dannenberg und mitten durch Oldendorf.

Heike Genzel, 57, stellt sich auf den Bürgersteig vor ihrem Anwesen. Ein Lkw fährt vorbei, der Luftzug reißt die große, schlanke Frau mit dem halblangen braunen Haaren fast um. Nahezu alle zehn Sekunden rast ein Autos vorbei. Ein paar Pkws, vor allem aber Schwerlaster. Ihre Kennzeichen: Berlin, Polen, Litauen. Die Leute hier nennen sie Mautpreller.

Fast alle Länder in Europa haben eine Maut. Frankreich, Italien, Österreich, die Schweiz, selbst Montenegro, Island und Albanien. Seit einigen Jahren hat der Schwerlastverkehr auf manchen Bundes- und Landstraßen laut Verkehrszählung der Bundesanstalt für Straßenwesen um bis zu 70 Prozent zugenommen.

Häuser und Straßen gehen kaputt

Durch Oldendorf fuhren dieser Statistik zufolge, die alle fünf Jahre erstellt wird, 2005 jeden Tag rund 560 Lkws. 2010 waren es 830. „Wir sind schon auf die Zahlen 2015 gespannt“, sagt Hans-Christian Friedrichs. Denn er fürchtet: Die Pkw-Maut wird ähnliche Effekte haben wie die für die Schwerlaster. Hans-Christian Friedrichs muss es wissen, er ist der Vorsitzende des Landesverbandes des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), einem Lobbyverband für eine „umweltverträgliche, sichere und gesunde Mobilität“. Den wachsenden Verkehr auf den Land- und Bundesstraßen betrachtet er mit Sorge.

„Die Straßen und Häuser gehen kaputt“, sagt Friedrichs. „Die Anwohner klagen über zu viel Krach und Dreck.“ Heike Genzel zeigt auf die Straßenfassade ihres knapp hundert Jahre alten Hauses. Das Fachwerk bröckelt, im Dach rutschen die Fugen aus den Dachpfannen, im Winter schneit es an manchen Stellen durch. „Das kommt von den Vibrationen“, sagt Genzel. Ihr Schlafzimmer liegt keine fünf Meter von der Straße entfernt, die Fenster sind dreifach verglast. „Trotzdem habe ich das Gefühl, die Lkws donnern durch mein Bett.“

Nicht nur im Wendland, überall in der Republik beschweren sich Dörfer über den unerträglich gewordenen Schwerlastverkehr. Dagegen muss man doch was tun, findet Heike Genzel. Vor drei Jahren gründete sie zusammen mit anderen aus ihrem Umkreis eine Bürgerinitiative (BI). Die will erreichen, dass Transit- und Schwerlaster in ihrer Region nicht mehr über die B 216 fahren dürfen. Der VCD unterstützt den Plan. „Der Güterverkehr muss weg von der Straße und rauf auf die Schiene“, sagt Hans-Christian Friedrichs. „Das geht nur, wenn die Maut für Lkws und Pkws nicht nur für die Autobahnen erhoben wird, sondern auch für Land- und Bundesstraßen“, glaubt Friedrichs, 50.

Gebühr nicht für alle Straßen

Aber genau das ist in Dobrindts Maut-Plänen nicht vorgesehen. Die Pkw-Maut soll – so wie die für Lkws – ausschließlich auf Autobahnen erhoben werden. Theoretisch soll die Gebühr – eine Jahresvignette von bis zu 130 Euro, für die im Gegenzug die Kfz-Steuer gesenkt wird – für Autobesitzer in Deutschland zwar auch für die Bundesstraßen gelten. Aber dort wird nicht kontrolliert. Jene Autofahrer, die beispielsweise durch ein Fahrtenbuch nachweisen, dass sie nur Landstraßen benutzen, können sich das Vignettengeld erstatten lassen.

Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass gerade mal ein Prozent der Autofahrer das tun wird. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale (VZBV) hingegen rechnet mit einer „Welle“ von Anträgen. „Viele werden das schon aus Prinzip machen“, mutmaßt Marion Jungbluth, Mobilitätsexpertin beim VZBV.

Ursprünglich wollte Dobrindt eine Gebühr für alle deutschen Straßen. Aber aus den Grenzregionen kam Druck, die Leute dort befürchteten, dass Grenzverkehr und Handel unter der Abgabe leiden. „Das ist ein Trugschluss“, sagt Friedrichs: „Es ist genau andersrum: Weil der Fernverkehr immer mehr zunimmt, bricht die lokale Wirtschaft ein.“

Polizei nimmt Unfälle nicht mehr auf

Die Ökoregion Wendland lebt vom sanften Tourismus. Radwanderer kommen her und Leute, die Ruhe und Entspannung suchen. Jenseits der Bundes- und Landstraßen ist das auch möglich. Aber viele Orte hier sind Straßendörfer, manche Cafés und kleine Hotels machen dicht, an den Häusern stellen Makler Schilder auf: „Zu verkaufen“. Ulrich Appels, Chef des Tourismusunternehmens Elbtalaue Wendland, sagt: „Die Lkws durchfahren nicht in jedem Fall touristische Schwerpunkte. Aber sie sind schädlich für den Tourismus.“

Genzels Haus hat 360 Quadratmeter Wohnfläche, dazu Scheunen, Ställe, Garagen. Früher ein florierender Hof. Doch seit ihr Mann tot ist und die beiden Kinder ausgezogen, ist das alles zu viel für sie. Sie würde das Anwesen gern verkaufen und woanders hinziehen. „Aber wer will schon hierher?“

Es gibt viele Unfälle in Oldendorf. Aber die Polizei winkt ab. „Die nehmen nicht mal mehr alle Schäden auf“, sagt Heike Genzel. Der Güterverkehr wächst rasant. Das Verkehrsministerium geht davon aus, dass das Verkehrsaufkommen um 70 Prozent bis zum Jahr 2015 steigen wird. Die deutsche Güterverkehrslogistik machte 2011 einen Umsatz von 222 Milliarden Euro.

Reparaturen müssen Gemeiden selber zahlen

Die Einnahmen aus der Lkw-Maut könnten bis Ende 2014 rund 4.361,5 Millionen Euro betragen. Ausgerechnet hat das eine Einrichtung des Bundes mit dem komplizierten Titel „Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft“ (VIFG). Das Verkehrsministerium hat die VIFG beauftragt hat, die Maut-Einnahmen zu verteilen.

Der größte Brocken, über drei Milliarden Euro, soll in den Ausbau und den Erhalt von Autobahnen, Fern- und Bundesstraßen fließen. Die Opposition im Bundestag glaubt, dass es „Investitionen in die Infrastruktur“ nicht geben werde. Sie kritisiert die Maut als ungerecht für die Bürger. Zusätzliche Einnahmen würden nicht erwirtschaftet.

Die Reparaturkosten für die Straßen im ländlichen Raum übernimmt der Bund nicht. „Das müssen die Kommunen und Landkreise aus eigener Tasche bezahlen“, sagt Friedrichs. Das belastet die ohnehin schon knappen Kassen zusätzlich.

Wenn schon Maut, dann richtig teuer, findet der VCD. Statt durchschnittlich 21 Cent sollte jeder befahrene Kilometer auf Bundes- und Landstraße 45 Cent kosten. „Und zwar für Lkws und Pkws“, meint Friedrichs. Das wäre teurer als der Transport mit der Bahn. Die hätte dadurch einen Wettbewerbsvorteil, der Schwerlastverkehr würde auf die Schiene verlagert. Friedrich sagt: „Das ist ökologisch und ökonomisch am besten.“

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