EU-Spitzen in der Türkei: Besuch im Tumult
Von der Leyen spricht mit Erdoğan über das EU-Türkei-Verhältnis – obwohl der Präsident im eigenen Land gerade mit neuen Repressionen aufwartet.

Charmeoffensive: Von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel beim türkischen Präsidenten Erdoğan Foto: Presidential Press Office/reuters
ISTANBUL taz | Mitten in einem seit Tagen andauernden innenpolitischen Tumult in der Türkei ist am Dienstag die Spitze der EU in Ankara zu einem beim EU-Gipfel im März verabredeten Besuch gekommen. Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel trafen sich mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, um über den weiteren Ausbau der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU zu sprechen.
Eine Stellungnahme von Ex-Admirälen bläst Ankara zur Putschvorbereitung auf
Dabei geht es der EU vor allem darum, die Streitigkeiten zwischen der Türkei und Griechenland um die Gasförderung im östlichen Mittelmeer in ruhigere Bahnen zu lenken – und damit den Konflikt mit Zypern. Seitdem der Streit über die Ausbeutung potenzieller Gas- und Ölfelder im letzten Jahr fast zu einer bewaffneten Auseinandersetzung geführt hatte, wird jetzt, nicht zuletzt auf Druck der EU, zumindest wieder verhandelt.
Quasi als Belohnung für den Rückzug der türkischen Explorationsschiffe aus den umstrittenen Seegebieten, will die EU jetzt die 2018 auf Eis gelegten Gespräche über eine Ausweitung der Zollunion und eine Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger wieder aufnehmen, wenn sich das „positive Verhalten“ der Türkei bis zum kommenden EU-Gipfel verstetigt. Außerdem soll über die Verlängerung des EU-Türkei-Flüchtlingspakts gesprochen werden.
Kritiker dieser Charmeoffensive bemängeln vor allem, dass die EU die dramatische Verschlechterung der Demokratie- und Menschenrechtslage in der Türkei offenbar gar nicht mehr interessiere. Der kürzliche Ausstieg aus der Istanbul-Konvention, einer völkerrechtlich verbindlichen Frauenrechtscharta, und der Antrag auf das Verbot der kurdisch-linken Oppositionspartei HDP scheinen für die EU-Spitze keine Rolle mehr zu spielen. Da trifft es sich, dass just in diesen Tagen eine erneute Repressionskampagne begonnen hat, die letztlich auf die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratisch-kemalistische CHP, abzielt.
Ziel der Attacken ist die CHP
Es begann am Wochenende: 104 pensionierte Admiräle erklärten sich in einer Stellungnahme gegen den von Erdoğan mit Vehemenz betriebenen Bau einer neuen Wasserstraße vom Schwarzen Meer zum Marmarameer. Das Vorhaben sei eine ökologische Katastrophe, technisch schwer umsetzbar und diene letztlich dazu, das internationale Montreux-Abkommen über die Schifffahrt durch die Dardanellen und den Bosporus zu unterlaufen. Nach der Kündigung der Istanbul-Konvention war in der Türkei eine Diskussion über einen möglichen Ausstieg aus dem Montreux-Abkommen aufgekommen.
Diese Meinungsäußerung der Ex-Admiräle blasen Regierung und die ihr nahestehenden Medien seit Tagen zu einer angeblichen Vorbereitung für einen Putschversuch auf. Erdoğan sprach am Montag nach einer Krisensitzung seiner Partei von einem Putschversuch der Kemalisten in der Armee, der nicht hingenommen werden könne. Ebenfalls am Montag waren die angeblichen zehn Anführer des Putschversuchs festgenommen worden und sollen nun am Donnerstag dem Haftrichter vorgeführt werden.
Das Ziel hinter diesen Attacken ist die CHP. Die Partei ist seit Langem gegen den neuen Kanal, der Istanbuler CHP-Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu ist einer der Wortführer der Kanalgegner. Regierungsnahe Medien veröffentlichten deshalb zuletzt Namen und Anschriften nicht nur der Admiräle, sondern auch von Angehörigen und Freunden von ihnen, die Mitglieder der CHP seien. So soll die Stellungnahme der pensionierten Militärs als Ausgangspunkt für einen angeblich von der CHP vorbereiteten Putsch dargestellt werden.
Leser*innenkommentare
82286 (Profil gelöscht)
Gast
Kann ich nicht verstehen: keiner der bisherigen Kommentatoren kann den friedensstiftenden, menschenrechts- und demokratiefördernden Hintergrund dieses Besuchs erkennen.
Ironie aus.
VdL befindet sich in bester Gesellschaft was das Hoffieren von Diktatoren wie Erdogan angeht: Frau Merkel besuchte Erdogan auch sechs Wochen vor den letzten Parlamentswahlen in der Türkei.
Celal Tunca
Na dann
Tiko
Da kann Mensch gut beobachten, dass die EU genau so eine interessengeleitete Politik führt, wie alle anderen auch. Es geht nie um Menschenrechte, nicht in der Türkei, nicht in China und nicht Russland. Knallharte Interessen durchsetzten, so funktioniert unsere EU.
joaquim
sorry: OH Frau!
joaquim
Es ist alles so offensichtlich, dass mir nur einfällt: lächerlich! Der gute Waffenkunde und Flüchlings-Abwehrer Erdogan und die "Vertretung" der EU lächelnd fürs Foto. OH Mann!
Abdurchdiemitte
Ich war noch nie ein großer Freund der CHP, in der Kurdenpolitol hatte sie immer einen genauso restriktiven Kurs gefahren wie heute die regierende AKP Erdogans ... auch diese sogenannten türkischen Sozialdemokraten werden nie begreifen, dass Demokratie und Menschenrechte in der Türkei aufs engste mit einer politischen Lösung der Kurdenfrage verschränkt sind.
Oder erst dann, wenn es zu spät ist und nicht nur die HDP, sondern auch die CHP und die gesamte türkische Zivilgesellschaft der Knute des despotischen Neo-Osmanismus eines Erdogan zum Opfer gefallen sind.
Sonnenhaus
Ein miserabler Akt der Diplomatie, im besonderen von v. der Leyen. Ein absoluter Verrat am eigenen Geschlecht. Nach der Aufkündigung der Frauenrechtscharta darf es keinen "hohen" Besuch bei Erdogan geben. Im Gegenteil.
Der Besuch ist eine politische Bankrotterklärung der EU gegenüber der Türkei in aller Öffentlichkeit.
Von der Leyen und Michel verschenken unsere Werte an Dispoten. Sie haben damit Ihren Eid gebrochen.
Thomas Kniep
@Sonnenhaus Besser kann man diesen EU-Besuch in Ankara nicht formulieren. Frau von der Leyen und Herr Michel gaben in der Pressekonferenz eine nach außen kritische Erklärung zum Ausstieg aus der der Instanbuler Konvention ab, die mich zweifeln lässt, ob sie Erdogan das Gleiche ins Gesicht gesagt haben - von dem drohenden HDP-Verbot ganz zu schweigen. Die sog. 'Werte' der EU blieben mal wieder auf der Strecke.
Thomas Kniep
@Sonnenhaus Besser kann man diesen EU-Besuch in Ankara nicht formulieren. Frau von der Leyen und Herr Michel gaben in der Pressekonferenz eine nach außen kritische Erklärung zum Ausstieg aus der der Instanbuler Konvention ab, die mich zweifeln lässt, ob sie Erdogan das Gleiche ins Gesicht gesagt haben - von dem drohenden HDP-Verbot ganz zu schweigen. Die sog. 'Werte' der EU blieben mal wieder auf der Strecke.