piwik no script img

Verfassungsschutzkritiker rehabilitiertZu Unrecht bespitzelt

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass der Publizist Rolf Gössner 38 Jahre lang zu Unrecht bespitzelt wurde. Er ist Experte für Verfassungsschutz.

Ließ sich nicht vom Verfassungsschutz einschüchtern: Rolf Gössner Foto: Michael Bahlo

BREMEN taz | Nach 15 Jahren Verfahrensdauer ist vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig letztinstanzlich bestätigt worden, dass der Verfassungsschutzkritiker Rolf Gössner 38 Jahre lang zu Unrecht vom Bundesamt für Verfassungsschutz bespitzelt wurde.

Zwar war die Beobachtung des Anwaltes und Publizisten nach der Einreichung einer ersten Klage schon 2008 eingestellt worden. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte aber noch 2018 mit einem 100-seitigen Schriftsatz gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht begründet, warum Gössner zu Recht vom Verfassungsschutz bespitzelt wurde.

Dabei hatte schon das Verwaltungsgericht Köln 2011 festgestellt, dass die Beobachtung ein „schwerwiegender Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen“ war. Diese sei unverhältnismäßig und grundrechtswidrig gewesen. Als erschwerend wurde die Verletzung des Berufsgeheimnisses des Anwaltes und Journalisten gewertet.

In Bremen, wo Gössner lebt, wurde seine Rolle ganz anders bewertet. Seit 2007 saß er im Innenausschuss des Landtages, dort „Deputation“ genannt. Damals war übrigens Lothar Jachmann Vize-Chef des Bremer Verfassungsschutzes – just mit ihm hatte Gössner in seiner Jugend Tischtennis gespielt.

Seit seiner Jugend unter Beobachtung

Aber wie geriet er ins Visier des Bundesamtes? Für Gössner gibt es einen Anhaltspunkt aus seiner Jugend: Er war Ende der 1960er Jahre mit einer polnischen TV-Journalistin befreundet. Die beiden wurden nicht nur von polnischen Sicherheitskräften beschattet, baden-württembergische VS-Leute besuchten auch seine Eltern, um sie vor den Umtrieben ihres Sohnes zu warnen. Ein Jahr später eröffnete das Bundesamt seine Akte Gössner, die am Ende 2.000 Seiten dick war.

Was da stand, war kein Geheimnis: Gössner war – und ist bis heute – gefragt als Experte für kritische Einschätzungen des Verfassungsschutzes. Er schreibt Artikel, gibt Interviews. 1980 war er für ein Jahr als Redakteur bei der taz angestellt. Diverse parlamentarische Gremien haben ihn um Rat gefragt.

1996 war Gössner gar beim hessische Verfassungsschutz zum Vortrag geladen – drei Tage nachdem sein Anwalt seine erste VS-Akte ausgehändigt bekam. Die Beamten waren so die ersten, denen er von seiner Bespitzelung erzählte. Sein Vortrag blieb ohne Beifall.

Gössner hat sich nicht einschüchtern lassen. Er schreibt gerade an einem weiteren Buch und ist – 72-jährig – so in seinem Fachgebiet engagiert, dass er keine Zeit zum Tischtennisspielen hat.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Einer der wenigen, dem die Überwachung durch den Verfassungsschutz nicht wirklich geschadet hat.

    Andere können dadurch ihren Job verlieren oder sehe ich das falsch?

  • 38 Jahre vom „Verfassungsschutz“ bespitzelt - mehr Expertise geht wohl kaum. Der Mann weiß aus eigener Erfahrung, was beim „Verfassungsschutz“ falsch läuft.

  • Wikipedia. "Gössner wurden Kontakte zu als linksextrem bzw. linksextremistisch beeinflusst eingestuften Organisationen wie der DKP, der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes oder dem Verein Rote Hilfe zum Vorwurf gemacht. Aufgrund dieser „Kontaktschuld“ wurde Gössner 38 Jahre vom Bundesamt für Verfassungsschutz dauerüberwacht."

    Mir war nicht klar, dass ich mit einem Bein in der Beobachtung durch den Verfassungsschutz stehe. Ich halte nämlich Kontakt mit Leuten, die in rechte Verschwörungstheorien abgedriftet sind (nicht freundschaftlich) - einfach weil ich der Meinung bin, dass es jemanden geben muss, der ihnen mal widerspricht.



    Warum habe ich das Gefühl, dass das in diesem Fall keine Auswirkungen haben wird?

    • @Parabel:

      Gemach Gemach - mal ab von allem - 🤫

      Da die Schlapphüte ja auch mal “Adler“ -



      Nikolaus „Klaus“ Barbie alias Klaus Altmann - auf der paytell hatten:



      “Wie se sehn - Sehn se nix!“ Ars Vitalis

      unterm ——- servíce—



      de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Barbie & Däh!



      “ Helmut Kohl verhinderte eine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland, um eine erneute Schulddebatte von Kriegsverbrechern im Land nicht aufkommen zu lassen.…“



      Ach was!



      ——— & unvergessen —-



      de.wikipedia.org/wiki/Robert_Badinter



      “ Noch im Jahr seines Amtsantritts als Justizminister 1981 setzte er die Abschaffung der Todesstrafe in Frankreich durch.“ *



      Gleichwohl. Erst durch den Barbie-Prozess erfuhr er - daß dieser seinen Vater ermordet hatte. Einer der erst - der davon* profitierte - war Barbie!



      Was Robert Badinter nicht bedauerte!



      Quel homme.



      „Eine Demokratie, die gegen Terroristen die Todesstrafe vollstreckt, macht sich die Werte Letzterer zu Eigen.“



      – Robert Badinter: Rede vor der Assemblée Nationale •

  • Wenn die Linke ein Schattenkabinett benennt, sollte sie Gössner als Innenminister vorschlagen.

  • Glückwunsch.

    Ward ja nu liggers ook bi lütten tid.



    Weiterhin - Masel tov -

  • Man sieht, wie überflüssig dieser Verfassungsschutz ist. Man sollte ihn auflösen.

  • Bananenrepublik.

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @tomás zerolo:

      Damit ist es nicht getan. Ich bin der festen Überzeugung: wenn es nicht gelingt, demnächst all unsere Schlapphüte unter totale parlamentarische Kontrolle zu bekommen, ist Ende Gelände angesagt.