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Verfassungsschutzbericht 2024Rechte radikalisieren sich

Laut Bericht des Berliner Verfassungsschutzes werden Neonazis immer gewaltbereiter. Der Geheimdienst soll mit einem neuen Gesetz mehr Befugnisse bekommen.

Neonazis treten immer offener und aggressiver auf Foto: Fabian Sommer/dpa

Berlin taz | In Berlin gibt es zunehmend gewaltbereite Neonazis – das hat nun auch der Verfassungsschutz (VS) in seinem Jahresbericht 2024 festgestellt, der am Dienstag nach der Sitzung des Senats vorgestellt wurde. „Insbesondere homosexuelle und queere Menschen sind von Anfeindungen betroffen“, so Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Den Kampagnen der Rechtsextremen würden dabei auch Taten folgen, wie die Angriffe auf die CSDs im vergangenen Jahr zeigten.

Der VS hat den Angriffen auf die queere Bewegung daher ein Sonderkapitel gewidmet, das sich mit den Mechanismen und Strategien der traditionellen und Neuen Rechten befasst. Neben üblichen Akteuren wie der Neonazi-Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ und ihrer Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“ (NRJ) habe sich im vergangenen Jahr aus virtuellen Netzwerken heraus eine neue rechtsextreme Jugendkultur mit hoher Gewaltbereitschaft entwickelt, so Spranger.

Zwar hat sich laut VS-Bericht die Zahl der Neonazis in Berlin mit 1.450 Personen nicht verändert, die Szene trete jedoch „deutlich offener und aggressiver auf“. Dies zeige sich auch bei den jüngsten Demonstrationen in der Hauptstadt. Rechte Positionen würden insbesondere via Social Media unter jungen Menschen immer anschlussfähiger, von wo aus diese sich dann radikalisieren, so der Leiter des Berliner Verfassungsschutzes Michael Fischer.

Verfassungsschutzbericht 2024

Auslandsbezogener Extremismus Laut VS hat sich im vergangenen Jahr in Berlin eine verfassungsfeindliche antiisraelische Szene entwickelt, die sich nicht nur auf Propaganda beschränke, sondern auch politische Geg­ne­r*in­nen bedrohe, etwa indem diese mit Hamas Dreiecken markiert werden und Einrichtungen angreife. Als zentralen Akteur der Szene sieht der VS neben der PFLP die Boykottbewegung BDS, die daher erstmals als erwiesen verfassungsfeindliche Bestrebung im Bericht aufgeführt wird.

Linksextremismus Laut Bericht gibt es eine neue Militanz des autonomen und anarchistischen Spektrums. „Militante Öko-Aktivist*innen würden Angriffe auf Autos und kritische Infrastruktur verüben.

Islamismus Auch hier gilt der Nahostkonflikt als zentraler Treiber für Radikalisierung. Die Gefährdungslage sei anhaltend hoch. (mfr)

Über die AfD wurde indes kein Wort verloren. „Wir dürfen uns dazu aus rechtlichen Gründen nicht äußern“, erklärte Fischer auf Nachfrage. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte nach seiner Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch eine „Stillhaltezusage“ abgegeben, bis es ein Gerichtsurteil dazu gibt. Die Rechtsextremen hatten gegen ihre Einstufung geklagt. Spranger betonte, das Gutachten werde vom Berliner VS „sehr intensiv darauf geprüft, welche Auswirkungen das auf Berlin hat“. Auch zu einem möglichen Verbotsverfahren äußerte sich die Innensenatorin nicht.

Mehr Vorgaben beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel

Neben dem Bericht befasste sich der schwarz-rote Senat mit einem neuen Verfassungsschutzgesetz, das am Dienstag verabschiedet wurde. Damit werden zum einen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt, das bereits 2022 strengere Vorgaben beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gemacht hatte. So sind künftig strengere Kontrollen etwa durch richterliche Bestätigungen nötig.

Darüber hinaus soll der VS mehr Befugnisse bekommen, etwa indem er Verdachtsfälle öffentlich benennen darf. Spranger zeigte sich zuversichtlich, dass das Gesetz noch in diesem Jahr vom Abgeordnetenhaus beschlossen wird.

Der innenpolitische Sprecher der Linken Niklas Schrader sieht die Gesetzesnovelle kritisch: So enthalte etwa die Bestandsdatenauskunft sehr weitgehende Befugnisse. Damit kann der VS personenbezogene Daten von Handy- und In­ter­net­nut­ze­r*in­nen abrufen. Auch die Offenlegung von Verdachtsfällen sei ein zweischneidiges Schwert: Neben höherer Transparenz gebe es auch eine hohe Stigmatisierungswirkung. „Es geht dabei nicht nur um die AfD, sondern auch um verschiedenste linke Gruppierungen.“

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