Nach Austritt aus Istanbul-Konvention: „Es geht um unser Leben“

Vor einer Woche beschloss der türkische Präsident den Austritt aus der Istanbul-Konvention. Nun gingen in der Türkei wieder Tausende auf die Straße.

Eine Frau hält ein Plakat in die Luft auf dem auf Englisch steht: "Ich weiß, ich weiß, ich erhebe meine Stimme, ich bin so eine Bitch"

Steht ein für ihre Rechte: eine junge Frau am 27. März in Istanbul Foto: ap

ISTANBUL taz | Auch am Samstag, gut eine Woche nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan per Dekret den Austritt seines Landes aus der Istanbul-Konvention verkündet hatte, sind in Istanbul wieder Menschen auf die Straße gegangen. Rund 3.000 DemonstrantInnen riefen „Istanbul-Kovention muss bleiben“ oder hielten Plakate mit der Aufschrift „Die Straße gehört uns“ und „LGBTI ist kein Verbrechen“ in die Luft.

Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtsverbindliches Übereinkommen zum Schutz von Frauen vor Gewalt und trat 2012 in der Türkei in Kraft – nachdem das türkische Parlament es als eines der ersten in Europa ratifiziert hatte. Vor einer Woche kündigte Erdogan an, aus der Charta wieder aussteigen zu wollen. Seitdem gehen tausende Frauen und Männer in vielen türkischen Städten auf die Straße und fordern, dass er seinen Entscheidung zurücknimmt.

Auch die EU, die Bundesregierung und US-Präsident Joe Biden äußerten sich entsetzt über das „falsche Signal“, wie Außenminister Heiko Maas es nannte. Doch für einige Anhänger des türkischen Präsidenten ist es der richtige Schritt. Besonders islamistische Organisationen in und außerhalb der regierenden AKP agitieren seit Jahren gegen die Istanbul-Konvention. Sie zerstöre die Familie und fördere „westliche Unzucht“.

An diesem Samstag konzentrierten sich die Proteste auf den Hauptplatz von Kadiköy, dem zentralen Versammlungsort auf der asiatischen Seite von Istanbul. Im ganzen Stadtteil war Polizei stationiert, um die Demo zu erreichen, mussten TeilnehmerInnen mehrere Kontrollen passieren.

Junge Frauen bei der Demo am Samstag

„Wir demonstrieren hier, damit wir in diesem Land noch eine Zukunft haben“

Anschließend wurden die DemonstrantInnen in einem abgesperrten Areal zusammengedrängt. Auf die Frage, ob sie wirklich glaubten, dass Erdogan seine Entscheidung noch einmal revidieren würde, antworteten mehrere junge Frauen: „Wir demonstrieren hier, damit wir in diesem Land noch eine Zukunft haben.“

Die jungen Frauen fürchten eine zunehmende Islamisierung der Türkei und sehen sich immer häufiger mit Gewalt konfrontiert. Die Organisatorinnen der Demonstration, das Bündnis „Wir werden Frauenmorde stoppen“, erklärten, allein seit Erdogans Bekanntmachung über den Austritt aus der Konvention am Freitag vergangener Woche, seien zehn Frauen ermordet worden – weil „Väter, Brüder, Ehemänner oder Ex-Ehemänner sie als ihr Eigentum betrachten“.

Selbst konservative Frauenverbände hatten ursprünglich für den Erhalt der Istanbul-Konvention gekämpft, sind aber mittlerweile sehr still geworden. Bei der Demonstration am Samstag tauchten sie nicht auf. Allein der Protest der jungen säkularen Frauen wird Erdogan aber nicht in Bedrängnis bringen. Zu seinen WählerInnen gehören sie ohnehin nicht. Dennoch, die Frauen und auch etlichen Männer, die heute demonstrierten, wollen nicht aufgeben. „Es geht um unser Leben“, sagen sie.

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