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Verhältnis der EU zur TürkeiEwiges Dilemma

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die EU agiert im Umgang mit der Türkei zögerlich. Dabei ist gegenüber Erdoğan klare Kante nötig. Durch positive Anreize – oder massive Sanktionen.

Der türkische Präsident Erdogan kann beruhigt sein. Die EU setzt auf Annäherung Foto: Yves Herman/reuters

E rdogan kann zufrieden sein. Trotz der provokativen Entscheidungen wenige Tage vor dem Gipfel, insbesondere dem Ausstieg aus der Istanbul Konvention zum Schutz der Frauen und dem Verbotsantrag gegen die kurdisch-linke HDP, hält die EU an der „positiven Agenda“ gegenüber der Türkei fest. Als wichtigster Grund dafür wird die Gesprächsbereitschaft der Türkei im Streit mit Griechenland und Zypern um die Ausbeutung von Gas – und Ölfunden im östlichen Mittelmeer genannt.

Angedrohte Sanktionen werden deshalb zunächst nicht umgesetzt, stattdessen gab der EU-Gipfel grünes Licht für die Vorbereitungen zur Ausweitung der Zollunion, Prüfung visafreier Reisen türkischer Bürger in die EU und einer Neuauflage des EU-Türkei Flüchtlingspaktes mit neuen Milliardenzahlungen für syrische Flüchtlinge in der Türkei. Die zunehmende Repression in der Türkei wurde zwar kritisiert, die Kritik bleibt aber zunächst folgenlos.

Die EU befindet sich gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in einem seit Jahren immer gleichen Dilemma. Der Autokrat vom Bosporus pfeift seit langem auf EU-Regeln und hat sich auch durch moderate Sanktionen nicht davon abhalten lassen, massenhaft politische Gegner ins Gefängnis zu stecken oder seine außenpolitischen Interessen mit Gewalt durchzusetzen.

Es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten: echte, massive Sanktionen, wie Putin es nach dem Abschuss eines russischen Kampfflugzeuges im November 2015 vorgeführt hat, oder so viel positive Anreize, dass Erdogan von sich aus bereit ist, einige EU-Forderungen zu akzeptieren. Die Putin-Variante, also komplettes Handelsembargo und Abbruch der Beziehungen, ist in der EU nicht durchsetzbar, dazu sind die Interessen der beteiligten Länder zu unterschiedlich.

Kosmetische Sanktionen aber bringen gar nichts, wie die letzten Jahre gezeigt haben. Also versucht es die EU jetzt nach dem faktischen Ende der Beitrittsverhandlungen 2016 mit positiven Anreizen unterhalb der Ebene von Beitrittsverhandlungen. Einen Versuch ist es wert.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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3 Kommentare

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  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    "Als wichtigster Grund dafür wird die Gesprächsbereitschaft der Türkei im Streit mit Griechenland und Zypern um die Ausbeutung von Gas – und Ölfunden im östlichen Mittelmeer genannt." ... die bei nächster Gelegenheit wieder kassiert wird - um neuerlich Zugeständnisse zu erpressen.



    Die in Brüssel agierenden Personen lassen sich ein ums andere mal vorführen. Für was eigentlich?

    • @82286 (Profil gelöscht):

      "Für was eigentlich?"

      Z.B. für geostrategische Interessen. Oder vielleicht für einen profitablen Absatzmarkt oder billige Importe.

  • Zuckerbrot und/oder Peitsche in der Außenpolitik? Einfältiger gehts nimmer. Da hat sich seit Wilhem II nichts geändert.